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schlimmen Wintertode kennen gelernt. Es ist bet solchem Wetter gleich, ob man sich auf einsamer Steppe befindet oder zwischen fernen Dörfern. Schneetreiben und Sturm scheinen Menschen und Häuser meilenweit weg zu ver setzen. Vielleicht war es diese Furcht, die mich antrieb. Völlig erschöpft erreichte ich den Bahnhof. Wie ich die Richtung dahin gehalten habe, ist mir heute noch ein Rät sel. Ich glaube, daß es nur Zufall gewesen ist. Denn ich hätte ebensogut in entgegengesetzter Richtung gehen kön nen, ohne es zu merken. Ob der Zug verkehren werde, sei unwahrscheinlich, hieß es. Darum war mir zunächst auch nicht bange. Ich fühlte ein Dach über dem Kopfe und sah mich gerettet. Auch kam der Zug. Der Sturm war zum Orkan ange- wachsen, daß wir dachten, er werde jeden Augenblick die Wagen des kleinen Zuges umwerfen. Dazu verschlang dichtestes Schneetreiben den ganzen Zug, daß wir ins Un gewisse hineinzufahren schienen. Auf jeder Station kam der Schaffner in den Wagen und sagte, es sei unwahr scheinlich, ob wir die nächste Station erreichen würden. Bis hinter Radibor kamen wir. Dort war es aus. In dem tiefen Einschnitt, der die' Strecke einnimmt, blieb der Zug im Schnee stecken. Die Maschine rückte an, vorwärts und rückwärts. Aber sie brachte den Zug keinen Zoll vorwärts. Mitten in einer meterhohen Wehe saßen wir fest. „Aussteigen und ausschaufel»." Wir taten, was in unseren Kräften stand. Aber es war eine Sysiphusarbeit. Für jede Schaufel, die wir auswarfen, schüttete der Sturm zwei in den Einschnitt herein. Man habe eine Maschine von Bautzen aus zu Hilfe gerufen, es werde eine Zeit dauern, hieß es. So warteten wir im Wagen. Es war abends gegen 7 Uhr. Seltsam, gleiches Los verbindet die Menschen. Wir fügten uns in das Unvermeidliche. Wir waren fern von aller Welt, auf hohem Berggipfel eingeschneit, aus ferne Insel verschlagen, was wußten wir. Einer war auf den andern angewiesen, und es kam mit einem Male, so wunderlich bas klingen mag, es kam Gemütlichkeit auf, Ergebenheit ins Unabwendbare. Der Wagen war fürs erste noch ge heizt. Zwei Stunden vergingen. Die Maschine kam nicht. Wer etwas Eßbares bei sich hatte, nahm es hervor. Und das hatte jeder, der eine Butter, der andere Brot. Jeder tauschte mit dem anderen aus, als mären wir alle eine große Familie. Es wurde gescherzt und gelacht. Im Wagen waren Urlauber, die ins Feld gingen. Die meinten, es wäre nicht so ängstlich mit dem Fortkommen, sie kämen immer noch zurecht. Gegen 10 Uhr nachts kam die Maschine. Wir atmeten ans. Das Rücken begann von neuem. Jedoch der Zug be wegte sich weder vorwärts noch rückwärts. Irgend jemand hatte gesagt, es wären noch zwei Maschinen von Bautzen aus zu Hilfe für uns unterwegs. Wer das gesagt hatte, wußte niemand, denn niemand wagte sich bei dem Wetter aus dem Wagen. Wir warteten wieder zwei Stunden. Mitternacht kam heran. Stiller wurde es im Wagen. Nie mand sprach mehr viel. Die Heizung ging aus, und nun drang grimmige Kälte herein. Jetzt wurde es ungemüt lich. Die Leute wurden einsilbiger. Der und jener war ein geschlafen. Nach langem, bangem Warten weit über Mitternacht hinaus wurde uns die Gewißheit, daß die beiden Hilfs maschinen wegen zu hoher Wehen nicht an unseren Zug herankommen könnten. Das hieß also deutlich: Wir muß ten uns für diese Nacht einrichten, hier im Zuge zu ver bleiben bis an den Morgen. Eine wenig tröstliche Gewiß heit, zumal es eisig kalt wurde und niemand mehr etwas zu essen hatte. Wieder wurde uns bange. Da sahen Be herzte zur Wagentür hinaus. Der Sturm hatte sich ge legt. Einige versuchten, zu Fuß nach Bautzen zu gelangen. Die anderen warteten auf ihre Rückkehr wie Noah auf die Taube. Wirklich kamen sie bald zurück: Es fei durch die Wehen nicht burchzukommen. Nach einer weiteren Stunde versuchte es ein anderer Stoßtrupp. Und siehe da, er kam nicht zurück. Das machte allenthalben unternehmungs lustig. Ein Trupp nach dem anderen ging ab, und wir sahen die dunklen Gestalten im weißen Schnee dahin stapfen. Auch in unserem Wagen wurde für eine Expedi tion Stimmung gemacht. Frisch gewagt ist halb gewonnen. Sieben machten wir uns auf den Weg. Inzwischen war es am Himmel klar geworden. Stern hell war es, und wir stapften mühsam dahin durch die wundervolle Winternacht. Einer sprach dem anderen Mut zu. Wir waren Männer. Die Frauen hatten wir im Zuge zurücklassen und sie auf den kommenden Morgen vertrösten müssen. Gegen 6 Uhr morgens wanderten wir durch die stillen Straßen der Stadt herein. Am Abend vorher gegen 7 Uhr hätte der Zug eintreffen sollen. Jetzt war er noch nicht da. Und niemand von den Angehörigen wußte, wo wir waren. Niemand hatte ihnen sagen können, wann wir heimkehren würden. Sie hatten die ganze Nacht in Bangen verbracht. Denn eine Schneesturmnacht im Freien ilt furchtbar. Wer sie noch nicht erlebt hat, weiß nichts von dem Ungeheuren, mit dem sic über einen kommt. Aber wer sie erlebt hat, vergißt sie nimmermehr. Rudolph. Wervt für vße Dverlaufitzer Herrnalzettungk Brobemiwm-rn m-ndpn nus Muvkck kostenlos »nd vortosrei zuoesondt. Aus alten sächsischen Akten (wörtlich entnommen) Ein Förster, der im Dienste Herzog Heinrichs von Sachsen-Merseburg, eines Neffen des Kurfürsten Johann Georg des Ersten von Sachsen (ch 1636), stand, schrieb im Jahre 1721 folgenden Brief an ihn: Turglaugtister Ferscht, gnedigster Herr! In unse Forscht is e Schwein, so groß wie Sie Turglaugt in Ihrem Läben noch nich gesähn Han. Und missen stränge Maasrecheln getroffen wärn, das de Pestge nich so mech- tig werd, sunst verlieren mer hol mich der Deubel alle junge Zugt u. da werth uns der Hund was praten, wenn mer emol ene Jagt mache wulle. Wie gefacht, gäbe Se Pefähl, das das Undiert wäck kümmt. Jbbrigens ver- bläube ich mit hoch 8 ung Ihr undertänigster Förster Anton Niemair. Bei einer Hochwassergefahr der Spree schrieb er als Aufseher der Wasserbauten folgenden Brief an ihn: Turglaugtigster Ferscht, gnedigster Herr! Gott straf mich Turglaugt, ich kann's Wasser nich mehr derhollen. Se missen sugleich Pefähl geben, das de Wasserkummi- schon Maasrecheln drieft, das de Tünime rebarührt wärn, stts geht de Gegend u. de edle Jacht zum Deubel u. da Hanse stchs selber zuznschreiben, wenn mer Her nachens Kuchen zu jagen haben. Magse nur bale An stand, Gott straf mich, 's werd sus nich gut u. da kennen Se unsereenen ke Prot mehr gäbe u. da hol der Deubels Läben u. ich mak denn nich mehr sein ihr getreuer under- dänigster Förster Anton Niemair. Um das Herumlaufen der Kettcnhunde. zu verbieten, erließ er einmal folgenden Befehl an die Bauern der Umgegend: Pefähl an die Pauer n. Weilen in de große Hitze das eile Willtprett in ehlenben matten Zustand fersetzt worden ist, so ergeet an Euch dorch mich hochferschtlicher Pefähl, das ihr des Dages u. der Nacht euhre Hunne an de Kethe leht u. nich nur an Dage u. Nachts lohß laßt, wie eure tumme Mote is, süß schieß ich alles tot, waß lohß is un wenns Gott straf mich mei Brüter währ der hochserschtliche Förster Anton Niemair.