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sollte er den Fremden noch fragen? Eine Weile standen sich die Männer stumm gegenüber, der eine voll Angst und Bangigkeit, der andere voller Zweifel und Staunen. Da richtete sich der Fremdling auf und sprach mit bitten der Stimme: „Monsieur, ick sprecken die Wahrheit. Ick sein geflohen vor Napoleon aus Frankreich." Der Stadtrichter hatte kaum den Namen Napoleon ge hört, als er sich emporrichtete und ausrtef: „Was sagt Ihr? Vor Napoleon geflohen?" „Es sein so," antwortete jener bescheiden. „Verraten Sie nicht eine unglückliche Priester," bettelte er und erhob die Hände. „Wo haben Sie Ihren Hut, Herr, Herr . . ." „Pasterelli heißen ick." „Herr Pasterelli." Der fremde Mann warf ihm einen dankbaren Blick zu. Aus den mit müder Stimme gesprochenen Worten mochte er erkannt haben, daß ihm dieser Mann nichts zu leide tun würde. Er kehrte sich um und brachte aus dem Gestrüpp Hut und Stock zum Vorschein. „Nun kommen Sie mit mir," redete ihn der Stadt richter an. Viel Zeit durfte nicht mehr versäumt werden. Die Sonne war hinter den Bergen verschwunden. Lang sam senkten sich die Schatten der Bergnacht hernieder. Vom Kirchlein herüber tönte das Glöcklein. Der Stadtrichter schritt langsam mit dem fremden Mann bergab dem Städt chen zu. Nach kurzer Wanderung lag der Wald hinter ihnen. Kein Wort sprachen die beiden Männer unterwegs. Als der Stadtrichter mit dem seltsamen Fremden zu den ersten Häusern kam, blinzelten die Leute verwundert auf das merkwürdige Paar. Wen mochte der gnädige Herr Stadt richter da bringen? Es war schon dunkel, als er mit sei nem Findling über den Markt hinweg nach seinem Hause zu schritt. Vor dem Tttrmchenhause machte er halt und sagte freundlich: „Hier wohne ich, Herr Pasterelli. Wenn Sie die Wahr heit gesagt haben, sollen Sie mein Gast sein." Der Stadtrichter hatte diese Worte langsam gespro chen, so daß der Fremde jedes Wort verstehen konnte. Überglücklich sank er auf die Knie, haschte nach den Hän den des überraschten Stadtrichters und rief: „Merci, bien merci, monsieur. Mon Dieu." Rasch hob ihn der Stadtrichter auf und hieß ihn folgen. Sie schritten miteinander die Holztreppe hinauf. Vor der Tür sagte der Stadtrichter: „Warten Sie hier, Herr Pasterelli, ich komme gleich wieder." Mit wenigen Worten klärte er seine Frau auf. Diese hatte ein mitleidiges Herz. Das Wort „vertriebener Prie ster" verfehlte nicht seine Wirkung auf ihr Frauengemüt. „Wie?" jammerte sie, „ein Priester? Vertrieben? Hol ihn, Adi, geschwind!" Der Stadtrichter nahm den draußen Harrenden an der Hand und führte ihn in die Stube. Als die Frau Stadt richter den verwildert aussehenöen Mann erblickte, der be scheiden an der Schwelle stehen geblieben war, erschrak sie. „Mein Gott," stammelte sie. „Was muß er gelitten haben." Adam Reime hatte den Fremdling bis zum Tische ge führt, auf dem die Lampe stand. Ihr Schein ließ den Mann noch dunkler aussehen als bei Tage. „Ist es auch wirklich wahr," wandte sich Frau Magda- len an ihren Mann. „Sagen Sie es selbst, Herr Pasterelli," wandte sich dieser an den ängstlich harrenden Fremdling. Gütig klangen seine Worte. So hörte man den Stadt richter selten sprechen. Sie machten dem Fremden Mut. Er verbeugte sich leicht und sprach: „Madam, ick sagen die Wahrheit. Ick sein ein Priester, eine katholische Abbee." Mit zitternder Stimme hatte er die Worte gesprochen. „Armer Mann," lallte die Frau Magdalen und reichte die Hand, die dieser rasch ergriff und küßte. „Wir müssen ihm helfen, Adi," sprach sie zu ihrem Manne, der ihr gütig zunickte. Zum Abbee gewendet, sagte sie in ihrer raschen Weise: „Bleiben Sie bei uns, Herr Abbee! Wir wollen Ihnen Obdach geben." Der sah sie verständnislos an. „Mußt ganz langsam sprechen, Magdalen, sonst ver steht er es Nicht." Das tat sie denn auch. Freudiger Schreck durchzitterte den Abbee. Er verstand. „Merci, merci," stammelte er und legte die Hände auf die Brust. Nun kam Leben in die Hausfrau. Sie rief die Magd und befahl ihr, das Gastzimmer zu richten. Dann nötigte sie den Fremden, sich zu waschen. Draußen in der Küche holte sie Wasser, Seife und Handtuch herbei und ließ ihren Gast allein. Unterdes gab sie Anweisung, ein Abendbrot anzurichten, und als nach einer Weile der fremde Mann ins Zimmer trat, sah er schon ganz anders aus wie bei der Ankunft. Frau Magdalen holte den Hausrock ihres Mannes herzu und ließ nicht eher Ruhe, bis ihn der Abbee anlegte. Danach brachte sie ein Paar Hausschuhe und bat ihren Gast, auf dem geblumten Kanapee Platz zu nehmen. Als nun auch noch ihr Sohn Karl mit dem Abbee bekannt ge macht worden war, trug die Magd das Abendessen auf. Der Fremdling saß bescheiden auf seinem Platze. An seinen ganzen Bewegungen erkannte man, daß er ein gebildeter ! Mann sein mußte. Seine Augen glänzten feucht. Tausend ! Gedanken durchstürmten seine Brust. Er konnte das Glück - nicht fassen. Vor Stunden noch ein elender müder Flücht- ! ling und jetzt ein Gast in so vornehmem Hause. „Gottes Wege sind wunderbar," murmelte er. Frau Magdalen riß ihn aus seinem Grübeln und nötigte ihn zum Essen. Je länger ihn der Stadtrichter beobachtete, um so mehr wurde es ihm zur Gewißheit, daß der fremde Mann die Wahrheit gesprochen hatte. Ein warmes Gefühl der Zu friedenheit üurchströmte ihn, und er hatte seine Helle Freude über die sorgsame Geschäftigkeit seiner Frau. Gern hätte sie das Schicksal ihres Gastes erfahren. Aber sie bezähmte ihre Neugierde und wollte dem Abbee Zeit lassen, bis er sich ausgeruht hatte. Ein müder Zug malte sich auf seinem Antlitze, so daß der Stadtrichter selbst vorschlug, zur Ruhe zu gehen. Er geleitete den Gast ins Stübchen und wünschte ihm eine „Gute Nacht." „Bon soir, bon soir, merci bien," kam es von den Lippen des Flüchtlings. Der Stadtrichter mußte sich gewaltsam die Dankes bezeigungen des Abbee verbieten, die er ihm tränenden Auges immer und immer wieder zu bezeigen versuchte. Unten im Stübchen saßen die Ehegatten noch lange bei sammen und unterhielten sich über den Gast, bis sie end lich in dem Bewußtsein, ein gutes Werk getan zu haben, selbst zur Ruhe gingen. Noch lange lag der Stadtrichter wach. Der fremde Priester ging ihm im Kopfe herum. Nach Rußland wollte er. Das war noch weit, sehr weit sogar. Wer weiß, ob er glücklich dahin kam. Und den Weg? Ja, den wußte er selbst nicht. Aber zum Pfarrer könnte er mit dem Abbee gehen und mit ihm beratschlagen, wie dem Flüchtling geholfen werden könnte. Das würde das beste sein. Der würde schon Rat wissen. Aber vorläufig sollte er bei ihm bleiben. Die Schützerrolle gefiel ihm, je mehr er sich damit beschäftigte. Und seine Schirgiswalder? So un botmäßig sie waren, eins mußte er ihnen lassen: Zur Kirche hielten sie. Und wenn es bekannt wurde, daß er einem ver triebenen Priester Rettung und Obdach gegeben hatte, würde ihnen diese Botschaft sicher gefallen und er in ihrem