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„Ich glaube doch," widersprach Donate, „ich traf Veit Umülaufft heute mittag- er kam vom Stolpen herüber und erzählte, er habe den Stadtschreiber Valentin Schulze in seinem Hause gesehen." „Dann ist die Wahl allerdings endgültig geschehen, denn der Stadtschreiber war ja als Notar und Zeuge mit nach Wurzen geladen. Nun, der Bürgermeister wird uns schon vom Ausfall der Wahl berichten. Es scheint ihm ordentlich am Herzen zu liegen, daß Herr Johann v. Haug- witz Bischof des Hochstiftes Meißen wird." „Bist du nicht stolz darauf, Agnes, daß du nun in Bälde Base des Bischofs und dazu noch sein altes Kinder gespiel sein wirst," neckte die kindliche Donate. Wiederum lächelte das Mädchen: „Wer weiß, ob der hohe Herr sich meiner überhaupt noch erinnert." In ihrem Innern aber jubelten tausend Lerchenstim men: Johann von Haugwitz — Bischof zu Meißen. Unter hoffnungslichten Schleiern verbarg sich die Zukunft ihren Blicken, allein ihre vergangenen Tage enthüllten sich ihr in wundervoller Klarheit. Wie sie draußen in Putzkau, dem Familienstammsitze der Haugwitze, im alten Hof ausge wachsen war und ihre Kindheit mit dem Vetter Johann vom neuen Hofe zusammen durchtollt hatte! War sie doch seinen verwegenen Knabenspielen immer gewachsen ge wesen, obwohl er ihr eine gute Handvoll Jahre voraus war. Dann warf sich das Leben zwischen die Kinderfreund schaft. Es kamen für sie die langen, mutterlosen Mädchen jahre in dem einsamen Belgern, wo Herr Christoph von Haugwitz Schloßhauptmann war. Nun hatte sie der gute Vater wieder in die Heimat geschickt, zu den gütigen, lebensfrohen Freunden. Herr Christoph wollte wohl, daß seine Tochter in Birckners Haus ein wenig mehr vom Pulsschlag der Jugend und der bewegten, rührigen Zeit spüren sollte, als es in dem abgelegenen Belgerner Schloß möglich war. Würde sich nun hier in Bischofswerda die Kette zum Ringe schließen, ihr Dasein die Erfüllung finden? Erfüllung? Ihre zweiundzwanzig jungen Jahre kannten nur einen Begriff dafür: Liebe, Liebe über alles Maß hinaus. Und diese Liebe, der Agnes mit jedem Herzschlag entgegendrängte, wem sollte sie gehören? Was sangen die Lerchenstimmen in ihrer Brust immer von neuem? Jo hannes von Haugwitz — Bischof von Meißen. Ihre glückes- sichere Erwartung machte sie froh, daß sie hätte jauchzen mögen. Das ging nicht an, so entgegnete sie nur noch aus Donates Frage: „Natürlich bin ich stolz und froh, daß einer aus unse rem Geschlecht so jung zur Bischofswürde gelangt." Jakob Birckner sah ihr scharf ins Gesicht. „So ganz berechtigt ist in diesem Falle dein Stolz nicht, liebe Agnes. Viele aus deiner Familie hängen doch schon der neuen Lehre an, ich glaube sogar Johanns eigne Schwe stern, die Aebtisstnnen! Auch dein Vater steht ja vollkom men auf lutherischer Seite. Ein großer Teil der Haugwitze wird also die Bischofswahl eines der Ihren weit eher mit Trauer denn mit Jubel aufnehmen. Du aber scheinst nach deinen eigenen Worten eine treue und überzeugte Papistin zu sein, Agnes, wie?" Agnes schwieg unschlüssig. Konnte sie ihm denn sagen: Ich freue mich vor allem, diesen Mann wiederzusehen und wiederzusehen als Bischof, einem König gleich in unserem Lande! Die Antwort wurde ihr auch durch Frau Donates lustiges Schelten erspart, die ihren Mann am blonden Barte zauste, daß es nur so eine Art hatte „Mußt du der Sache gleich eine bitterernste Wendung geben, Jakob? Siehst du nicht, daß die arme Agnes auf eine solche Gewissensfrage gar nicht gefaßt war? Es ist doch genug, daß ihr Männer um solcher Angelegenheiten willen in Zwietracht und Krieg und Blutvergießen htneingeratet. Uns Frauen laßt doch des holden Spieles froh werden, ! das sich Leben nennt. Und wozu eine Frau nach ihrem ! Glauben fragen? Wir wissen, daß wir Gottes Kinder sind, denn wir sind Mütter. Wie wir unsere Kinder hüten und hegen, so ist auch unser Glaube ein kindliches Geborgen sein in unendlicher Baterliebe." Du redest wie ein unbesonnenes Kind," sagte Herr Jakob, leise tadelnd, aber eine große und nachsichtige Zärt lichkeit stand dabei in seinen Augen. „Wäre ich kein Kind, könnte ich auch keine Mutter sein, und ich denke, das dankst du mir am meisten, Jakob!" „O, Agnes, Mutter sein ist das beste Glück!" In plötzlicher Aufwallung drückte sie sich an den Hals der Freundin, lief dann behende weg, hob ihren Knaben hoch und herzte ihn. Der Kleine war mit ihnen zugleich aus dem Hause gekommen und hatte sich während ihres Ge spräches damit vergnügt, ungeschickt, aber mit zarten Händ chen, die Regentropfen von den Blumen zu schütteln. Er war ein liebreizendes Bübchen mit des Vaters Hellem Haar und Frau Donates braunen Augen. Seine glückliche Mut ter ließ jetzt die kleine Kinderhand los, und es begann ein übermütiges und lachendes Jagen durch den Garten. Das Kind sprang jauchzend voran, und Herr Jakob schaute mit Wohlgefallen, wie anmutig trotz der schweren hindernden Kleider Donate und Agnes die schmalen Gartenwege ent langliefen, sich an den regenschweren Büschen vorbeiöräng- ten, daß die Sprühperlen in Donatens Kraushaar und dem schwarzglänzenüen Scheitel von Agnes nur so funkelten. Endlich war der kleine Martin außer Atem und ließ sich von den schützenden Mutterarmen auffangen. Vergnügt nestelte er an der Mutter silbernem Gürtel, und ehe sie sich's versah, hatte er das silberne Messerchen aus der Scheide gezogen, die vom Gürtel herabhing. Erschreckt wollte ihm Donate das gefährliche Spielzeug entwinden, doch er hielt ihr schon schreiend das Händchen hin. Die scharfe Schneide mußte ziemlich tief gedrungen sein, denn das Händchen blutete stark. Ganz blaß und unfähig eines Wortes trug Donate den Liebling ins Haus. Als sie den Kleinen verbunden hatte, brach sie in Tränen aus und in ihren Zügen spiegelte sich ein Entsetzen, das dem gering fügigen Unglück nicht angemessen war. Als Agnes ihr Gesicht sah, dachte sie bei sich selbst: Möge der Himmel verhüten, daß Donatens Kind jemals ein Un heil zustoße,' ihre Seele müßte daran zerbrechen. Der Regenbogen war inzwischen zerflossen, Agnes sandte umsonst einen letzten suchenden Blick nach ihm. In kühlem Blau und Weiß flogen die Wolken wieder dahin, doch in Agnes' Herzen brannten sieben Freudenfeuer. * Noch ein anderer sah an diesem Tage, dem 31. Mai des Jahres 1555, den allmählich verblassenden Regenbogen und dachte dabei des neugewählten Bischofs Johann von Hang witz. Bürgermeister Bernhard Tanner ritt von Stolpen wieder heim nach Bischofswerda. Seinem Sinnen Hinge geben, überließ er sich achtlos den weichen Bewegungen des trabenden Pferdes. Seine Hand hielt jedoch den Zügel sicher genug umspannt. Diese Hand sah überhaupt nicht aus, als ob sie einen Zügel lässig halten könne. Das ganze Äußere des Reiters sprach von einer gesammelten Willens kraft und berechtigtem Selbstbewußtsein. Ein Herrschen wollen und Herrschenkönnen drückte sich überzeugend in seinem Wesen aus. Zu der Zeit war Bernhard Tanner ein Mann in den Fünfzigern, der sich auf der Höhe seiner Schaffenskraft wußte und diese Kraft bewußt und klug an das verschenkte, was er als sein eigenstes Lebenswerk an sah, das Gedeihen der Stadt Bischofswerda. Tanner war von hagerer aber hoher Gestalt, der Kopf im Ganzen wie in den einzelnen Partien des Gesichtes schmal und von einer Feinheit der Linienführung, wie sie uns heute noch an den besten Mäunerbildnissen der Maler jenes Jahrhunderts entzückt. In langen schlichten Sträh nen legte sich das braune, nur wenig ins Graue spielende