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Die Schlacht bei Bautzen 20. und 21. Mai 1813 Aus den Auszeichnungen meines Urgroßvaters I. F. Roedcrer von Wolf Marx, Kgl. pr. Hauptmann a. D. eboren in der wildesten Periode der französischen Revolution, hatte ich im fernen Getöse der Waffen frühzeitig den immer lauter ertönenden Ruf des großen Korsen als das erste vernommen, was außerhalb des heimatlichen Gesichtskreises meine kindliche Einbildungskraft als ein Schreckbild mächtig ergriff und mit stets wachsender Spannung durch meine ganze Jugendzeit verfolgte. Das nieder schlagende Gefühl einer nach jedem neuen vergeblichen Kamps in den Kriegen 1805, 6 und 9 sich immer hoffnungsloser ent- faltenden fremden Zwingherrschast erfüllte je länger desto leb» Hafter mein jugendliches Gemüt mit einem tiefen und schmerz lichen Ingrimm. Als nun im Frühjahr l8l2 der allgewaltige Eroberer, zum letzten entscheidenden Griff nach der Weltherr, schäft die Kräfte eines halben Weltalls in seiner mächtigen Faust zusammenfassend, soeben im Begriff stand, den unheil vollen Riesenkamps gegen das ferne Rußland zu eröffnen, wurde es mir bei Gelegenheit meines Sommerferienbesuches bei meiner Tante o. Zeschwitz in Baschitz (Sachsen) zu teil, gerade zu seinem triumphähnlichen Eintreffen in Dresden zu recht zu kommen. Sein erstes öffentliches Erscheinen in der katholischen Hofkirche unter dem betäubenden Donner der Pauken und Trompeten, sein Anblick bei einem glänzenden Hoskonzert, zu welchem ich durch meine Verwandten (Schwester meiner Mutter, Gattin des sächsischen Finanzministers Joseph v. Zeschwitz) Zutritt erhalten hatte, in der Gesellschaft seiner kaiserlichen Schwiegereltern und Gemahlin als bedeutungS- vollster Mittelpunkt einer ihn umgebenden Wolke von unter würfigen Majestäten und Hoheiten, weltberühmter Staats- männer und Feldherren bot zumal in einem so schicksalsschweren Moment ein großartiges und ergreifendes Schauspiel dar. Mit welch ängstlichem Harren der Dinge, die da kommen sollten, folgten ihm gleich darauf die gespannten Erwartungen Schritt vor Schritt gen Osten auf seiner unwiderstehlichen Er obererbahn. Wir schwanden Mut und Hoffnung dahin, als er alles vor sich nieder warf und das unmöglich scheinende voll bringend seine siegreichen Adler auf der alten Zarenburg in Moskau aufpflanzte und dort die Pracht und Herrlichkeit von Jahrhunderten um ihn her in Asche und Graus versank. Aber wie erhoben sich alle Herzen in nie empfundener Begeisterung, als auf das Machtgebot des Herrn aller Herren: „Bis hier- her und nicht weiter! Hier sollen sich legen deine stolzen Wellen", der von Gott geschlagene Weltenstürmer mit den jammervollen Trümmern seines für unüberwindlich gehaltenen Heeres seine blutige Bahn zurückmessen mußte und endlich die unglaublich klingende Kunde zur Wahrheit wurde, daß er allein und unerkannt durch unsere Gefilde seiner eigenen Haupt- stadt zugeflohen sei. Der hinter ihm her an ein ganzes Volk ertönende Ausruf zum großen Kampf um Freiheit und Dasein konnte nun nicht anders, als auch in unfern Herzen einen mächtigen Widerhall zu finden. Es folgte eine Zeit gewaltiger Aufregung und Tätigkeit, wie die Weltgeschichte nur wenige aufzuweilen hat, aber auch mächtiger Erhebung und Aufschwungs, die, wenn auch in unserem abgeschiedenen Niesky, wo ich das Pädago- gium der Brüdergemeine besuchte, miterlebt zu haben, gewiß zu den denkwürdigsten Erinnerungen eines Menschenlebens zu zählen ist. Immer näher trat nun das große Schicksalsdrama auch unfern Blicken. Der Durchzug des bei Kalisch geschlagenen Regnier'schen Armeekorps mit den Trümmern einer sächsischen Heeresabteilung unter dem General Lecoq am 18. Februar I8l3, das erste Erscheinen der nachdringenden Kosakenschwärme und bald nachher das Borrücken regulärer russischer Truppen massen unter Lanskoy, Trubetzkoy, Gortschakoff u. a. waren nur das Vorspiel des gewaltigen Bölkerkampfes, der sich in diesem ewig denkwürdigen Jahre unter stets abwechselnder Furcht und Hoffnung vor unfern staunenden Blicken abspielen sollte. Die erste getäuschte Hoffnung war der nach zahlreichen falschen Gerüchten zu allgemeiner Betrübnis sich bestätigende Verlust der Schlacht bei Großgörschen am 2. Mai und die rückgängige Bewegung der noch schwachen preußischen und russischen Heeresmacht nach unsekn eigenen Gegenden zu, worauf schon 10 Tage später der von Bischofswerda herübertönende Kanonendonner und der abends vom Brande der unglücklichen Stadt gerötete Himmel ahnungsvoll das herannahende Trauer spiel ankündigte. Bald hatte das verbündete Heer die „Gol dene Au" in weitem Umkreis besetzt, von neugierigen Wanderern wie von Schutz ansprechenden Abgesandten unserer Gemeine mehrfach ausgesucht, und schon gab sich die drohende Nähe des Kriegsungewitters durch einzelne dröhnende Schüsse und andere Anzeichen kund. Es verging noch eine Woche des ängstlichen Harrens, bis am Nachmittag des 20. Mat eine anhaltende Kanonade, begleitet von den aufsteigenden Rauchsäulen brennen der Ortschaften, den Vorabend einer Hauptschlacht unzweideutig ankündigte. Ergreifend war ein unter solchen Umständen noch in der Abendstunde dieses Tages stattgehabtes Leichenbegängnis sowie ein über Nacht eintreffender Transport von Verwundeten aus dem die Entscheidungsschlacht einleitenden Gefecht bei Königswartha, für welche unser kaum verlassener Küchensaal als Lazarett sich öffnen mußte, bei dessen Bedienung wir selbst nach Kräften Hand anlegten und so die blutigen Greuel des Krieges lebendig zu Gesicht bekamen. So brach bei Hellem Sonnenschein der Morgen des un vergeßlichen 21. Mai an, es war ein Freitag, und zwiefach durchbebte die Herzen beim Hinblick auf das vor uns liegende Jammerbild das unaufhalisam losgelassene Kriegsgetöse. Un unterbrochen rollte der Donner von mehr als 800 Geschützen von 9 Uhr morgens bis 5 Uhr abends, erst ferner in den Schluchten der Hochkircher Berge, dann stets näher kommend und mächtiger anschwellend, während die Rauchwolken von 20 brennenden Dörfern und Edelhösen die Atmosphäre ver düsterten und de» Erdboden mit schwärzlichen Flocken bestreuten. 250000 Mann hatten hier mit einem Verlust von 30 000 Toten und Verwundeten 8 Stunden lang hartnäckig um den Sieg gerungen. Den Mittelpunkt bildete die Erstürmung der mit zahlreichen Geschützen bespickten Kreckwitzcr Anhöhe in den ersten Nachmittagsstunden. In völliger Ungewißheit über den Ausgang begab man sich noch einmal mit schmeichelnder Hoff nung zur Ruhe, aber nur zu bald brachte der folgende Tag die niederschlagende Überzeugung, daß das Glück der Waffen abermals der gerechten Sache den Rücken gewendet hatte. Napoleons Plan war gewesen, die Russen und Preußen durch heftige Scheinangriffe in der Front festzuhalten, bis ihnen der vom Zuge auf Berlin zurückgerufene Ney in den Rücken kommen konnte. Der Versuch ?)örk's, Ney bei Königswartha aufzuhatten, mißglückte. Der Plan Napoleons gelang voll kommen. Als Napoleon von vorn und Ney von hinten ge meinschaftlich das Zentrum auf den Kreckwitzer Höhen angriffen, mußten die Verbündeten den Rückzug antrete». Als gegen Abend starke Truppenabteilungen, unter andern das uns schon bekannte schöne Lanskoy'sche Reiterkorps, unfern Ort oder d«e nahe Umgegend in offenbarem Rückzug durch zogen, von wilden und zuweilen plündernden Kosakenhaufen gefolgt, und noch Schlimmeres bevorzustehen schien, da hielt sich bereits alles auf den möglichen Fall einer Flucht in die Wälder gefaßt, durchwachte eine ängstliche Nacht und beharrte noch ein paar Tage in sorglicher Spannung, bis endlich der ganze Kriegssturm sich spurlos an unserem Friedensörtchen vorüber der schlesischen Grenze zugewälzt hatte. Daß solche Szenen, bei welchen selbstverständlich alle Schul- und Alltagsordnung ein zeitweiliges Ende hatte, trotz mancher beängstigender Momente für unsere unbesorgte Iugendschar doch auch des Unterhaltenden und Anregenden gar viel mit sich brachten, läßt sich leicht ermessen.