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Sprachgepflogenheiten und Grenzen verwischt werden. Eine Reihe von Sachgebieten sollen besonders auf ihren Wort schatz und ihre Ausdrucksmöglichkeiten untersucht werden. Es werden gesammelt Ausdrücke für den Wohnort und seine Umgebung, für die Teile des Hauses, für das Fami lienleben, Kinderspiele, Kleidung, Speisen, Mahlzeiten, Körperteile von Menschen und Tieren, Krankheiten, Geld, Maße, Gewichte, Gesteine, Wcttererscheinungen, ferner das Sprachgut der Land- und Viehwirtschaft, der Fabrikarbeit und des Handwerks, die reiche Menge von Ausdrücken für Teufel, Geister, Aberglauben überhaupt, auch Flüche, Wünsche, Beteuerungen, Grüße, Neckereien und Schimpf worte sollen nicht vergessen sein. Dies ist nur einiges aus der Fülle dessen, was der aufmerksame Beobachter Tag für Tag an seiner eigenen Sprache und an der Sprache ande rer hören kann. Der Fragebogen, der vor allen Dingen an die Lehrerschaft versandt wird, die ja immer hilfsbereit und geneigt war, solche Forschungen tatkräftig zu unter stützen, kann erfahrungsgemäß nur einiges davon erfassen. Und die ständigen Mitarbeiter der Mundartenstelle, vor zugsweise Studenten, sind zeitlich so gebunden, daß sie aus ihren Mundartwanderungen nur geringe Teile des in Frage kommenden Gebietes abgehen können. So bleibt es ein Wunsch, der wie in anderen Teilen des Reiches auch hier iu Erfüllung gehen möge, daß auch sonst noch frei willige Mitarbeiter sich zahlreich melden. Jeder, der Freude am heimischen Volkstum hat, sei er Akademiker oder Ar beiter, wohne er auf dem Dorf oder iu der Stadt, sei er jung oder alt, kann hier das Seine beitragen, eine wissen schaftliche Tat zu vollbringen, über deren Wert sich kein Zweifel erhebt, und damit wird das Wörterbuch der Mund arten Sachsens nicht zu einem Werke weniger gelehrter Männer, sondern es ist getragen von weiten Schichten des gesamten Volkes. Das Institut (Leipzig, Universitätsstraße 7—9) verschickt ans Wunsch an Interessenten Fragebögen und Richtlinien, auch Zettelblocks für Aufzeichnungen, und ist auch für sonstige Hinweise auf sprachliche Eigentümlich keiten einer Gegend oder eines Dorfes dankbar. Die Pest E. Nierich, Neukirch Der Schulmeister Petrus Geißler saß in seiner ärm lichen Wohnung und trug die Geschehnisse des letzten Jah res in ein dickes Buch, die „Kirchen-Cronica", ein. Wenn er den Federkiel in die Tinte tauchte, seufzte er tief) denn die schrecklichen Bilder des Kroateneinfalles vom Jahre 1631, die Flucht der Bewohner in den Hohwalö war allen noch zu früh im Gedächtnis. Als die Vertriebenen wieder- kamen, fanden sie ihr Neukirch in einem furchtbaren Zu stande wieder. Das Freigut der ohnehin schon verarmten Familie von Parzifeld war bis auf den Grund nieder gebrannt worden und blieb lange Zeit als „Wnstlung" liegen, weshalb es im Volksmunde den Namen „Wustlche" bekam, in den beiden Rittergütern war nicht ein einziges Möbelstück, kein Schloß, keine Glasscheibe, Fensterrahmen, Tür und Tor, so nicht zerschlagen worden wäre. Selbst den unglücklichen Ritter Ulrich den Zweiten von Nostitz, der nach Bischofswerda hatte fliehen wollen, fand man in der Nähe der Stadt erschlagen auf. Es gab wohl kein Haus, das nicht von den Schreckenstagen Zeugnis ablegen konnte, selbst der „Turmseiger" war von den Soldaten „zerbeigt". Notdürftig hatte der Schulmeister das Strohdach wieder mit dürrem Waldgrase ausgebessert, die Fenster mit Pa pier verklebt und aus angekohlten Brettern einer abge brannten Scheune eine Tür gezimmert, aber die wenige ärmliche Wohnungseinrichtung zeigte noch überall Spuren des Kroatenbesuches. Er schloß den Bericht mit der trau rigen Feststellung, daß außer dem genannten Ulrich von Nostitz noch andere Bewohner unter den Händen der Kroa ten ihr Leben hatten lassen müssen: Georg Schöne, Christof Böhme, Peter Werner, Kirchvater Martin Thomas aus I Ringenhain und ein Mühlknappe aus Neukirch, welcher zwischen Diehmen und Dretschen erschlagen wurde. Petrus Geißler schob die Messingbrille auf die Stirn und blickte gedankenschwer hinaus durch die blinden Fensterscheiben in den grauen Nachmittag. Unaufhörlich rann der Regen vom Himmel, troff in unzähligen Wassersällchen vom mor schen Strohdach und verwandelte die vernachlässigte Dorf straße in graubraunen Morast. Doch die Bewohner Neu- kirchs blickten dankbar zum Himmel auf,- denn bei solchem Wetter hatten sie Ruhe und brauchten keine Feinde zu fürchten. Eben hatte der Magister diese Betrachtungen, als er durch ein Geräusch von der Straße aus seinem Sinnen gerissen wurde. War es ihm doch gerade, als ob ein müder Pferdehuf langsam durch die Pfützen patschte und ab und zu auf einen Stein träte. Schnell langte er nach dem mit einem Bleiknaufe versehenen Spazierstocke, denn irgend eine Waffe hatte jeder bei sich, und glücklich war der zu preisen, der auf irgendeine Weise in den Besitz eines Faust rohres gekommen war. Er öffnete das verklebte Fenster nnd sah eine Jammergestalt im strömenden Regen auf dem Wege halten. Ein klapperdürrer, mit Kot bespritzter Gaul blieb vor Entkräftung zitternd stehen und hielt den strup pigen Kopf wie in stiller Ergebung in sein Schicksal tief gesenkt. Auf einem zerfetzten Sattel saß oder vielmehr hing eine elende Gestalt. Man konnte nicht einmal sagen, ob es ein Soldat oder ein Bauer war. Die fieberglühenden Augen blickten stumpf ins Leere. Der Schulmeister sah, daß dieser elende Mensch, der sicher Schreckliches erlebt hatte, kein Feind war, und obwohl Armut und Not selbst allzu oft zu Gaste waren, stieg ihm doch Mitleid mit dem Elenden auf, nnd er trat vor die Tür. Der Pfarrer, der auch aus dem Hause getreten war, half ihm, den Kranken, der fast vom Pferde fiel, in das Schulhaus tragen und auf eine Schütte Stroh betten. Er lobte diese Tat der Nächstenliebe, die ihm Gott sicher lohnen würde. Am nächsten Morgen war der fremde Heiter tot, ohne daß man von ihm das Wer und Woher erfahren hatte. Auch sein Rotz lag verendet auf der selben Stelle, an der man den Reiter heruntergehvben hatte. Als der Medicus kam und die Leiche besichtigen wollte, rief er voll Schrecken aus: „Leute flieht, chr habt die Pest im Hause!" Voll Entsetzen rannten alle davon und ließen den schreckensbleichen Magister mit dem gefährlichen Toten allein. Man hatte zuviel Schreckliches von der ver heerenden Seuche gehört, die überall im Lande auftauchte und unbarmherzig ihre Opfer forderte, daß man nicht ge wußt hätte, welche Gefahr dem Dorfe drohte. Der Schul meister taumelte hinüber zum Pfarrer, und bereits am Nachmittage hatten er und der Totengräber das Grab fer tig, das den unheimlichen Fremden aufnehmen sollte. Am folgenden Tage legte sich Geißlers Frau, und blaue Beu len verrieten als untrügliches Zeichen, daß die Pest auch hier zu ernten begann. Am Abend saß er weinend am Totenbette seiner treuen Gattin, während nebenan die Kinder bereits im Fieber lagen. Das also war der ver heißene Gotteslohn für sein Mitleid dem kranken Frem den gegenüber. Boll Schmerz zerwühlte er sich das Haar, da klopfte es an die Tür, und die Frau des Nachbarn bat um Hilfe, da ihr Mann in der Stube liege und irre rede. Geistesabwesend starrte sie Petrus Geißler an, dann deu tete er auf sein totes Weib, und jammernd stürzte die Frau davon. Am andern Tage stand der Schulmeister ge brochen an einem großen Grabe, in dem sein Weib und seine beiden Kinder lagen, aber auch der Pfarrer konnte nur den Segen mit umflorter Stimme über die Toten sprechen, lag doch auch sein Sohn, der ihm als Substitut neun Jahre im Amte geholfen hatte, darunter. Von dem Tage an hörte man fast alle Stunden das Totenglöckchcn jammern, so daß man eine Entschließung fassen mutzte, daß die Toten ohne Sarg und Gelänt in gemeinsamen gro ßen Gruben nur unter dem Segen des Geistlichen beerdigt würden. Das 1376 erbaute Bcinhans konnte die notgedrun gen ausgegrabenen Totengebetne nicht mehr fassen. Nach-