Volltext Seite (XML)
Äc. ^berlauflher Helmakzettung 22S In der Hauptsache betrieben seine Einwohner Ackerbau und Handwerk: eine gewisse Bedeutung hatte wohl in frühe rer Zeit die Töpferei und Leineweberei. Als im Jahre 1812 Napoleon I. nach dem Brand von Moskau mitten im strengen Winter Rußland verließ und im Schlitten quer durch Deutschland nach Paris eilte, berührte er auch unsere Stadt, und die zwischen Reichenbach und dem Gut Ober-Reichenbach noch erhaltenen Überreste der alten Stein- brücke an der Straße nach Görlitz tragen den Namen Napoleon- Brücke. Am 22. Mai 1813 fand bei Reichenbach ein Gefecht zwischen den verbündeten Preußen und Russen gegen die französischen und sächsischen Truppen statt, in besten Verlaus in Markersdorf die in allernächster Nähe Napoleons halten- den Generäle Duroc und Kirchner tödlich verwundet wurden, noch heute steht in dem Gutspark Nieder - Reichenbach ein Denkstein mit der Aufschrift „Von hier leitete Napoleon einst das Gefecht bei Reichenbach am 22. Mai 1813." Nach glücklicher Beendigung der Freiheitskriege kam der östliche Teil der Grafschaft Oberlausitz an Preußen und wurde der Provinz Schlesien einverleibt. Unter Preußens Herrschaft begann auch für unser Städtchen ein neuer Aufstieg sowohl in wirtschaftlicher als auch in kultureller Beziehung. Der Bau der Eisenbahnhauptstrecke Dresden-Breslau erschloß das Land dem großen Verkehr und brachte dem Landmann bessere Ab- satzmöglichkeiten für seine Produkte, Handel und Gewerbe Förderung und Verdienst. Ein Ereignis, welches Reichenbach in der Oberlausitz und der ganzen Provinz Schlesien bekannt machte, kann nicht un erwähnt bleiben: die im Jahre 1855 erfolgte Gründung des Lehrer-Seminars und der Präparandcnanstalt. Der Förderung des damaligen Landeshauptmannes Dr. von Seydewitz ver dankt Reichenbach diese Gründung. Die zuerst in gemieteten Räumen untergebrachte Anstalt erhielt später die heute an der Löbauer Straße gelegenen umfangreichen Gebäude, welche im Jahre 1905 durch ein besonderes Seminar-Ubungsschulgebäude erweitert wurden. Dem Lehrer-Seminar verdankt Reichenbach in jeder Beziehung mancherlei Förderung und Anregung. Das Andenken des Landeshauptmannes und späteren Oberpräsi- denten Dr. v. Seydewitz, welcher um die Förderung der gan zen Oberlausitz sich die größten Verdienste erworben hat, ehrt ein an der Bahnhofstraße in schöner Umgebung im Jahre 1917 errichtetes Standbild. Das in den letzten Jahren leider eingegangene Pfennig- wert'sche Institut (Pensionat und Töchterschule), welches einen guten Ruf im ganzen Osten bis nach Rußland hin genoß, verdient ebenfalls erwähnt zu werden. In den 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann sich die Industrie hier anzustedeln. So entstanden zunächst die Chemischen Werke von Schuster <K Wilhelmy A.-G., welche heute einen ansehnlichen Gebäudekomplex südlich des Bahn hofes darstellen: bald folgten die Farbenfabrik von Grießdors <L Rabe, die Glasfarben- und Glasuren-Fabrik von Häubner L Dobschall, die Maschinenfabrik von B. Roscher, die Färberei und chemische Waschanstalt von Friedrich Wegener: später die Knopffabrik von I. Ernst, die Granfischleiferei von Winkler, die Maschinenfabrik von Max Hänsch sowie das Oberlausitzer Biaugranitwerk von Eugen Buck. Die Landwirte schlossen sich zu einer Molkereigenostenschaft zusammen, welche einen Molkereibetrieb in der Nähe des Bahnhofes errichtete. Um die Erträgnisse der Landwirtschaft bei der großen Bedeutung, welche in hiesiger Gegend der Landwirtschaft zu kommt, nutzbar zu machen, ist es selbstverständlich, daß auch Firmen, welche sich dem Handel von Landesprodukten widmen, entstanden. Die Firma Ernst Schmidt und die Landbund, genostenschaft für Geld- und Warenverkehr befassen sich mit dem Handel von landwirtschaftlichen Produkten aller Art. Die landwirtschaftlichen Betriebe, zum Teil größere Rittergüter, haben dank des guten Bodens und der verhältnismäßig gün- stigen Lage eine gute Fortentwickelung genommen. Durch den Bau von Uberholungsgleisen war es in der letzten Zeit möglich, verschiedene Industriefirmen mit Anschluß- gleisen zu versehen, durch deren Weiterführung noch größeres Gelände mit Eisenbahnanschluß erschlossen werden kann. Die Verwaltung unserer Stadt, welche seit 10 Jahren in der Hand eines tatkräftigen Bürgermeisters liegt, hat auch an der äußeren Gestaltung des Stadtbildes eine großzügige Hand bewiesen. Die Wasserversorgung, welche in den ersten An- sängen aus dem Jahre 1589 stammt, wurde im Jahre 1864 weiter ausgebaut. Im Jahre 1914, vor dem Weltkriege, hat man nun ein neues Wasserwerk an der Straße nach Pauls- dorf errichtet, welches durch Ausbau in der letzten Zeit auch für weitgehende Ansprüche genügen dürfte. Die Versorgung mit Elektrizität geschieht durch die Görlitzer Uberlandzentrale; der Strom wird hier in einem Umformwerk auf die übliche Spannung gebracht. Ein stattlicher Schulhausneubau sowie ein allen Anforde- rungen entsprechendes Amtsgericht wurden ebenfalls von der Stadt errichtet. Ein modern eingerichtetes Kreiskrankenhaus an der Straße nach Biesig sowie der von den Ständen der Oberlausttz errichtete großzügige Neubau des Waisenhauses an der Gersdorfer Straße kamen noch hinzu. In neuester Zeit erbaute man noch ein modernes Feuerwehrdepot. Gleichfalls wurde eine Bereinigung für Heimatkunde gegründet, welche sich zur Aufgabe stellte, ein Heimatmuseum zu errichten. Dieses hat in kurzer Zeit gute Fortschritte gemacht und zeigt uns besonders Sachen aus der engeren Heimat. Der Weltkrieg mit seinen furchtbaren Erschütterungen aus allen Gebieten konnte auch an unserem Städtchen nicht un- merklich vorübergehen. Zwar hatte man schon vor Beendigung des Ringens durch Errichtung von Kriegerheimstätten an dem mit der historischen Windmühle, die als einzige in Schlesien 5 Flügel hat, gekrönten Töpferberg für das dringendste Wohnungsbedürsnis der zurückkehrenden Krieger einige Bor- sorge getroffen, aber die Wohnungsnot brachte auch hier mancherlei Hemmungen und Unbequemlichkeiten mit sich: daß dieselbe sich nicht mehr in den unerträglichen Bahnen bewegt, ist der weitschauenden Wohnungs- und Siedlungspolttik der städtischen Behörde zu danken, welche es ermöglicht hat, Wohnungsbauten in einem Matze zu errichten, wie es gleich große und auch weit größere Städte nicht ausweisen können. Gerade in den letzten Jahren gelang es, eine ganze Reihe von Wohnungsneubauten herzustellen, wodurch dem Wohnungs- mangel in wirksamer Weise abgeholfen wird. Die ungünstigen Erwerbsoerhältnisse während des Krieges brachten auch mit sich, daß das äußere Aussehen der Gebäude nicht in der sonst üblichen Weise erhalten wurde; gerade in der letzten Zeit ist jedoch ein erfreuliches Fortschreiten festzu stellen und zahlreiche Gebäude in der Stadt sind mit neuem Putz und Anstrich versehen worden. Die Umgebung Reichenbachs OL. ist reich an landwirt- schaftlichen Schönheiten, welche zu kürzeren und längeren Aus flügen einladen; so der dicht bei Reichenbach gelegene Wald frieden und besonders der westlich von Sohland liegende Rot- stein, ein schön bewaldeter hufeisenförmiger Bergrücken, von dessen Aussichtsturm man einen umfassenden Rundblick in die Oberlausitz und die böhmischen Randgebirge genießt. Aus flüge nach dem Nonnenwald mtt Waldhaus und dem Pauls- dorfer Spitzberg sind ebenfalls lohnend. Zu empfehlen ist such ein Spaziergang nach Gut Krobnttz, dem Stammgute der Familie von Roon: in nächster Nähe davon liegt die Gruft des um Preußen und Deutschland so hoch verdienten General- feidmarschalls und ehemaligen Kriegsministers Grafen Albrecht von Roon. Diese anmutige Talsenkung, „Frtedenstal" ge nannt, wird von dem Schwarzen Schöps durchflossen .und bietet mancherlei landschaftliche Reize. In der weiteren Umgebung wären noch die Königshainer Berge, ganz beson ders der Hochstein mit Bergwirtschaft zu erwähnen, deren Besuch sehr zu empfehlen ist.