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Grenzlandwandening Bon Martin Weise, Dresden ach schönen Wintertagen war Tauwetter eingetreten. Die Erde wechselte ihr Kleid von Dorf zu Dorf. Lag in dem einen Dorfe noch Schnee und sah man dort noch Kinder schnell die schwindende Herrlichkeit ausnützen, so zeigte das nächste Dorf mit seinen Felderbreiten und Hangäckern schon jenes unerfreuliche Bild von schmutzigem Schnee und aufgeweichter Erde mit trostlosen Lachen und Bäch lein. Unaufhörlich peitschte der Wind den Regen an die Wagenfenster. Wir hatten Hoffnung, daß es in den Bergen anders sein und es dort statt regnen schneien würde. Oybin. Die Kleinbahn hat ausgeklingelt — und aus geklagt über den Berg, den sie erkrächzsn mußte. Im Dorfe fußhoher Schnee, aber es regnet, regnet. Die Wolken hängen wie Säcke am Himmel und treiben tief. Der Wind pfeift von Nordwest und schüttelt den Schnee von den Fichten. Über den Scharfenstein geht unser Weg, mühsam und beschwerlich, drei Schritte vorwärts, zwei zurück. Die Straße nach dem Forst haus Lückendorf ist vereist, aus dem Straßengraben drehen uns hohe Schneewehen ihre Nasen. Die Obstbäume an der Straße glitzern wie Kristall. Dämmerung und Nebel hüllen das Land ein. Kein Laut. Der Wind treibt uns Eisschauer ins Gesicht und macht unsere Reden stumm. Aus dem Forst haus Lückendorf wirft eine Petroleumlampe spärlichen Schein auf die vereiste Waldstraße. Im Dämmern des Tages steigen wir von den Bergen meiner Heimat nieder, überschreiten die Grenze und sind in fremdem Land. Fremdes Land? Nein! niemals! Deutsches Land, deutsche Hütten, deutsche Menschen! Nur die Namen sind andere geworden und die Sprache, die diese Menschen dort jetzt sprechen sollen, ist eine andere, ist fremd. Und die, die das Machtwort in diesem schönen Lande jetzt sprechen, die jetzt befehlen und regieren, sind Fremde. O Böhmen! Deutsches Vaterland, heilige deutsche Erde! Der Winter hält dich gefangen, aber auch für dich wird der Frühling kommen und wird dich befreien von der Last und dem Druck des Winters! Wälder und Brachen, gekrümmte Waldwege und Hügel, eingehüllt in tiefen Schnee. Darüber der graue, schwere Himmel, aus dem die Nacht geboren wird. Kein Mensch be gegnet uns. Kein Tier scheut vor unserem Kommen. Das Aufschlagen des Eisregens auf unsere festgefrorenen Jacken ist das einzige Geräusch. Das Grauen geht um und stiert aus dem winierlichen Wald. Es ist, als ob Menschen hinter uns her kämen, Riesen mit gewaltigen Keulen, in gemessenem Ab stande, lauernd und mit verhaltenem, höhnischem Lachen. Es ist Naä t geworden. Auf unbekannten Wegen wandern wir bergauf und bergab. Da schimmern endlich durch den Winter wald Lichter. Wie Irrlichter leuchten sie auf zwischen den Kiefernstämmen, tauchen aus der Finsternis für kurze Zeit auf und verschwinden wieder, um nach wenigen Schritten wieder in die Nacht zu blinken. Finkendorf. Wie Kater mit glühenden Augen sitzen die Holzhäuser auf der Schneefläche. Ein Muttergottesbild steht am Wege, schwarze, kantige Formen mit einem Kreuz dahinter. Und doch ist es, als ob im Borübergehen ein Lächeln aus dieser schwarzen unkenntlichen Masse käme. Eine eigenartige Mundart tönt an unser Ohr, als wir Dörfler nach dem Wege fragen. Beim Krämer kaufen wir Semmeln. So ein Dorf krämer hat alles: Semmeln, Holzpantoffeln und Sauerkraut, Wachskerzen, Rosenkränze und Heiligenbilder, Backobst, Seife und Krawatten. Es ist, als ob er alle Herrlichkeiten der Welt aufspeichern und feilhalten wolle. Ein Förster, die Flinte über den Rücken hängend, be gegnet uns. Er erwidert unseren Gruß. Aus jedem Hause fällt der warme Schein einer Petroleumlampe auf den weißen Schnee: riesige Schatten hervorzaubernd. Hinter dem Berge liegt Schwarzpfütze, das Ziel unserer Wanderung. Ein Bauer, der offenbar zur Schenke ging, hat uns berichtet. — Eine armselige Strohkate, das Heim der Sudetendeutschen Wandervögel, soll uns die Nacht über be herbergen. Hobes Strohdach, niedrige Fenster und drinnen eiskalt. Beim Bauer nebenan kaufen wir Milch und kommen dabei mit ihm ins Gespräch. Er steht in der großen Stube, breitschultrig, ein Zeitungsblatt in den breiten, zerarbeiteten Händen. Sein Gesicht ist hart, ein schweres Leben spiegelt'sich in ihm. Er erzählt. Seine Worten kommen polternd über die blutleeren Lippen: „Mär dürfen nischt soin, immer schiene ruh'g sein müssen mär. Ruh'g sein wie a Tutes! De Tiere dürfen winqstens no schrein, wenn's'n wieh tut, aber mär, mär müssen ruh'g sein, immer schiene ruh'g sein! Se verlangn vn »ns unmiegliches — und mär müssen giehn wie a Ochs an Gesvoann." Und nach einer Pause, „aber es gibt an Harrgott an Himmel, und dar wird o mit uns a Eisahn hoan. Wen der Harr lieb hoat, den züchtigt er, stieht a der Bibel. — Hier, dos Bloatl, das'ch an Händen hake, ist verboten wourn, weil's deutsch schreibt, aber es kimmt doch, ohne doaß es wissen und merken." — Und er erzählt dann weiter von den letzten Jahren und wie sie eines nach dem anderen haben aufqeben müssen, woran ihr Herz gehangen, und wie sie dabei still und hart geworden. Auf dem breiten Herde singen die Töpfe ihr Klagelied zu den Worten des Bauern, als wüßten sie auch von seiner und des Landes Land. Die Kartoffeln für die Schweine plapvern im kochenden Wasser wie unruhige Kinder. Im Ofen knistern und spucken Kiefernbüschel. — Heiligenbilder hängen an der Wand und ihnen gegenüber steht das Bett des Bauern. Am Kopfende hängt der Erlöser, eine grob geschnitzte Holzfigur. — Es ist nachts elf Uhr. Wir treten nochmals an die Haus türe. Es regnet nicht mehr. Der Mond verdrängt schwarze, jagende Wolken, und plötzlich ist es ganz klar und das Land in flüssiges Mondlicht getaucht. Der Schnee leuchtet, und in scharfen Linien heben sich die Bergwälder am Horizonte ab. Dicht vor uns ein gewaltiger Kegel mit kraterartiger Spitze: der Ieschken. Eine große weiße Schneefläche läuft zu ihm hin, steigt an und wird von schwarzen Wälderstrichen durchschnitten. Unserem Häuschen gegenüber, aber einige Fuß tiefer, steht eine kleine Wallfahrerkapelle. Der Mond küßt sie und webt einen Heiligenschein von Nebel darum. Totenstille. Nur die Schönheit und Erhabenheit der Bergwelt spricht eine laute, gewaltige Sprache zu uns. Wir wissen nicht, ob wir wachen oder träumen. Ja, das ist Böhmen! Das deutsche Grenzland in seiner ganzen Schönheit und mit seinen Wundern, die die deutsche Seele ergreifen. Es ist bitterkalt. Die Türe fällt hinter uns ins Schloß. Wir sind still geworden. Etwas Großes hat zu «ns gesprochen in wunderbaren Worten und uns ergriffen. — Vorfrühling Don Gustav Wolf-Weifa Noch einmal liegt die Duhe übsrm Wasser, Auf dem der neue Wind die ersten Wellen trieb. Noch einmal zog das Eis dis dünne Schale. Noch einmal Flocksnspisl —, und nur das Ahnen blieb. Dis Weißen Büschs und die Wissen schweigen, Nnd geht kein Atmen aus von brauner Erde Schoß; Eng ist dis Brust dir, und dein Her; steht stille, — Nnd dein Verlangen war doch gestern ahnungslos. Laß uns noch eine kleine Weile warten! Vorfrühling öffnet nur langsam das weite Tor. Erst wenn die Primsln'blühn in unssrm Garten, Dann komm und tritt mit mir in voller Pracht hervor.