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Ein neues tzeimatspiel von Rudolf Gärtner (Uraufführung im Bautzener Stadttheater) ie dichterische Entwicklung Rudolf Gärtners vollzieht sich in einem fast unheimlichen Tempo. Es ist noch gar nicht lange her, daß uns der erst seit ein paar Jahren bekannte Erzähler heiterer und ernster Lau sitzer Geschichten mit mundartlicher Liedlyrik über raschte, und heute ist schon wieder zu vermelden, daß der Dichter auch als seriöser Dramatiker einen sehr beachtlichen Erfolg aufzuweisen hat. Das Bautzener Stadt ¬ theater eröffnete am 1l. September seine neue Spielzeit mit dem fünsaktigen Schauspiel „Die Glocke von St. Peter" und erspielte sich und dem Verfasser damit einen schon äußer lichen Erfolg, wie er in dieser Intensität in den Annalen der Theatergeschichte ganz gewiß nicht zu den Alltäglichkeiten ge hört. Der zünftige Theaterkritiker, der seinen Beruf als ver fehlt ansieht, wenn er nicht grundsätzlich auch an allem Guten allerhand herum zu mäkeln hat, mag auch bei diesem Werke hin und wieder die olympische Stirn gerunzelt haben, denn die Dichtung weicht in manchem Punkte von dem ab, was wir als landläufig und alleinseligmachend anzusehen gewöhnt sind. Wir für unseren Teil bekennen ehrlich, von der Gärtner- schen Dichtung aufs Tiefste ergriffen worden zu sein, behaupten aber, daß es gar nicht möglich ist, dieses Drama, nachdem es ein einziges Mal auf der Bühne flüchtig an uns vorüber ge rauscht ist, gerecht zu würdigen. Man muß ein paar geruhsame Feierstunden haben, um das tiefangelegte Werk richtig genießen zu können. Daß sich der Dichter bei diesem Stoffe von der Mundart abwendet und sich einer Verssprache bedient, die in ihrem Wohllaut selbst an Glockenklang erinnert, ist ohne weiteres verständlich. Das allgemeine Interesse für diese prächtige Dichtung wird sich niemals auf das Weichbild von Budissin oder den Lau sitzer Gau beschränken, obwohl Stoff und Rahmen des Werkes der örtlichen Chronik von Bautzen entnommen ist. Der „Kauf mann von Venedig" wird ja schließlich auch nicht nur in der Lagunenstadt gespielt. Der Meinung ist auch Intendant Klötzel: er hat die Dichtung sofort nach ihrer Fertigstellung auch für Zittau erworben, sich aber die Uraufführung entgehen lassen. Im Bautzener Petridome, einer der wenigen Simultankirchen des Landes, war beim Neujahrsläuten 1583 die große Glocke zersprungen. Der Bautzener Meister Peter Krische war mit dein Gusse einer neuen betraut worden, aber bei der Lösung seiner Ausgabe gescheitert. Auch ein weiterer Versuch mißlang, da die neue Glocke nach kurzer Gebrauchsdauer wieder zersprang. Da hatte man die Frage lange Jahre ruhen lassen, bis im Jahre 1597 die beiden Magdeburger Glockengießer Peter Hagemann und Urban Schöber, die ihre Vaterstadt um des dort wüten den schwarzen Todes willen verlassen hatten und sich nach Prag begeben wollten, aus der Durchreise nach Bautzen kamen und von der Glockenangelegenheit vernahmen. Ehrgeiz und Liebe hielten Hagemann dort fest und er wußte auch den Ge fährten zum Bleiben zu bestimmen. Er erhielt schließlich auch den ehrenvollen Auftrag, die große Glocke neu zu gießen, und man wies ihm zu diesem Zweck den freien Platz am Taucher an. Durch eine unbedachte Äußerung hatte er aber den Bautzener Meister Krische schwer gekränkt, und da dieser ebenfalls ernste Absichten auf das schmucke Gastwirts töchterlein Ursel hatte, hatte er sich in ihm einen unversöhn lichen Widersacher geschaffen. Mit einigen Spießgesellen verprü- gelte Krische den Fremdling nächtlicherweile dergestalt, daß letz terer auf längere Zeit arbeitsunfähig wurde. Dann verflieg sich später Krische soweit, daß er mit einer eisernen Stange die fertige Glocke in der Gießstube zertrümmern wollte. Bei der Ausfüh rung dieses verbrecherischen Anschlags wurde er jedoch von Hage mann überrascht und nach kurzem Wortwechsel mit besagter Eisenstange erschlagen. Der Freispruch der Richter vermochte nicht, den Täter von dem Bewußtsein schwerer Blutschuld zu erlösen, er erkrankt seelisch schwer und hält sich nicht mehr würdig eines so großen Werkes. Auch auf seine Herzensliebe verzichtet er aus demselben Grunde. Da hält die Pest auch in Budissins Mauern ihren Einzug; das Töchterchen des erschlagenen Krische wird von ihr befallen und von der hochwohllöblichen Behörde in ihrem Baterhause lebendig von der Außenwelt abgeschlossen. Hagemann erblickt hierin einen Fingerzeig des Schicksals zu seiner Entfüh rung und rettet das Kind, verfällt dabei aber selbst unwiderruf lich dem schwarzen Tode, dem er in Magdeburg durch die Flucht entging. In der menschenleeren Einsamkeit am Taucher erwartet er sein Ende. Ein einziges Mal noch ist es ihm vergönnt, seine Glocken im vollen Geläut zu hören. Dann verlassen ihn die Lebensgeister. Der hinzukommende Dekan des Domstifts verheißt ihm die Gewährung seiner letzten Bitte, ihn in seiner Glocken grube zu beerdigen. So wurde Peter Hagemann, der Glocken gießer, der Erste, der auf dem neuen Taucherfriedhos die letzte Ruhestätte sand. Um die Aufführung hatte sich Direktor Hans Irmler, der übrigens auch die warmherzige Programmeinführung selbst geschrieben hat, mit seiner ganzen künstlerischen Persönlichkeit erfolgreich bemüht. Die neuen Dekorationen (Gustav Klein) wirken ganz wundervoll; auch bezüglich der Echtheit der sonstigen Ausstattung war nicht das Geringste verabsäumt worden. Auch darstellerisch bot die Aufführung viel Gutes und Ausgezeichnetes. Namentlich überragte Richard Zinburg als Hagemann alle anderen beträchtlich. Auch Georg Steinmetz, Alfred Borchert, Albert Trebe und Walter Baetz gaben ihr Bestes. Während der Aufführung hielt der Ernst der Situation das Publikum von lärmendem Beifall zurück; am Schluffe aber brach es mit elemen tarer Gewalt los, und Dichter, Direktor und Hauptdarsteller mußten immer und immer wieder an die Rampe. Ganz besonders herzliche Ehrungen der verschiedensten Form erfuhr Rudolf Gärtner, der ebenso bescheidene als liebenswürdige Dichters mann, dessen beispiellose Popularität in Bautzen besonders sinn fällig wurde. Als besonders beherzigenswert möchten wir noch auf einige Worte des Dichters verweisen, die Hans Irmler in seinem Einführungsaufsatz erwähnt. Rudolf Gärtner schreibt: „Ich bin gewiß nicht prüde und pimplich; aber unsere „Kunst" und unsere „Vergnügen" haben — Gott sei's geklagt! — in heu tiger Zeit ost einen geradezu schamlosen Tiefstand ! Hier muß vor allem der Hebel einer Aufbauarbeit zur moralischen Ge sundung einsetzen! Hoffentlich erstehen recht viele Kräfte, die sie leisten; hoffentlich finden sich recht viele Direktoren und Unternehmer, die sie stützen, und hoffentlich „erziehen" sie nicht leere Häuser damit." Das ist genau der Standpunkt, zu dessen Verfechtung wir uns leider seit Jahren genötigt sehen. Aber der Btrfall unserer Kunst hat noch einen tieferen Grund, und der liegt in der ver- fluchten „klassischen" Losung „panem et circenseg"! Guten Sport und körperliche Ertüchtigung in allen Ehren! Aber die allgemeine, aus Sensationsbedürfnis geborene Überschätzung des Sportes, die uns in den Zeitungen unserer Tage bis zum Über druß angrinst, ist der gefährlichste Totengräber unserer Kunst! Mögen sich die Breitensträler und Genossen in Gottes Namen, wenn es durchaus nicht anders geht, gegenseitig Zähne und Augen ausschlagen! Man zwinge sic aber, es unter Aus schluß der Öffentlichkeit zu tun, dann werden sie schon von selbst aufhören! Dann wird auch das Verständnis der breiten Massen für gute und wahre Kunst vielleicht neu erwachen! Bruno Reichard. Ein Vergleich aus alter Zeit illustrierte Wochenschrift der „Leipziger Neuesten Nachrichten" brachte in Nr. 14 1926 das Bild des Antoine aus Paris, des Erfinders des Bubikopfes. Den Ruhm beansprucht aber neuerdings eine Dame. Alte, ererbte Sitte unsrer Mütter, Schwestern und Frauen war das geflochtene Haupthaar, welches man wie eine Krone