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Jahre sind vergangen! Glückliche Zeiten konnten vielen die Schönheiten der weiten Ferne erschließen, zu gute Zet ten führten auch manchmal zu einer Unterschätzung der Kleinode, dis in der deutschen Heimat verborgen liegen. Dann kam die Zeit der Not und Entbehrung. Zur Selbst besinnung forderte sie und lehrte uns, neue Kraft zu schöpfen aus dem, was uns keiner nehmen kann. Unsere Heimat, unser deutscher Wald mit seinen luftigen Höhen, mit seinen stillen Tälern und rauschenden Bächen soll und wird uns den Weg zur Zukunft weisen. In ihm schwindet Müdigkeit, aus ihm heraus werden wir Frohsinn, Kraft und Selbstüewußtsein nehmen. So wollen wir den Heimat gedanken anffassen. In den grünen Wald gings diesen Sonntag, ins Lau sitzer Gebirge, nach Oybin. Die Eisenbahn ließ Sonntag Sonntag sein und lustig rollte in aller Herrgottsfrühe der Zug von seinem Ausgangspunkte Dresden kommend in den Bahnhof, daß es manchem Langschläfer noch barbarisch nächtlich vorkam. Nachdem in dem betr. Abteil auch der letzte Platz besetzt war, gings in die Weite. Zuerst durch unseren Waldfrieden. Doch das Gesicht der Landschaft wird schon anders, wenn man sich Görlitz nähert. Sanfte Hügel ziehen vorüber, bis sie südlich der Stabt etwas schroffere Gestalt annehmen. Rechts tief unten windet sich die jugend liche Neiße zwischen den dichtbehangenen Felsen hindurch, den Vorboten der gewaltigen Brüder im Lausitzer Ge birge. Wieder rollt der Zug über sanftgewölbte Hügel. Wir sind in Sachsen. Andere Länder, andere Sitten! Zwischen Tälern blicken freundliche Dörfer hervor mit sauberen, meist weißangestrichenen Häusern. Die zierlichen Zwiebel türme der Dorfkirchen greifen lustig in den Himmel und erzählen von einer einfacheren, vielleicht auch sorgloseren Vergangenheit, Nach kurzer Zeit ist unser vorläufiges Ziel erreicht: Zittau. Denn hier muß man in die gewaltig fau chende „Gebirgsbahn" umsteigen. Das Panorama dieser Stadt hinterläßt einen merkwürdigen Eindruck. Geschwun gene Barocktürme und wuchtige kantige Türme als ehr würdige Zeugen vergangener Jahrhunderte scheinen er bitterten Kampf mit den nüchternen Deutern der Gegen wart zu kämpfen. Denn auch in diesen Winkeln Sachsens blüht die Textilindustrie, und die vielen Schornsteine recken sich unerbittlich in die Höhe. Die Schmalspurbahn keucht bald ihren gewundenen Weg empor, bis endlich ein un geheuerer Turm von Sandsteinblöckeu den Weg gebiete risch versperrt. Gehorsam hält die Bahn. Wir haben Oybin erreicht. Die letzte Strecke der Bahnlinie, dort, wo das Tal gerade noch Raum genug für sie läßt, bildet den einzigen Einschnitt des Kessels, in dem der Ort liegt. Mitten hinein in das Tal ragt der Oybin, spärlich bewachsen von Kiefern und Fichten, weil ihnen der Fels wenig Erdboden zum Wnrzelfassen übrig läßt. Doch wir sind klug und heben uns ihn zunächst bis später auf. Rüstig schreiten wir zur Be steigung des „Kammes". Überall begegnen wir den bizarr sten Felsgesteinen, die Zeugnis ablegen von den Launen der Natur. Sanft und kaum merkbar schlängelt sich der Weg in die Höhe, durch Schonungen und Wälder. Mit Schaudern sieht man noch das Vernichtungswerk der „Nonne", jener Raupe, die von den Karpathen über Böh men ihren Einzug in Deutschland hielt und entsetzlich wütete. Ganze Waldungen sind vernichtet, einzig die Lär chen haben sich wieder erholt. Der „Töpfer" ist bald er stiegen. Von oben hat man einen herrlichen Blick auf das Lausitzer Hügelland (Zittau, Görlitz), auf den Kamm des Niesengebirges und ins Böhmische, wenn das Wetter gut ist. Nach kurzer Rast geht es weiter auf dem Kamm ent lang, zu einer Seite den Oybiner Kessel tief unten, zur anderen das wellige Borland. Berücksichtigt man diese Lage Oybins, so läßt es sich leicht erklären, daß dieser ge segnete Ort fast immer von Gewittern verschont bleibt. Denn alle Unwetter, von welcher Seite sie auch kommen mögen, werden von seinem mächtigen Schützwall abge halten. Und regnet es tatsächlich einmal, so sind seine Spu ren in wenigen Minuten verschwunden, denn jede Feuchtig keit wird von Sandstein sofort aufgesogen. Auch hier hat die Natur ihren Spott mit dem Element getrieben. Eine brütende Henne in Überlebensgröße sitzt friedlich schon seit Jahrtausenden dort oben und wird ebensowenig wie der sich ausruhende Aar in ihrer Ruhe gestört. Ein Muschel saal, Grotten, die grandiose Felsengasse und die riesigen Kelche, aus denen Germaniens Götter ihren Nektar ge trunken haben mögen, sind dort zu sehen. Die stummen Zeugen einer rätselhaften Urkraft. Und gleichsam wie eine Art Vorausahnung hat die Natur iu den Fels des Oybins selber dem größten Staatsmanne unseres Landes, dem Altkanzler Bismarck, das erhabenste und unvergänglichste Denkmal gesetzt, indem sie in einen Felsblock seine Ge sichtszüge hineinmeißeltc. Auf dem Kamm befindet sich auch eine Felsgruppe, auf die die Oybiner besonders stolz sind: Es ist eine Miniaturausgabe des Matterhorns, denn ge nau so keck wie dieser gewaltige Berg strebt auch der Scharfenstein in die Höhe. Als höchste Erhebungen thronen dann endlich der Hochwald und der Pferdeberg im Höhen zuge. Wie eine Perle liegt Oybin tief unten im Grunde verborgen. Seine Häuser schmiegen sich dicht an die Berge an, die alten Bauernhäuser wie die neuen Sitze der wohl habenden Zittauer Bürger. Der freundliche Ort rvürde sich aber nicht um vieles von anderen ähnlichen Stätten unter scheiden, wenn nicht der wuchtige Felsen der ganzen Gegend ein besonderes Gepräge verleihen wollte. Ohne ihn gäbe es schließlich auch gar keinen Ort Oybin, denn sicher wird die Ritterburg und das spätere Kloster die Veranlassung zu seiner Anlage gewesen sein. Nach einem kurzen Weg führt eine alte, verhältnismäßig bequem angelegte Treppe den Felsen hinauf. Etwa in Mittelhöhe schmiegt sich die Dorf kirche an den Berg. Ein Vorsprung gibt ihr gerade genug Platz. Es ist eine kleine Holzkirche, auch der Turm ist aus Holz. Tritt man in den Raum, so ist man erstaunt über üie reiche Bemalung der Wände, Emporen und der Decke. Mit der ursprünglichen Naivität sind überall biblische Er eignisse in Holzmalereien festgehalten. Die liebevoll aus geführten Gemälde sehen von weitem fast wie Kohlezeich nungen aus. Das lebhafte Gegenstück dazu bilden die in frohesten Farben gemalten Umrahmungen. Das Wert vollste sind sicher die Gemälde, die sich oben an der Decke befinden. Die flache Decke ist in Art eines Kassettendaches erbaut worden, und jede der Kassetten bürgt ein Gemälde für sich. Das Gebälk ist auch hier wieder bunt verziert. Das seltsamste aber ist die Bemalung des Gebälks der Empore. Man glaubt sich in eine alte maurische Kirche mit reicher Marmorbekleidung versetzt, wenn man im Däm merschein die gräulich-weiße Bemalung wahrnimmt. Das Holz ist hier nämlich nur mit weißer Farbe unterstrichen und die Linien des Holzes täuschen die Äderung des Mar mors vor. Doch es drängt uns, die Wanderung fortzu setzen. Bald durchschreiten wir das erste Burgtor, eine Art Hohlweg führt züm zweiten Eingang. Beide waren einst durch feste Mauern verbunden, deren Trümmer noch heute aus dem üppig wuchernden Grün hervorschauen. Nach wenigen Schritten kann man die ganze Burganlage über sehen. Es muß ein stolzer Bau gewesen sein! Die himmel strebenden Wände des späteren Refektoriums und der Burgkapelle beweisen es. Frühgotische Spitzbögen zeugen von dem ehrwürdigen Alter. Die Chroniken berichten, daß Qualo von Leipa den Bau im Jahre 1256 begonnen habe. Die Stadt Zittau zerstörte aber bald die Festung. 1312 rich tete dann Heinrich von Leipa die eigentliche Burg auf. Sie ging in kurzer Zeit von Hand zu Hand, bis Kaiser Karl der Vierte den glänzenden Ausbau vornahm und zugleich das Cölestiner Mönchskloster stiftete. Aber auch jetzt hatte sie ein wechselvolles Schicksal. Die Mönche mußten ver schiedene Male fliehen, denn der Sturmwind der Reforma tion wehte auch hierher. 1574 ging die Burg in den Besitz