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Dann die steile Straße empor zu dem einen Wahrzeichen der Stadt: gewaltig steht die Peterskirche vor mir, dies stolze Denkmal deutschester Baukunst. Ich trete an den Fuß des einen Turmes, wie ich als Knabe es so gern tat, und wieder wie damals will mir fast schwindlig werden vor der kühnen Höhe des Baues. Dann steige ich durch schmale, winklige Gassen und Gäßchen, an alten, kleinen Häusern vorbei zum Friedhof empor... feierlich umfängt mich die Stille der Gräber ... ich durchschreite langsam den alten Friedhof, dann den neuen, und nun stehe ich an meinem Lieblingsplatz, am Tor, das auf den Urnenhain hinaussührt: an der äußeren Seite der Kirchhossmauer ranken, ein Sinn bild des blühenden Lebens, Heckenrosen, und unter mir, in tiefem, tiefem Frieden liegt die Stadt, liegt meine Kindheit. Im Osten, hinter den Türmen der Peterskirche, zuckt es rot auf, und strahlend erhebt sich die Sonne von ihrem Wolkenbett. Eilfertig huschen ihre Strahlen über die vielen Türme der schlafenden Stadt, klettern dann tiefer von Stock zu Stock und wecken die Menschen; endlich finden sie auch hin zum anderen, ebenso stolzen Wahrzeichen der Stadt: der Landeskrone, die, alles Land umher beherrschend, bisher noch in blauschwarzem Schatten lag. Ein letzter Blick gilt noch dem vielfach gewundenen Silberband der Neiße, dann steige ich schnell zur Stadt hinab. Und das Glück ist mir günstig, ich treffe bald eine Droschke, die zum Bahnhof will; sie nimmt mich mit, und im munteren Trabe geht's durch die Stadt. Nur jetzt um Gotteswillen keine „alten Bekannten" treffen; die ich wohl noch gern treffen möchte, sind ja doch nicht mehr da . Der Frühzvg stampft dröhnend zur Halle hinaus, ich sitze am Fenster und grüße sie noch einmal, die liebe, alte Stadt. Da steht auf der Blockhausterrasse der „rote Prinz" und weist gebieterisch nach Böhmen hin, als wollte er sagen und mahnen: dort steht der alte tschechische Feind, und dort sind deuffche Brüder in bitterschwerer Not! Der Zug donnert über den gewaltigen Viadukt, und dort, was da hinten so weiß aus dem Birkengebüsch schimmert, ist das nicht mein liebes, blondes Mädel, das mir winkt mit wehendem Tüchlein? Froh und freudig schlägt mein Herz mit im Takte der Räder, denn es geht ja nun hin zu meinen lieben, lieben schlesischen Bergen . sraM «öynren Hinein? In dis Ferns nach Warnsdorf zu — ohne Äast und Duh! Droben dis Wolken wandern Nach Böhmen, nach Böhmen hinein l 60 foll es fein! In dis Ferns mit flirrendem Schritt! Der Fels klingt mit! Ja den Seiten mit fchnellem Sprung Äief ein Lied: Erinnerung! Ins Her; hinein. D. Goldjchmidt. Neschwitz Erster Eindruck W M "Nordwärts führte mich mein Weg. Längst waren die weichgewellten blauen Berge meiner Heimat dem Auge / entschwunden; die Türme der Stadt Bautzen sandten WM einen letzten Gruß; die Ebene nahm mich auf. Es wollte Frühling werden. Neckisch gluckste dasSchwarz- wasser in seinem kleinen Bett; ein zarter, grüner Schleier lag über den Ufergebüschen, und in den Teichen sproßte keck das junge Schilf. Kleine Dörfer, wenige Häuslein nur, blieben hinter mir zurück. Bor mir lugt ein grüner Zwiebel- kirchtum neugierig über die Bäume. Die sind noch unbelaubt. Nur der Ahorn schaukelt seine gelben Bällchen. Noch wenige Schritte. Kleine Häuser tauchen auf, zumeist einstöckig, mit einem Borgärtlein. — Neschwitz. — Milten zwischen Wiesen und Feldern, von kleinen Gebüschen traulich gehütet, liegt es, ein stilles Dorf. Und wenn Du ein wenig nach rechts schaust, so stehst Du Wiesen, aus denen hie und da Wasserlachen in der Frühlingssonne ausblitzen. Bon schmalen Dämmen sind die Flächen rings umzogen, Eichen säumen den Weg, knorrig und kraftstrotzend. Hinter den Wiesen ruht der Park im Frühlings ahnen. Kein Fabrikschlot stört das Genießen, kein Hämmern und Stampfen der Maschinen; aus der Dorsschmiede nur jauchzt Heller Hammerschlag mir entgegen. — Auf dem alten Kirchhof Spätsommertag! Schläfrig bimmelt das Mittagsläuten vom grünbehelmten Turme und zittert hinüber zu den dunklen Teichen, die gleich schmerzensreichen Augen schauen, ttyf und ernst. Gleich hinter dem schmucken Postgebäude ein altes Häuschen, strohbedacht, mit tiefgebräunten Balken im Fachwerkbau. Bertraut lehnt es am alten Kirchhofstor. Solch ein Tor sieht man heut selten, zuweilen noch am Eingang alter wendischer Gehöfte. Schwer und wuchtig liegt es vor dem Kirchhof, und links und rechts mahnen zwei kurze Inschriften Dich an die Vergänglichkeit alles Irdischen. „Was sie waren, sind wir" und „Was sie sind, werden wir", so grüßt es ernst in deutschen und wendischen Lettern. Und über dem Tor wölbt sich mächtig eine alte Linde, gleichsam als wollte sie Schildwache halten am Ort der Toten, Geruhsam rauscht sie heute das Lied vom ewigen Frieden. Schon gilben hie und da ihre Blätter; ein goldgelb Herz schwebt leis herab, dann ruht's auf einem grünen Hügel. Grünüberwuchert sind die wenigen Gräber; kein Stein kündet Dir, wes Name und Art die stillen Schläfer. Da und dort breitet sich ein schmiedeeisern Kreuz, mannshoch reckt sich eine stolze Königskerze; rote Grasnelken schimmern wie Blutstropfen. Uber die festgefügte, niedrige Kirchhofsmauer wuchert der Teufelszwirn. Doch auch einen Zeugen der Neuzeit findest Du hier. Zwischen schwermütigen Lebensbäumen leuchtet das schlichte Denkmal hervor, das die große Kirchgemeinde dankbar ihren vielen im Weltkriege gefallenen Söhnen geweiht. Schlicht und einfach ist auch die Kirche, die Dich einladet, in ihrem dämmerkühlen Raum ein wenig zu verweilen. Draußen, an ihrer starken Mauer, stehen einige Grabmäler, vom Regen arg verwittert. Und drüben, von jenseits des Gräbergartens, grüßt das Pfarrhaus mit seinem hohen Doppeldach. Grünum- schattet liegt es und von den blanken Fenstern lachen Dir rote Geranien freundlich entgegen. Gleich daneben, über der Straße, am Mauerpsörtchen, ein stilles Haus, die Schwester der Pfarre, die Gemeindediakonie. Und wenn Du Deinen Schritt noch einmal rückwärts lenkst, siehst Du unweit der alten Linde das Schulhaus. Kein Kinderlieb schallt Dir heute entgegen. Still liegt das sonst so belebte Haus. Anfang August ist alles draußen auf den Feldern. Nur ein paar Hühner scharren verschlafen im heißen Staube. Droben auf dem Turm hat der Läutejunge sein Werk getan, lehnt behaglich am weitgeöffneten Schall-Loch und schaut versonnen über das mittagsstille Dorf. Im Park Vom Kirchhof sind's nur wenige Schritte nach dem hohen, blauen Gittertor, das den Park nach dem Dorfe zu abschließt. Und der Park ist's, der durch seine romantische Schönheit jähr lich viele nach Neschwitz lockt. Was wäre Neschwitz ohne seinen Park? Wer etwa in einer lauen Iuninacht im Park weilte, der spürte den Hauch einer längst vergangenen, schlafenden Zeit, dem wurde ein Erlebnis, das er nimmer vergeßen kann. — Verworren rauschten die alten, hohen Bäume geheimnis- vollen Sang. Still und regungslos liegt der Teich und schauerlich