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nahe wäre der stille Marktplatz noch einmal in das grelle Licht der Geschichte gerückt: Waldstein, der Herzog von Friedland, ersuchte den Kaiser, ihm den zu Friedland ge hörigen Markt Seidenberg gegen bare Bezahlung käuflich zu überlassen. Aber der Kaiser konnte dem Wunsche seines Feldherrn nicht nachkommen, da die Besitzverhältnisse der Herrschaft aufs äußerste verworren lagen, und so erstand sie Christian v. Nostitz auf Quatitz für 46 000 Gulden. Heute erinnert in Seidenberg kaum etwas an die Zei ten einstiger Größe. Der große geräumige Marktplatz liegt still und schweigsam tm Frühlingsmorgen. Steinerne Wohn häuser, dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts ent stammend, umgeben ihn. Man sieht es ihrer schmucklosen Nüchternheit an, daß ihre Erbauer arme Leute waren. Einer der unglückseligen Stadtbrände legte 1834 fast die ganze Stadt in Asche. Ich durfte einen alten Kupferstich sehen, der den Marktplatz vor dem Brande zeigt. Eine Perle kleinstädtischer Baukunst wurde durch das Feuer vernichtet. Spitzgiebelige Fachwerkhäuser stehen eng anein andergeschmiegt, die Giebelseite dem Markte zugekehrt. Weit springt das obere Stockwerk über das untere vor, durch kunstvoll geschwungene Säulen gestützt. Da ziehen sich trauliche Lauben rings um den Markt, das Haudwerker- und auch das Familienleben bei gutem und schlechtem Wetter hinaus ins Freie lockend. Vom Marktplatz aus steigen steile Straßen nach der oberen Stadt und nach Alt-Seidenberg. Alt-Seidenberg, ein Lausitzer Dorf mit traulichen, einstöckigen Häusern. In grüne Wiesen gebettet, kriecht es die sanften Hänge hinauf. Unten im Tale an der Straße plätschert und murmelt der junge Bach. In einem Garten, in dem Narzissen sich zu üppigen Sträußen ballen, in dem Windröschen und Him melschlüssel im leichten Winde sich wiegen, hackt ein alter Mann, dem man ansieht, daß er der 80 nahe steht, seine Kartoffelbeete. Ich geselle mich zu ihm. Bald sind wir im lebhaften Gespräche. Nun merke ich erst recht deutlich, daß ich noch im Lausitzer Lande bin, denn der Alte spricht reine, köstliche, unverfälschte Mundart, und ich antworte ihm in gleicher Weise. Da gucken die Nachbarn neugierig durch die blanken Scheiben, da bleibt manches Vorübergehende auf der Gasse stehen und lauscht, was wir so eifrig zu reden haben. In dieser Mittagsstunde im stillen Garten erstand vor mir noch einmal eine längst zerstürztc Welt, aus der nur noch einige ehrwürdige Gestalten bis in unsre Tage herüberragen. In unserer Sichtweite lag der Niederhof, ein mächtiger, steingefügter Herrschaftsbau. Da gab es keine Ecke, keinen Winkel, von dem mein Alter nicht eine Geschichte zu erzählen gewußt hätte. Und während in der bedächtigen, langsamen Sprache des Alten vergangene Zeiten aufstiegen, lag das Mittagslicht golden und heiß wobend im Kirschbaume über mir. Der zitterte im Über schwange der drängenden Kräfte, jeden Augenblick bereit, die Knospenhüllen zu sprengen, um als sieghafter Verkün der jungen Lebens in seinem Schmucke zu prangen. Nachdem ich durch das Dorf Küpper gegangen bin, wandere ich dem Urberge zu. Der Urberg liegt dort, wo das deutsch-böhmische Land wie eine Zipfelmütze in die Lausitz vorspringt. Dort auf dem Urberge soll früher ein Naubschloß gestanden haben, eine weiße Fran geht nm, und mein Alter ans Seidenberg hat mir eine gar seltsame Ge schichte von ihm erzählt. Die heißt so: Einer Kantorsfrau in Kerlachsheim, die früher dort lebte, ist immer Geld weggekommen. Das ist die Dienstmagd, hat sie gedacht, hat aber nichts beweisen können. Da ist sie nach Böhmen in den „Grund" gegangen zum alten Scharfrichter und hat gesagt: „Wenn Sie doch den nm den Hals bringen könnten, der mir immer das Geld nimmt." „Könn' mer machen," sagte der. „Wenn s aber Ihr eegen Fleesch und Blut wäre?" „Das ist ganz egal," sagte die Frau, denn sie dachte: „Es ist ja doch das Dienstmädel. „Na, ich werd' machen, daß der Dieb bei lebendigem Leibe fault," sagte der Scharfrichter. Gibt aber der Frau ein Briefe!, spricht: „Wenn Sie's reut, bringen Sie mir das Briefe! wieder, da kann ich's zurück nehmen." Auf dem Heimwege muß die Kantorsfrau über ein Vrückel. Und da sie der Dienstmagd das Schlechteste wünscht, schmeißt sie das Briefe! ins Wasser. Es dauert nicht lange, fängt der Kantorssohn an zu kranken. Sein Leiden wird immer schlimmer. Zuletzt gesteht er der Mut ter, daß er das Geld genommen hat. Die läuft was sie kann zum Scharfrichter, er soll's zurücknehmen. Der sagt: „Gebt mir das Briefel." „Ach, das hab ich ins Wasser geschmissen." Die Sache mußte ihren Gang gehen. Der Sohn wurde immer elender und verfaulte bei lebendigem Leibe. Als die Kantorsfrau starb und begraben wurde, stand kein Wölklein am Himmel. Da zuckt ein Blitz nieder und schlägt in den Sarg. Aber auch im Grabe hatte die Frau keine Ruhe. Sie ist immer umgegangen. Da hat sie der Pastor hinaus ans Börnel am Urberge verbannt. Der Pastor, der's gemacht hat, ist lahm geworden davon. Er hat sich als Student eine Kleinigkeit zuschulden kommen lassen. Aber er hat der Verbannten ein Töppl ohne Boden hin gelegt. Und hat gesagt: Wenn du wirst mit dem Töppel den Born ausgeschöpft haben, darfst du wieder rein ins Dorf. Draußen am Börnel fliegt immer ein großer, schwar zer Vogel, Sommer und Winter. Das ist die Kantorsfrau aus Gerlachsheim. Bon Gerlachsheim bin ich in das Queistal hinunter gestiegen. Da türmt sich ein Landschaftsbild auf, wie es die Lausitz nur selten bietet. Im Vordergründe die Hügel zu beiden Seiten des Queislaufes, im Mittelbilde die schweren, wuchtigen Rücken des Jsergebirges. Von der Tafelfichte wühlen sich Schneemassen wie weiße Stromläufe zu Tal. Grell gleißt die Sonne über weiten Waldflächen, während andre im schwarzen Schatten ruhen. Und über den dunklen Urweltriesen des Jsergebirges schwingt hoch auf, schweigend und silberkühl, die Reihe der Riesenberge. Sie funkeln im tiefen Schnee. Blühendes, klingendes Leben um mich, drü ben tiefer Winter. Und doch ist es, als ob all unsre Lau sitzer Hügelketten nichts wären als eine glückhafte Vor ahnung jenes hohen, schweigsamen Gebirges, als ob sie nichts wären als das verebbende Gekräusel jener mächtigen Woge dort drüben. Als ich in Marklissa ankam, hatte sich der strahlende Tag geschlossen wie eine Blüte. Graue Wolken krochen über den engen Himmel und spendeten ihr befruchtendes Naß. An die Fenster des Ateils klatscht der Regen. Mein Nach bar erzählt mir lustige Angelgeschichten aus der Talsperre. Ich merke, daß die Fischer die Brüder der Jäger sind. Denn sie reden auch Latein, amüsanter wohl, als es Cicero sprach, aber es ist Latein. S. Opern-Erfolg eines Oberlausitzers Am Sonntag, dem 22. April, erlebte im Koblenzer Stadttheater die Legenden-Volksoper „Richmodis" die Ur aufführung. Uns interessiert diese Tatsache, weil der Schöpfer der Musik ein Oberlausitzer ist: Hermann Unger aus Kamenz. Er ist dort am 26. Oktober 1886 geboren, hat die Grimmaische Fürstenschule und die Uni versitäten Freiburg, Leipzig und München besucht und sich dann der Musik zugewandt. Er war Kompositionsschüler von Edgar Jstel, Joseph Haas und zuletzt von Max Reger, bei dem er zwei Jahre in Meiningen zubrachte. Nachdem ihn der Krieg auf die Schlachtfelder in Frankreich und im Orient geführt hatte, lebte er in Köln als Komponist, Leh rer und Schriftsteller: seine zahlreichen Werke fanden in den letzten Jahren sehr raschen Erfolg. Der Stoff der neuen Oper stammt aus dem Schatz der Kölner Legenden und ist nach einer Dichtung Emil Kaisers von Karl Erich Jaroscheck für die Bühne bearbeitet worden. Die „Signale" berichten über das Werk: „Professor Dr. Hermann Ungers Musik ist die eines außerordentlich so-