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M. 1 Overlaufltzev Helmatzeltung 15 nicht viel mehr als zuvvr. Ein Vagabund also, dessen Hei mat ein ferner Landstrich war, hatte ihn überfallen, Gott iveiß von welcher Not, von welchem Teufel getrieben. Aber was für ein Zufall hatte ihn doch gerade in dieser Nacht an diesen verlassenen Hetdeweg gebracht, wo nichts zu er warten, nichts zu erbeuten war? Der Bauer verfolgte solche verwirrende Gedanken nicht länger, sondern half sich mit einem unmutigen Kopfschüt- teln vorläufig über alles Unenträtselbare hinweg. Er sah sich wieder scheu um nach allen Seiten und als er nichts Bewegtes gewahrte in der vom Mondenschein schwach er hellten Landschaft, beugte er sich zu dem Toten hinab, hob ihn mit einiger Mühe auf seine Schulter und begann zur Linken waldeinwärts zu schreiten. Er wanderte rüstig mit seiner Last durch den Kiefernhochwald; dürre Reiser knack ten unter seinen Tritten; bald verschlangen die schwarzen Schatten der Bäume die beiden, den Lebenden und den Toten; bald glitten plötzlich und gespensterhaft bleiche Mondlichter über sie hinweg. Es war vollkommen still; die Luft wurde kühler und feuchter. Nach einer kurzen Weile war der Bauer an einem Teich angelangt, der zwischen Kiefernforst und Buchwald gelegen war. Ihn umsäumten in geschwisterlicher Eintracht Birken, Erlen, Eichen, Weiden jeden Alters. Vor wenig Wochen war das kleine Gewässer abgelassen, abgeschlammt und geschilft worden; es befand sich in guter Ordnung und wurde gewöhnlich nicht, wie man es mit den meisten Heideteichen zu tun pflegt, den Winter hindurch trocken gelassen, sondern nach dem zeitigen Ausfischen bald wieder gefüllt, um so den jungen Karpfen eine Gelegenheit zur Überwinterung zu bieten. Der Bauer wußte dies, und er blieb am Ufer des Teiches stehen. Er sah ein Bächlein eifrig, leise und vom Mondlicht mit Silberfunken bestreut durch den schwarzen Grund nach der Teichmitte rieseln; dort hatte es sich schon zu einer ansehnlichen Lache gestaut; dunkle Baumwipfel lagen gespiegelt darin, dazwischen blasser Himmel, schwebende Wölkchen und die Mondsichel. Er wußte, in kaum einer Woche würde dieses abgelegene Becken wieder seine alte Gestalt und Fülle haben. Nie mandem würde es dann einfallen, zu wähnen, daß der Teich in seinem schweigsamen Grunde ein furchtbares Ge heimnis bergen könnte. Entschlossen, doch unter Beachtung einer großen Vor sicht schritt der Bauer hinein in die schlammige Mulde. Am Rande der blinkenden, unmerklich anwachsenden Lache ließ er den Toten behutsam niedersinken. Er begann sich rasch zu entkleiden, und als er nun nackt und fröstelnd in der kühlen Nachtluft stand, beugte er sich ohne Säumen nieder und fing an ein Grab zu wühlen. Seine harten, großen Banernhänüe scharrten in fiebriger Eile, und sowie er auf deu sandigen Untergrund geriet, holte er sich den nächsten besten Pfahl und stach und grub unverdrossen tiefer, daß ihm bald der Schweiß aus allen Poren drang. Seine Füße aber umschlich eisiges Wasser, es quoll, und sickerte von allen Seiten in die Grube. Au seine Beine, seine Arme haftete sich zäher, lauer Schlamm; Haare und Schnurrbart waren feucht von Tau. Endlich glaubte er die Höhlung tief ge nug; er maß mit den Blicken sein schaudervolles Werk. Gleich darauf hatte er auch den Toten erbarmungslos in das nasse, kalte Garb gestülpt und hatte, ohne ihm noch einen Blick zu gönnen, ohne ihm ein Gebetswort mitzu geben, eilig begonnen, ihn mit dem schlüpfrigen Erdreich zuzndecken. So, diese freudlose Arbeit war fertig! Die breite Brust des Bauers hob sich in einem befreiten, fast frohlockenden Aufatmen. Nun trat er ans Wasser, reinigte den nackten Körper von allen Schlammspuren und zog mit bäurischer Umständlichkeit die sauber gebliebenen Kleidungsstücke wieder an. Ehe er sich zum Gehen wandte, betrachtete er noch einmal den Ort seines geheimnisvollen nächtlichen Tuns; mit tiefer Befriedigung verfolgten seine Augen das nimmermüde silbrige Rinnsal, das den Wasserspiegel in der Teichmitte in langsamer Stetigkeit steigen und sich aus dehnen ließ. Schon wurde das Fußende eines Grabes — eines Grabes ohne Hügel allerdings und ohne jedwede Auffälligkeit — von der kühlen Flut bespült. Der Plan mußte glücken. Würde wohl in den nächsten Tagen jemand an diese entlegenen Ufer kommen? Würde jemand beim An blick der halbverwischten Fußspuren im Teichgrunde irgend einen Verdacht schöpfen? Nein, war jenes immerhin denk bar, so erschien dieses fast unmöglich. Also nun heimwärts endlich, Schluß mit der dummen und unerwünschten Ge schichte; kein Hahn würde und sollte um den verrückten Wegelagerer krähen! Als hätte er sich nun endgültig Ruhe verschafft, stapfte der Bauer mit festen Tritten nach seinem Wege zurück. Große leere Teiche dehnten sich in lebloser Schwärze hinter den gilbenden herbstlichen Dämmen aus; der Windhauch hob oft einen Schwall scharfen Fäulnisgeruches aus ihrem gärenden Schlammboden auf und trug ihn hinüber ins Dunkel des Waldes. Der Bauer kümmerte sich nicht um diesen Ruch der Verwesung und nicht um die müde Schön heit dieser halbhellen Nacht, in welcher der Herbst noch ein mal leise die goldenen Herrlichkeiten des entflohenen Sommers anklingen ließ, ehe er mit rauhem Sturm und eisigem Regen sein großes Werk der Zerstörung begann. Fern im Süden standen zart umrandet in milchigem Blau die Berge, sorgliche treue Wächter der schlafenden Heimat. Der Bauer wandte ihnen den Rücken und erreichte bald seinen Ort und sein Haus. Die Frau schrak aus ihrem Schlummer auf, und als sie ihn gewahrte, fing sie an zu rechten und Vorwürfe zu erheben. Er aber warf ihr un wirsch zur Antwort hin, sie solle nur stille sein und ihm sein bißchen Vergnügen gönnen; er habe sich mit guten Freunden zusammen im Wirtshaus verspätet. Ehe die Bäuerin den unterbrochenen Schlaf zurückgewonnen hatte, war er in seinem Bette schon todmüde in eine wirre Be- täubtheit gesunken. Am folgenden Sonntag verließ der Bauer schon früh am Nachmittag sein Gehöft. Er stapfte zum Hinteren Schennentor hinaus, verscheuchte mit derben Flüchen die Hühner vom Saatfeld und wanderte dann mit gesenktem Haupte auf Feldrainen dem Heidewald zu. Dicker Nebel hüllte heut alle Welt ein und stand naß und gespenstisch über allen Ackern; von Norden her strömte gleichmäßig eine eisige Luft. Es war ein Tag, der Leben lähmte, er stickte. Der Bauer hatte schlechte Laune; er knurrte wie ein bösartiger Hund, als ein Volk Rebhühner plötzlich vor ihm aufslog. Die ganze Woche hindurch war ihm nicht recht ge heuer zu Mute gewesen; seine Frau, seine zwei Söhne hatten unter der Mißstimmung viel zu leiden gehabt. Die ser verdammte Handwerksbursche war schuld daran! Sein Bild, das Bild eines wüsten, verzerrten Antlitzes im Mondenlicht, im Aufflackern eines Zündholzes, es tauchte zu oft vor dem Auge des Bauers auf. Zum Teufel, was wollte der Kerl nur noch; warum verschwand er nicht ganz und gar so wie sein Kadaver vom Erdboden für immer verschlungen war! Es war ekelhaft mit ihm, er fand sich zu den unpassendsten Zeiten mir und dir nichts wieder ein. Auf dem Felde beim Ackern hatte sich der Bauer mehr mals dabei ertappt, daß er müßig stehengeblieben und ins Grübeln geraten war, während die schwarzweiße Kuh eben falls mit dem Pfluge anhielt und den Kopf verwundert langsam nach dem Herrn drehte, der ihr keine Befehle mehr zuschrie. Nachher hatte sie den Stecken zu fühlen gekriegt ivie kaum je in ihrem sanftmütigen Dasein und hatte doch die Schläge nicht verdient. Daheim bei der Mahlzeit war vor seinen starren Blicken einmal jenes verruchte Gesicht aus der dampfenden Schüssel emporgewirbelt, ein fahler Schimmer nur während des Bruchteiles einer Sekunde;