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Ein Wintertag am Oybin Bon Max Zeibig, Bautzen *) wischen Herbst und Frühling schlummert das aller, schönste deutsche Märchen, Winter genannt, und wo es seine Wunder breitet, blendet und leuchtet das Land mit Schnee, glitzert Frost, funkeln Eiskristalle und die Sonne zaubert einen einzigen silbernen Schimmer in das Ge- leucht. Die Menschen, die diese Welt wie Märchengeister durch» wandern, die bergein Pfeilen und sausen, jauchzen und jubeln, werfen mit ihren roten, grünen, gelben, blauen Gewändern ein sonst sommerhaft blühendes Bunt in die Landschaft und in ihre Freude hängt sich das ferne, schöne Gekling melodischer Schlittenglocken. Wo mag dieses Märchen am schönsten sein? Wo das Meer frostgebunden bis zum Horizonte läuft und geblähte Segel sorglose Menschenkinder über das Eis jagen? Wo Bergbäche tosend in die Tiefe stürzen und ihre Wasser nun zu wunder- liehen Gestalten verzaubert sind? Wo die weiße Welt sich un gemessen ins Weite dehnt, erfüllt von einer unbeschreiblichen Stille und Einsamkeit? — Ich weiß einen traulichen Winkel im deutschen Land, der ist voller Großmutterheimlichkeiten. In seiner Stille hörst du d*e Scheite knistern im Kamin, wie damals, als du zu Großmutters Füßen saßest und sie dir das holdeste Märchen erzählte, das Schneewittchen hieß. Der Oybin im Lausitzer Land ist dieses Schneewittchen unter allen deutschen Wintermärchen. Aber es schläft nicht mehr im gläsernen Sarg. Es ist lebendig geworden. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend bringt die schwer schnaufende Eisenbahn einen Trupp Menschen um den andern, vorbei an der Teufelsmühle, hinauf zum Berg. Eigent- ltch ist es ein ganzer Kranz von Bergen, der den Talkessel umringt. Mitten darein ist eine mächtige, dreimal gestaffelte Felsenglocke gestülpt. Du magst das im Sommer sehen, wenn die Welt in ein fröhliches Grün getaucht ist, und Fichten und Kiefern ihren schweren Duft ausatmen. Du wirst entzückt sein von dem An- blick und von der glücklichen Lage des Dorfes, das sich um die Felsen schmiegt. Schaust du aber diesen Winkel an einem Hellen Wintertag, wenn die Sonne von einem fast Veilchen- blauen Himmel herniederstrahlt, wenn Schnee und Reif ihre Wunder gewirkt, dann vermagst du dich sicher vor Freude kaum zu fassen. Da guckt ein Felsen in das Tal. Sieht er nicht aus wie ei» guter dicker Bäckermeister? Und das Bergkirchlein, das sich in halber Höhe über die Häuser hebt, ruft und ruft und will sich zeigen in seinem bescheidenen Schmuck, mit seinen Kränzen und bunten Bändern. Wenige Stufen bergauf thront die Burg Oybin. Welcher Zauber spinnt um dieses verfallende Gemäuer. Das Kaiserhaus starrt zerrissen in den verlassenen Hausgrund, wo zur Sommerszeit fahrende Leute ihr Sezelt aufschlagen. Säulenhaste Felsen ragen hinauf zur Höhe und schauen aus wie Mönche, die Fackeln in der Hand halten. Vergessenheit webt über dieser Stätte. Vergessen ist der Menge Karl IV., der die Zölestiner Mönche von Avignon und Paris hierher rief, für die Zittauer Bürger ein Kloster in der Burg errichten mußten. Vergessen sind Kreuz und Buch und Mönchsgebet. Nur manchmal geistert der Zug der Mönche durch die hohen Räume und stillen Gänge. Dann hallt es fromm und schön hinein in das verschlafene Rauschen der Winde: ors, ora pro nobis." Dein Glücklichen, der je solche Stunden er leben durfte, dämmert wohl herauf, daß dieser Berg einst eines Kaisers Trost geheißen ward. Aber lang ist das alles dahin. Die letzten Mönche vom Oybin wurden in jenem unheilvollen Jahrhundert, darinnen sich Deutschland selbst zerfleischte, be- graben, und die Abendsonne, die von der Lausche herüber ein- geht über Burg und Kloster, findet keine Scheiben mehr in den spitzen Bögen, daß sie ihren Glanz darinnen spiegeln könne. So spielt sie leise mit dem zerbröckelnden Maßwerk und streift zärtlich über die erstarrten Ruten, die über das Ge- mäuer ragen. Vielleicht muß es so sein, daß der Oybin den Sinn in Ernst gefangen hält, liegt doch auch eingebettet in diesem Berg- frieden der Kirchhof der Gemeinde Der Schnee hat die Gräber dicht verhüllt, und die Wehen ragen wohl über Kreuz und Namen. Aber dort, wo ein barockes Grabmal im Schutz der Felsen ruht, sind Wort und Schrift noch genugsam zu ent ziffern, und wir lesen, daß hier ruhe: »Die Anna Rosina Zeißig, verehlicht an Michael Zeißig, Weber und Gemeinde, ältester allhier, mit welchem sie 53 Jahre und 7 Monate in vergnügter Ehe, ob zwar ohne Leibeserben, gelebet". Wir lächeln ob der Zeit und der Art, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, und dieses Lächeln geleitet uns um den Bergringweg, der uns über Tiefen und durch hohle Felsengassen führt, immer einen prächtigen Blick aus das Tal vor uns breitend. Ber- knorrte Kiefern, die ihre Wurzeln mühsam in die Felsen krallen, greifen mit braunen Stämmen in die Höhe und beugen Zweige und Nadelbüsche unter der Last des Schnees. Der Himmel ist einmal blau und einmal grau. Dann und wann flockt es ungemein weich und fein hernieder und erhöht die Traulichkeit, die wir im Wandern um den Oybin empfinden. Wo südwärts die tzöhenstraße über Hayn nach Böhmen steigt, herrscht lachendes Leben und seine Rufe hallen bis in unsere Stille, daß wir uns verlocken lassen, ihnen zu folgen. Winterpracht umhüllt Wald und Dorf. Rauhreif hat Baum und Strauch und die Ranken, die um Lauben und Veranden spielen, in Zuckerstangen verwandelt, und die Telegraphendrähte laufen wie Silberfäden durch die blaue Luft. Bon den Hängen saust die Jugend in toller Fahrt. Die Alten geben sich ein Stell- dichein in einer deutschböhmischen Baude, die mit Plakaten „Heute Windbeutel mit Schlagsahne" in ihr Schlaraffenland lockt. Ist es ein Wunder, daß wir folgen? Und ist es ein Wunder, daß ein kleiner, dicker, rotbäckiger Bube mit ganz großen schwarzen Augen sagt: „O, Mutter, wenn der ganze Schnee Schlagsahne wäre! Das wär aber fein!" Aber noch einmal hinaus! Seht da, die Lausche! Seht im Norden das Lausitzer Land! Und seht im Süden die Berge Welle um Welle nach Böhmen rauschen! Der Hochwald winkt. Wir klimmen hinauf. Eine Eisburg ist die Wirtschaft gewor- den. Nun saust der Schlitten talein. Hei, das ist ein fröhlich Leben! Macht Herz und Augen blank! Am Dorfende klingt eine Leierkastenmelodie unendlich weh- mütig in den Abend: „Dort tief im Böhmerwald, wo meine Wiege stand!" Das Glockenspiel der Dorfkirche läutet dazu seinen Abendsegen: „Ach bleib mit deiner Gnade". Vom Bahn hof tönt der Pfiff der Lokomotive. So geht das Märchen mit Musik zu Ende. *) Aus dem Buch „Deutsche Wanderfahrt", das als 6. Band in der Heimatbllcheret des tzeimatschutzes erschienen ist und bet Publikum und Presse allerbeste Beurteilung erfährt. Der 1. Teil de, Buches ist ein großes „Lob der Lausitz". Zun Wintersport on Oybn Bon A. Weber, Zittau ie mer jitz die Obd amo raicht gmittlich derheem an Stübl soaßn, do koam mer o oufs Watter zu sprech«, 's woar a raicht schiener Tag gwast und ich soite: „Nee, wie schien heut d'Sonn zun Stub- fanstern rei lachte! 's woar wie an Frühjahr." „'s is o raicht gut su," meente d' Gabler-Selma aus Reichnau, die groad zu Bsuch do woar. „Ich hoa 'n Winter soatt." Und nu ging aber a Gschimpf lus wie an Schnürt, doas ne kleen woar. „Ich koann doas ne verstiehn," soit sie, „wie d' Leut su oalbern sein könn und a dan Schnie und a dar Kält römlausn vo früh bis obds. Ich bie a eenzg Mol ubn gwast an Oybn, ich komm an Winter nemie hie. — A jeds soite, ich müßt mersch amo oasahn. 's wär zu interessant. Und glei mit 'n erschtn Zug sollt 'ch soahrn, doas wär an bestn. Doas hoa'ch