Volltext Seite (XML)
punkt bildet. Evangelische und Katholiken dienen hier im tausendjährigen Petridom an gleicher Stätte einem Gott, Stadt und Land reichen sich hier in selten sichtbarer Har monie die Hände. Deutsche und Menden wandeln über Straßen und Plätze. Wendische Trachten geben dem Straßenbild sein besonderes fesselndes Gepräge. Bautzen ist eine kerndeutsche Stadt, auch wenn auswärtige Schrift steller sie gern als alte Mendenhauptstadt ansprechen, die es nie gewesen ist. Kerndeutsch ist Bautzen noch heute. Aber das schließt nicht aus, daß sich wendisches Volks tum hier frei und ungehindert entfalten kann, sa von den Einheimischen dem fremden Besucher gern als besondere Sehenswürdigkeit vorgeführt wird. And darauf kommt es an: Der Pflege und Betäti gung wendischen Volkstums wird nirgends das geringste Hindernis bereitet. — Mag die Gesellschaft der Freunde der Lausitz in Paris (t.68 ami8 äe la t.u8uee), mag die Schmähschrift „vn peuple mart^r", mag eine willfährige ausländische Presse das Gegenteil behaupten: es ist Tat sache, daß alles wendische Leben in und um Bautzen sich völlig frei entfalten kann. Dafür bürgen nicht nur die oft engen verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Be ziehungen zwischen Deutschen und Wenden, davon über zeugt auch ein flüchtiger Äundgang durch die Straßen. Da stößt man auf den „SerbskiDom", das große Wendische Haus am Lauengraben, das das Heim und die Pflege stätte aller wendischen Bestrebungen ist. Hier haben die „Serbske ludowa banka", die Wendische Volksbank, das Wendische Kaffee, der Wendische Wirtschaftsverein, die täglich erscheinende wendische Leitung „Serbske No- viny" (Wendische Neuigkeiten) ihren Sitz. Hier befindet sich das Wendische Museum, hier tagt der Wendische Volksrat, eine Art Wendenparlaments, hier hat die wen dische wissenschaftliche Gesellschaft Macica Serbska ihr Heim. An zahlreichen Geschäften befindet sich die Auf schrift „Äeczi jerbski", man spricht Wendischl Auch bei näherem Zusehen stößt man allenthalben auf den Einfluß und die Vertreter wendischen Volkstums, das sich auch in der Verwaltung frei entfalten kann. In den Selbstveewaltungskörpern sitzen wendische Vertreter. Die Behörden haben wendische Beamte. Neben der wendischen Tageszeitung gibt es eine ganze Äeihe wen discher Leitungen und Leitschriften, so den „Serbski Lassnik", den „Katolski Pojol", den „Serbski student", den „Serbske Hospodar", das Grgan der wendischen Sokoln „Sokolski Lisch", die wendisch-religiöse Beilage „Pomhaj Boh" die Kinderzeitschrift „Äaj", den wen dischen Kalender usw. Wendische Grganisationen, zu sammengefaßt in dec Spitzenorganisation der „Domo wina", erstrecken sich über Stadt und Land. 2b wendische Sokoln sind in der Nachkriegszeit ins Leben gerufen worden. An den höheren Schulen wird wahlfrei wen discher Sprachunterricht erteilt, selbst die Volksbildungs kurse dielen billige Gelegenheit zur Erlernung der wen dischen Sprache. Wir haben wendische Arzte, wendische Lehrer, wendische Geistliche, wendische Kirchen, wen dische Gottesdienste. ")a die Gottesdienste! Ein gar malerisches Bild, an den historischen Kirchgang in Burg im Spreewaide er innernd, bietet sich, wenn dis Kirchgänger von Stadt und Land zum sonntäglichen Gottesdienst pilgern. In zwei Kirchen Bautzens wird jeden Sonntag wendisch gepre digt. Da wandern die wendischen Frauen und Mädchen im malerischen Bunt ihrer Tracht, oft den Aberrock ge schürzt, über Straßen und Plätze, da dringt aus den Kirchen die sanste Melodik wendischer Gesänge, da stehen die Kirchgänger nach beendetem Gottesdienst beisammen und das wendische Idiom beherrscht die Straße. Gleich malerisch ist das Bild an Wochenmarktstagen. Mag eine Markthalle noch so praktisch und hygienisch sein, den Zauber eines Wochenmarktes im Freien ersetzt sie nicht. Vor allem nicht in Bautzen, wenn die wendischen Landleute aus den Dörfern der nächsten Amgebung, aus der Klostergegend und selbst aus der stundenweit entfern ten preußischen Heide nach der alten Markgrafenstadt kommen, hier ihre Eczeugnifje feilbietend und dann neue Waren mit nach Hause nehmend. Wenngleich durch Autolinien usw. neuzeitliche Verkehrsmöglichkeiten ge schaffen worden sind, so manche ziehen das Fahrrad vor, den großen Marktkocb vor sich auf der Lenkstange, oder das leichte Panjepferdchen muß stundenweit laufen, um das leichte Dauernwägelchen nach Bautzen zu bringen. Dann sammeln sich dis ländlichen Verkäufer und Ver käuferinnen auf dem Butter-, dem Geflügel- dem Grün zeug- oder dem Schweinemarkt, und überall wird das Marktbild zu einem guten Teile vom wendischen Ein schlag beherrscht. Wendische Trachten tauchen auf, von Malern oft im Bilde festgehalten, und das wendische Wort beherrscht den Marktverkehr. Wendisches Leben in Bautzen! Wir denken an die Leit zurück, da der Wendenführer Barth 19ld — eben aus Paris zurück — ungehindert in einer großenWenden- versammlung in wendischer Sprache über seine Pariser Eindrücke berichtete. (Oder wir nehmen eine deutsche Lei tung zur Hand und finden eben die Ankündigung eines großen wendischen Konzertes in Bautzen, wie sie zur Pflege wendischen Vereinslebens und wendischer Musik schon oft stattgefunden haben. Ein solches Konzert ist ein künstlerisches Ereignis, an dem auch deutsche Kreise den lebhaftesten Anteil nehmen, ja das durch deutsche Äntec- stützung oft überhaupt erst möglich wird. Solche Konzerts sind stets eine Manifestation wendischen Volkstums. Wendische Äedner rufen das Wendenvolk zur Samm lung» wendische Lieder erklingen zum Tiuhme wendischer Komponisten und zur Verherrlichung wendischen Volks tums. Wendische Dcujchken in malerischer Tracht führen wendische Volkstänze auf. Ein solches Konzert fand bei spielsweise wieder am Mittwoch, dem 24. November, statt. Zweihundert wendische Sänger hatten sich hier ver einigt, um unter dem Motto: „Nnter der grünen Linde", dem Baume, dec dem Wenden dasselbe ist, was dem Deutschen die Eiche, das wendische Lied zu pflegen und wendisches Volkstum zu vertiefen. So drückt wendische Eigenart und wendisches Wesen dem alten Bautzen auch zu seinem Teile seinen Stempel auf. So zeigt die freie Entfaltung wendischen Lebens und Strebens zugleich, daß Deutsche und Wenden hier in bester Harmonie zujammenleben. So mögen diese Zeilen ferner eine freundliche Einladung sein, der alten Haupt stadt des ehemaligen sächsischen Markgraftums Gber- lausitz möglichst an einem Sonnabend oder Sonntag einen Besuch abzustatten. Der Besucher wird hier fesselnde Anregungen und Eindrücke die Fülle finden. G. Sch. Werbt für die Gberlaujiher Heimatzeitung l