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wurde und wird das abscheuliche Getier geboren, das von der Natur dazu bestimmt zu sein schien, die Heide leute und -Wanderer eine der zehn ägyptischen Plagen nacherleben zu lassen. Männer werden sicher nachdenk lich gestimmt, wenn sie vom Naturwissenschaftler hören, daß immer nur die Weibchen der Stechmücken es sind, die uns überfallen, unfer Blut saugen, dis Wunde mit giftigem Speichel entzünden. Die Männchen sind auch bei den Stechmücken friedfertige und liebenswürdige Geschöpfe, deren Sanftmut soweit geht, daß sie sogar die Aufnahme jeglicher Nahrung verschmähen und klaglos dahinsterben, nachdem sie geliebt haben. 4- * * Laßt uns aber nun danach trachten, die unzerstör baren, unvergänglichen und von ihren Freunden so ge liebten Schönheiten der Heide wieder aufzusuchen! Sie ist noch geblieben, diese unendliche, trostreiche Stille der Kiefernsorsten; sie dämpft und erstickt auch die hundert tausend Stimmen der Mücken. Wir treten auf eine schmale Blöße: vor uns, um uns herum graubraune Stämme, düftergrllne Wipfel in Anzahl, darüber ein blaßblauer Spätsommerhimmel mit geruhsam schweben den weißen Wolken. Wohl nur der Anblick des Meeres kann uns noch einen überwältigenderen Eindruck der Einförmigkeit und Großartigkeit bieten als dieses Bild. Ja, die Starrheit und Gleichartigkeit ist hier in der Heide vielleicht noch sinnfälliger; denn dec Wind, der die Meecesflächs schon mit seinem leisesten Hauche kräu selt und belebt, entlockt den festwurzelnden Heidekiefern kaum ein leichtes Aauschen. Man könnte oft glauben, in einem vergessenen, verlorenen Lande zu sein, in einem unentdeckten Erdteil; denn es ist stundenlang von Men schen keine Spur merkbar; selten auch huscht ein scheues Tier über den verwachsenen Pfad hinweg. Es ist nicht wahr, was geschäftige Zeitungsschreiber eifrig behauptet haben, daß nämlich die Heide aus ihrem Dornröschen schlafe erwache. Wohl find einige begrenzte Gebiete, wo Bodenschätze lockten, aus ihrer -Ursprünglichkeit gerissen und zu Industrie-Gelände umgewandelt worden ; Wohl ragen hier und da Tiiesenschornsteino am Horizonte, doch was will das besagen gegen die unermeßlichen Wald strecken, die tatsächlich noch fast unberührt dahinschlum- mern und wohl auch für absehbare Seiten noch unzer stört bleiben werden, ihren Verehrern zum Trost und zur Labung. Nur zwei Tatsachen werden hier umgestaltend wirken können: Volkesüberflllle und die damit zusam menhängende Landnot in Deutschland. Selbst wenn man an einem trüben Tage durch den Heidewald geht, hat man den Eindruck, als schiene von irgendwoher eine geheimnisvolle Sonne herein, welche den oberen Teil der Stämme mit einem roten Glanz überzieht. Es ist nur die zartere, rötliche Äinde der oberen Stammhälste, die solche Täuschung hervorruft. Aber wenn auch der Verstand ohne Mühe diese Erklä rung findet, so bleibt doch etwas Zauberisches, und man wäre nicht allzu verwundert, träte plötzlich mit eisgrauem Barte ein Swerg hinter den Bäumen hervor, ritte ein blonder Königssohn wie im Märchen auf getreuem Schimmel verträumt über den braunen Nadelteppich, die grauen Flechten, die grünen Moospolster. Wenn die Schatten des Abends durch die Heide düstern, wäre dann für dis alte Hexe die Seit gekommen; mit ihrem krummen Äücken und spitzen Kinn schliche sie so leise von Stamm zu Stamm, daß kaum unter ihrem Schritt die dürren Sweiglein knackten. Wäre auch ein Hexenkater da? Ei jawohl, ein schwarzes Eichkätzchen mit feurigen Augen spränge fauchend ihr zur Seite. Die Heidhasen aber und die sanften Aehe würden nur zaghaft von weitem äugen, die Wurzelmännchen unter bunten Pilz hüten neugierig hervorlugen. Doch jetzt ist Heller Mittag; die Sonne strahlt Fluten goldenen Lichtes aus. And sie schafft auch fröhliche Märchenbilder. Da ist eine weite Blöße, von der das Heidekraut vollkommen Besitz ergriffen hat. ")etzt blüht es und schimmert und prunkt es in der aufjauchzenden Pracht hellroter, gründurchwirkter Seide; von tausend Bienen ist ein Heller Gesang darüber, und von Hum meln ein beglücktes Geläute. Mit welcher Innigkeit, fast könnte man sagen heiteren Frömmigkeit, reckt sich jedes der Millionen schwacher, blütenüberladener Äst chen aus dem sandigen Wohnplätzchen hinauf in die reg lose, warme Luft! Es ist wie ein stetes Liebkosen zwischen Sonnenstrahl und Dlütenglöckchen. Welche Lebens ströme, welche Wunderkräfts quellen, fließen, wirken! Welche -Anerschöpflichkeit offenbart sich dem erschauern den Gemüt! * * * Ein Wunderwerk der Technik in der Heide, Ent wurf und Ausführung in eigenem Auftrage, geliefert von einem wenig berühmten, weiblichen Baumeister, klein, häßlich von Gestalt, achtbeinig noch dazu, Frau Kreuzspinne genannt. Dies Netz, woran ich unacht sam beinahe ancenne, ist ihr in der Tat prachtvoll ge lungen. Es ist an zwei Kiefecnstämmen, welche fast drei Meter auseinanderstehen, aufs erstaunlichste angejeilt, mit einem dritten starken Faden auch unten im Ginster befestigt. In der Netzmitte, in ihrer Warte, lauert die Künstlerin, jetzt blutdürstige Aäuberin, in schlichten, grauen Samt gekleidet, mit dem heuchlerischen Schmuck des weißen EMckenkreuzos. -Unbewegt ist der pralle Hinterleib, unbewegt ruht jedes der acht hageren Füße aus einem anderen Netzfaden. ")etzt verfängt eine Mücke, die mich eben umsummt hatte, sich leichtsinnig im Netz, und mit gräßlicher Gier stürzt die Spinne aus sie zu, packt die Wehrlose und springt mit einem kühnen Satz in die Warte zurück. Was nun folgt, ist ein schauriger Mord, und sicher haben nur die Leute, die der Spinne bei solchem Tun zusehen konnten, ihr zu ihrem schlechten Ause verholfen. An welcher Todesart das Mückchen Sterben muß, ob am Vergiften, am Erwürgen oder am Erdolchen, erkennt man nicht genau; man sieht aber dies, daß die Mörderin bald darauf an ein genießerisches Einspeicheln des kleinen Opfers geht, bis es einem form losen, eklen Klümpchen gleicht. Länger als eine Viertel stunde dauert nun die eigentliche Mahlzeit, das eifrige Einsaugon des Nährsastes, den das von allem Erdenleid erlöste Insektlein liefert. Das Ende vom Schmaus ist fast zum Lachen: mit einem kräftigen Stoß wirft die Kreuz spinne das schwarze Dündelchen mit den unbrauchbaren Mückenresten weit hinunter ins Heidekraut und wendet sich dann unbekümmert einer neuen Beute zu. die sich zappelnd und strampelnd schon längst bemerkbar gemacht hat. Vermutlich wird dieser zweite Akt genau so stumm und kaltblütig gespielt werden wie der erste; die Mör derin wird weder zischen noch knirschen, und das Opfer keinen Schrei ausstoßen. Niemand wird ringsum ein