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Diese Anweisung Willkomms, die Schlangenkrone zu Kriegen, ist umständlicher, als sie sonst der Dolksmund zu erzählen weiß. Der Volksmund spricht nur von einem weißen Tuche, das du auf den Boden breiten mußt. Mit Hilfe eines roten Tuches dagegen kannst du den Krötenstein erlangen. Aber es ist schon möglich, daß in einer sagengläubigeren Zeit auch die Bedingungen verwickelter waren, die erfüllt werden mußten, um die Schlangenkrone zu Kriegen. II. Volkskundliches und Kulturgeschichtliches aus Willkomms Sagen und Märchen Neben dem Sagenkundlichen erfahren wir in den Er zählungen Willkomms allerlei Tatsachen über das Lausitzer Volkstum, wie es sich dem Erzähler im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts darstellte. Wir wollen hier einige Einzel tatsachen in bunter Folge unverknüpft aneinanderreihen. Der Türmer der St. Iohanniskirche in Zittau hatte das Recht des Bierschanks. Die Glocke auf der Klosterkirche in Zittau wurde all abendlich um neun Uhr geläutet und sagte: „Bürger rein, Bauer raus!" In der Silvesternacht um zwölf schüttelten sich alle die Hände und sangen, wie es damals noch üblich war, einLob- und Danklied. Auf dem Wege von Zittau nach Bertsdorf liegt im Holze die Kehlchen- oder Kuthelmühle. Sie wurde so genannt wegen der vielen Rotkehlchen, die sich im Holze aufhielten (?). Das Beiteln hieß früher auch das Gatterklopfen. Denn die älteren Häuser auf den Dörfern hatten meistenteils vor der Haustüre noch ein Gatter, an das die Bettler zu schlagen pflegten, um sich bet den Bewohnern zu melden. Auf dem Talisman, den die Wasserfrau der Kupfer müllerin schenkt (eine Art Büchlein), ist eine Dendritenzeich nung, wie sie häufig in dem benachbarten Steinbruche am Schülerbusche gefunden wurden. Der Zeisig trägt einen Wunderstein zu Nest. Wer den unter die Zunge legt, wird unsichtbar. Auch der Zeisig ent- rückt dadurch sein Nest den Augen des Menschen. Aber wenn er am Wasser baut, wird das Nest in der Spiegelung sicht bar, und so kannst du aus dem Zeisignest den Stein nehmen. Am Ostersonntag geboren zu sein, ist ein großes Glück. Kirmes: Die Stadtleute, wenn man die zur Kirmes bittet, nehmen allemal drei Stück Kuchen für eins und stop fen sich voll, daß die Treppen seufzen, wenn sie wieder runter steigen. Hochzeit. Acht Tage nach dem ersten Aufgebot kommt der Hochzeitsbitter mit silberbeknopftem Rohrstocke, im samtenen Brustlätze und Busenstreifen und bittet mit dem üblichen scherzhaften Spruche zum Hochzeitsschmause sowie zur Brautsuppe. Nach den üblichen drei Aufgeboten findet die Verlobung auf dem Pfarrhofe statt. Die Braut wird vom Bräutigam unter Begleitung einer starken Mustkbande abgeholt und die Trauung gefeiert. Der Pfarrer sitzt bei der Mahlzeit zur Rechten des Bräutigams und spricht das Gebet. Recht lehrreiche und anscheinend wahrheitsgetreue Schilderungen gibt Willkomm auch von den geselligen Zu sammenkünften der Bauern. Das tolle Treiben der Bauern in einem Zittauer Bierschank schildert er folgendermaßen: Sie sprachen jedoch nicht hochdeutsch, sondern das allerooll- kommenste oberländische Lausitzisch, und das war dem Gegen stände wie angegossen. Aber einen Lärm gabs in den Bier stuben, daß alle Vorübergehenden steif und fest glaubten, die Leute.brächen sich nach allen Regeln der Kunst die Hälse. Und sie unterhielten sich doch bloß ganz freundschaftlich, ja sogar ohne alle Leidenschaft! Aber freilich, diese Bauern waren auch Menschen ganz eigener Art, Kerls über sechs Fuß hoch und eine gute Elle über den Rücken, und Fäuste hatten sie, daß ein Klaoiervirtuos von heut aus einer einzigen drei Paar solche löschpapierne Händchen hätte schneiden können. Die meisten saßen um die fichtenen Tafeln und aßen ihren Hering zu den Strtetzeln, bevor sie aber die kräftige Kost zu sich nahmen, zogen sie dem Fisch die Seele aus und warfen sie mit einem „Helf Gott" über sich, daß sie an der hölzernen Decke kleben blieb. Diese war von zahllosen Heringsseelen wie mit Sternen übersät, und wers nicht wußte, der konnte für eine kunstreiche Malerei halten. Manche aßen nicht, son dern rauchten aus kurzen böhmischen Holzpfeifen, die kaum eine Viertelelle lang, aber anmutig gekrümmt waren, fast wie ein lateinischesDabei stemmten sie beide Arme unter und sprachen immerfort, ohne die Pfeifen aus dem Munde zu nehmen. Nur zuweilen halfen sie der Derbheit ihrer Worte noch durch einen kräftigen Faustschlag auf die Tafel nach. . Es war recht lustig, diesen Leuten zuzuhören, wenn man ihre Sprache verstand, obwohl auch schon das bloße Ansehen Unterhaltung genug gewährte. Die meisten gingen in sogen. Zipfelpelzen von weißen und schwarzen Schaffellen, die ohne Überzug aber gar sauber gesteppt waren und namentlich an der Taille breite Verzierungen aus kleinen Riemchen von rotem Leder zeigten. Diese Pelze, je nach Alter, waren von Ansehen bald schneeweiß, bald bräunlich, bald lohfarben, bald ganz schwarz, und die letzteren glänzten, als wären sie von ihren Inhabern gewichst worden. Sie reichten bis an die Knöchel, wenn sie aber vorn auseinanderschlugen, entblößten sie stämmige Beine, mit Stiefeln bis ans Knie bekleidet, und dann waren die Strümpfe noch bis an den halben Schenkel hinaufgezogen. An der linken Seite, in der Gegend der Hüfte, hatten die Pelze einen Schlitz, daß man hindurchfahren konnte. Am unteren Ende desselben blitzte ein großer, blank gescheuerter Messingknopf, und daran baumelten ein Paar Fausthandschuhe, doch so, daß nur der eine nach außen, der andere aber nach innen hing. Diese Handschuhe waren bei den Wohlhabenden und Alten von schönem Pelzwerk, bei den Minderbemittelten und Jüngeren dagegen von gewirktem Wollenzeuge. Auch Bleicher gab es da und Garnhändler. Die Bleicher in kurzen Jacken, unter denen die blendend-weiße Schürze, das Zeichen ihres Standes, recht malerisch hervorlugte. Die Garnhändler in schönen Pelzröcken. Sie saßen für sich an besonderen Tischen und tranken zum Bier noch einen feinen Branntwein. Sie konnten sich schwer mit den Bauern ver tragen, und darum wollten sie auch nicht mit ihnen essen. In diesem Punkte dachten sie wie die Juden, die wohl des Han dels und Wandels wegen einem jeden Christen das Haus einlaufen, aber keinen Bissen Brot mit ihnen teilen mögen (S. 286 f.). An mehreren Stellen kommt Willkomm auch auf das Politisieren der Bauern zu sprechen. Aus diesen Schilde rungen geht hervor,daß damals das Borlesendes „Blaatls" in der Gaststube noch allgemein üblich war. Alle lauschten begierig den neuesten Nachrichten, und nur gelegentlich wurde das Vorlesen durch derbe Zwischenrufe unterbrochen. Blicken wir nun zurück und beurteilen wir den Wert der Willkomm'schen Erzählungen für die Volkskunde der Lausitz. Den harten Worten des Leipziger Kritikers können wir uns nicht anschließen. Zweifellos müssen wir bedauern,