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Die Schenke im Walde E. Nierich, Neukirch Eine verspätete Frühlingsskizze agelang hat es nun schon geregnet, und versucht die Sonne, das unendliche Grau zu durchdringen, ziehen sich gleich neue Wolkenschleier vor ihr Strahlen gesicht, daß sie sich beleidigt für den ganzen Nach mittag verbirgt, und wieder klatscht der Regen an die Scheiben, läuft in unzähligen Rinnsalen von den Ziegeldächern und gulkert spöttisch in der Dachrinne sein monotones Lied. Mit schlechter Laune sitzt der Mensch hinter dem Ofen oder hockt griesgrämig am Stammtisch, an dem es heute auch so leer ist und blickt stumpfsinnig ins Bierglas. Es ist ja auch ein Wetter, daß man nicht gern einen Hund rausjagt: was soll da ein Mensch draußen? Verrückter Gedanke, bei solchem Hunde wetter spazieren zu gehen! Wozu überhaupt der viele Regen! 's ist nicht mehr schön auf der Welt! So schimpft der Philister, der selbst bei Sonnenschein mit dem Regenschirme ausgeht, man weiß nicht, wie das Wetter umschlagen kann, und naß wird man doch wirklich nicht gern, und schließlich kann man ihn auch gegen die Sonne verwenden. O armes Stalltier Mensch, der du dich selbst zum Knecht deines falschen Mensch- Iums gemacht hast! Welche Schönheiten gehen dir verloren. Hast du noch nie gesehen, wie der Wald vor Lust und Wonne weint, wie er die zartesten Düfte ausatmet und sich badet in Wind und Wetter, so zieh Regenmantel und Stiesel an und komm mit! Graue Nebelfetzen hängen an den Fichten, winden sich los, fliegen über das regenschwere Waldtal, klettern an dem Berg hange empor und zerfließen oben in dem Wolkengrau, das als dichte Kappe den Gipfel des Berges umsäumt hält. Ein Windhauch weht kühl vom Talboden, zerreißt das graue Laken und bringt Leben in die trägen Nebelgeister, daß sie in Heller Flucht auseinanderstiebend zur Höhe eilen. Die alten Fichten schütteln sich vor Lachen, daß es von ihren schwanken Zweigen niedertropft in tausend Perlen auf die zarten Birkenkinder am Wegrande, die ihre junggrllnen Köpfe traurig hängen, von diesen aufs zarte Farnkraut, bis die tausend Tränen das weiche Moospolster auftrinkt. Wunderwürzig zieht ein Duft nach harzigem Holze von der Lichtung her durch den Tann, daß selbst das demütige Waldgras seine Diamanten abschüttelt und die schlanken Rispen aufrichtet. Selbst der uralte Steinblock, der mit seinen zahlreichen Rissen und Spalten wie ein komi sches runzliges Gesicht erscheint, weint, weint richtige Tränen in seinen dunkelgrünen Moosbart, weil die Nebelfrauen gar so erschreckt dürcheinanderfahren. Auf weichem Nadelboden schreitet der Fuß weiter, ein Bächlein läuft keck über den Weg. Noch nie war es so geschwätzig als heute, ja der Regen, das ist sein Bruder, und noch dazu so ein Frllhlingsregen, da ist es voller Lustigkeit und kann sich nicht genug mit ihm unter halten. Der glitschige Weg gibt sich auch alle Mühe, so ein fröhlicher Bach zu werden, doch wenn nur die Steine nicht wären. Unwillig rempelt das Wasser ein paar an, daß sie sich schnurp- send ein paarmal umdrehen und in ihren steinernen Herzen über diese Unverschämtheit grollen. Dem Weg wird das Wetter doch zu bunt, und er biegt um und kriecht unter die Buchenschirme. Es tropft, rieselt, rauscht, es weint der ganze Buchenwald. An den glatten Stämmen rieselt der Regen nieder, und die braunen Blätter, die sich der vorige Herbst pflückte, erscheinen wie lackiert. Ein urwüchsiger Duft nach faulem Laube hängt zwischen den alten Buchen. Ein altes Wildgatter sperrt den Weg und schließt sich polternd wieder von selbst. Zahlreiche Moosbe-cher und Flechten recken ihre silbergrauen Trichter wohlig dem Frühjahrsregen entgegen und saugen sich tiefer in das faulende Holz des Gatters ein. Da zieht plötzlich ein bläulicher Dunst durch den Wald, es riecht nach Holzfeuer. Ein Hahn kündet trotz des Wetters die Nähe einer Menschenwohnung an. Dem müden Wanderer, s der stundenlang im einsamen Walde gewandert ist, noch dazu bei solchem Wetter, überkommt ein freudiges Gefühl des Geborgenseins. Der Rauch des nahen Herdfeuers ist ihm in der Wildnis ein Wegweiser, und ist ihm auch hier im deut« scheu Walde ein Gruß von Mensch zu Mensch. Lichter wird es zwischen den Stämmen, und unter alte Buchen duckt sich die alte Waldschenke. Traurig verlassen stehen zwar die Bänke, und die Tische halten ihre triefenden Platten den Buchen empor, die von ihren schwankenden Ästen die Tropfen darauftrommeln lassen. Die einsame Landstraße kommt als glänzender Streifen, auf dem schmutziggelbe Gerinnsel in den Graben laufen, aus dem Walde heraus stracks auf die Schenke zu, biegt vor dem schmalen Blumengärtlein um und läuft tränenschwer den Berg hinab, während schlanke Ahornbäume und schön gesetzte Schotter haufen sie bis zum Ausgange des Waldes begleiten. Es ist heute alles so anders wie sonst. Einsamkeit hockt hinter jedem Kilometersteine, und doch rieselts, gurgelts und flüsterts in den Bäumen, im Grase, im Graben und auf der blanken Land- straße wie von tausend unsichtbaren Geisterstimmen. Da löst sich aus dem einförmigen Regengrau eine Gestalt, kommt mit schlürfenden Schritten näher und bleibt vor der Schenke stehen. Es ist ein Dippelbruder, der sich mit dem Handrücken die Regentropfen aus dem Gesichte wischt und mit der Rechten in den zerrissenen Taschen des schmierigen Rockes nach ein paar Münzen wühlt. Umständlich zählt er, steckt sie murmelnd wieder ein, vergräbt die blauroten Hände tief in die Hosen taschen, und so schiebt sich dieses Menschenwrack weiter auf der Landstraße und taucht bald wie sein ganzes Schicksal im regen grauen Nebel unter. Es war auch gut so, daß er nicht in die gemütliche Gaststube trat: denn hier sitzen der Förster und zwei Grenzer beim Skat, und während draußen der Regen auf die Steine klatscht, klatschen hier die Kartenblätter auf den Tisch. Dicker Tabaksqualm ballt sich über den Tischen zu blauem Dunst, der den grauen Regentag nur noch trüber erscheinen läßt. Der Wirt, der seine Donnerstagspfeife raucht (die andern sechs hängen über der Bierausgabe an der Wand) beteiligt sich mit mehr oder weniger gut gelungenem Witz an dem Spiele. Vom Wandbrette schielen ein einäugiger Fuchs, ein schwanz loses Eichhorn und ein verräucherter Eichelhäher mit bemit leidenswerter ausgestopfter Starrheit auf ihren ehemaligen Tod feind herab, der unter den Stichen der beiden Grenzer einen Trumpf nach dem andern einbüßt und von diesen wie ein ganz gewöhnlicher Pascher hohnlachend ausgeplündert wird. Waldmann, der durch die kernigen Flüche seines Herrn an manche eigne Dummheit erinnert wird, fühlt sich heute zwar völlig schuldlos, kriecht aber der Sicherheit halber tiefer hinter den schützenden Ofen, in dem dicke Scheite traulich prasseln. „Schelln sticht —, hol euch der Teifel, ihr Straßenräuber," wettert der Förster wieder los, Waldmann schiebt sich noch weiter zurück, „welches Himmelherrgottsdonnerwetter kann denn wissen, daß der Wenzel, dieser böhmische Hund, im Skate liegt." Mit der Faust schlägt er die Karten auf den Tisch, daß das Bullchen mit dem „Neukircher Korn" einen ganz gefährlichen Tanz aufführt, doch der eine der beiden Grenzhüler beruhigt es sofort und läßt zur Sicherheit die Hälfte glucksend in den Mund rinnen, daß draußen die Dachrinne erschrocken und be schämt einen Augenblick schweigt. Waldmann hat sich ganz dünne gemacht und schielt unter dem Ofen durch nach den Stiefeln seines Herrn. Inzwischen ist die Dämmerung zeitiger als sonst aus dem Walde gekrochen und umschleicht auf leisen Sohlen das Haus. Der alte Schenkwirt hat mit einem Schwefelhölzchen, von denen er noch aus Vorkriegszeit welche besitzt, das Einzige, womit er sich eingedeckt hatte und sich und den Tabakspfeifen durch die schwere Zeit hindurchgeholfen hat, die große Petroleumlampe an der Decke angeziindet. Leise klimpern die Glasprismen, und das trauliche Lampenlicht läßt die Zimmerecken nur in noch dämmerigeres Dunkel sinken. Die unruhige Schwarzwälderuhr, die auf ihrem Zifferblatt Fagdgeräte und Trophäen in gebräunter Schnitzarbeit ziert, hebt zum Schlage aus, und der heisere Kuckuck will mit die