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Theosoph zu einem anderen Standpunkt durch. Am Ende seines Lebens (1624) spricht er sich ganz klar darüber aus: „Die Natur ist nur ein Werkzeug Gottes, damit seine Kraft wirket" und anschließend: „Die Natur ist nichts anderes als Eigenschaften der eigenen Begierde. Sie ist nicht Gott selber, denn Gott durchschaut wohl die Natur, aber sie begreift ihn nur so weit, als sich die Einheit Gottes wesentlich macht, sonst ist die Einheit Gottes in der Natur unbegreiflich. Die Natur ist nicht identisch mit Gott, sie ist auch nicht sein Wesen, sondern seines Wesens, die Summe seiner geofsen- barten Attribute." Man fühlt sich lebhaft an Goethe's Stel lungnahme zu diesem Problem erinnert: Man denke an seine Verse: „Was wäre ein Gott, der nur von außen stieße, Im Kreis das All am Finger liefen ließe! Heut ziemt's die Welt im Innern zu bewegen. Natur in sich, sich in Natur zu hegen, So daß, was in ihm lebt und webt und ist, Nie seine Kraft, Nie seinen Geist vermißt." Welches ist der Ursprung und der Sinn des Übels dieser Welt? Wie können wir das Böse in Einklang bringen mit der Gottes-Borstellung? fragt sich Jakob Böhme. Jede Welt anschauung, sei sie religiöser oder philosophischer Art, versucht auf diese Frage eine Antwort zu geben. Jeder, der sich in seine Schriften vertieft, wird wahrnehmen, daß in Böhme eine ungewöhnliche starke Gottverbundenheit lebendig ist, daß ein Strahl dieses Glanzes auch auf alle fällt, die sich in ihn vertiefen.Karli, von England, dem eine Schrift Böhmes in die Hände kam, rief begeistert aus: „Gott sei Dank, daß es noch Menschen gibt, die von Gott und seinem Werte ein lebendiges Zeugnis aus der Erfahrung zu geben wissen." Bis 1612 ist I. Böhme kaum in Görlitzer Kreisen aus gefallen. Grüblerisch in sich gekehrte Leute, vornehmlich unter den Schustern, gab es immer. Gesellschaftlichen Umgang hat Böhme in dieser Zeit nur mit Leuten seines Standes ge pflegt. Das läßt sich aus den Namen der Paten seiner Kinder schließen. Das Jahr 1612 bedeutet einen Wendepunkt im Leben unseres Philosophen. Böhme schrieb seine Aurora nieder. Er trat mit der Abfassung dieses Werkes aus seinem engen handwerksmäßigen Kreise heraus und wurde mit Leuten bekannt, die ähnlich theosophisch-mystischen Anschauungen huldigten, die ihm aber an Bildung weit überlegen waren. Während er früher in der Neißestadt für sich und höchstens für sein Handwerk und für die Seinen lebte und unbemerkt, unbeachtet nur einer von den vielen war, rückte er nun all mählich in den Bereich allgemeiner Beachtung. Karl, Edler von Sercha, ein Freund und Gönner, hatte eine Abschrift der „Morgenröte" genommen und nun ge langten andere Abschriften in die Hände der Stadt und in die Hände des Primarius Fichter. Er hat wohl kaum das Buch ganz gelesen, sand aber Stellen, die dem orthodoxen Glauben nicht zu entsprechen schienen, da sie von einem simplen Schuster ausgingen, ganz unerhört und ketzerisch schienen. Böhme wurde aufgefordert, aufs Rathaus zu kom men und um seinen enthusiastischen Glauben gefragt, ins Stockhaus gesetzt, sein Buch wurde ihm abgenommen, er wurde wieder in Freiheit gesetzt und ernstlich vermahnt, solche Bücher zu schreiben, sondern bei seinem Handwerk zu bleiben. In drei Jahren sah Jakob Böhme seine Aurora nicht wieder. Er wurde durch seinen Eintritt in die schrift- stellerische Wirksamkeit mit Neid und Mißgunst verfolgt. Er ertrug es mit Sanftmut und Gelassenheit 12 Jahr und starb am 16. November 1624 im Alter von 49 Jahren. Eine Reihe von Schikanen und Verfolgungen setzten damals ein, die natürlich trotz aller Ergebung in sein Schicksal an seinem schwächlichen Körper rüttelten und den Rest seiner Gesund, heit untergraben mußten. Wenn man der „Morgenröte" einen ganz sachlichen Titel geben will, so könnte man sie eine philosophische Schöp- fungs-Geschichte nennen. Es ist schwer, seine etwas schwer fällige Sprache und Auffassung zu verstehen. Zu einer philo- sophischen Grundanschauung fügt sich eine fast krankhafte Phantasie. Seine Begriffe verwandeln sich in Realitäten, und er spricht von diesen wie von feststehenden Tatsachen. Er ist felsenfest von der Realität einer geistigen Welt über zeugt, deren Beschaffenheit er ebenso genau sucht, wie die wirkliche materielle, sichtbare Welt, aber von Okkultismus hat man damals nichts gewußt. Er war der erste, der diese Ideen erschloß. Das ist das eigentümliche an Böhme, daß wir in seinem Geiste den schärfsten spekulativen Verstand und die größte Abenteuerlichkeit im Denken und Philoso phieren dicht nebeneinander oorfinden. Böhme war ein Mann des Volkes und doch kein Volks- mann, keine hinreißende Persönlichkeit, welche die Massen hinriß. Ein Schriftgewaltiger und doch kein Schriftgelehrter, ein Gottesgelehrter und doch kein Theologe, ein Denker und doch kein Philosoph. Seine Vaterstadt hat ihn einst von der Kanzel beschimpft und endlich aus der Stadt vertrieben, seine Genossen haben ihn geächtet und geschmäht, selbst sein Leichenstein wurde von Pöbelhänden zerstört. Erst lange nach seinem Tode wird sein Werk gewürdigt und es werden ihm die verdienten Ehren zu Teil. Der ein- fache Mann aus dem Volke besaß die kühnsten Geistesgaben. Er trat offen für die Rechte der Menschheit ein. Sein Jahr hundert weit überragend steht Jakob Böhme in der Zeit geschichte. Er rief aus: „Wer einen Krieg anzettelt, der ist des Teufels Amtmann, der Krieg entsteht nicht aus der gött lichen Weisheit der Natur heraus." Während die Theologen einstimmten in den Schlachtruf der Kriegsparteien, lehrte er, daß ein wahrer Christ diesem garstigen Streit fern bleiben müsse. Er habe genug Streit mit sich selber in seiner Seele auszufechten. Die Tragik seines Lebens war, daß er zu früh für seine Zeit geboren wurde. Böhme lehrt, Gott ist Alles. Er ist Finsternis und Licht, Feuer und Licht, Zorn und Liebe: aber er nennt sich allein einen Gott nach dem Licht seiner Liebe. — Es finden sich ähnliche Sätze in der Schrift „Aurora" oder die „Morgen röte" im Aufgang, von der der größte aller Romantiker singt: Die Zeit ist da und nicht verborgen Soll das Mysterium mehr sein, In diesem Buche steht der Morgen Gewaltig in die Zeit hinein. Die „Aurora" ist als Erstlingsarbeit recht schwer zu ver stehen. Des Schreibens war Jakob Böhme seit seiner Jugend gänzlich entwöhnt, schon das Führen des Griffels machte ihm große Mühe. Der brave Schuhmacher, der mit seinem Gewerbe eine große Familie zu ernähren hatte und der die entzückenden kleine Werke gearbeitet hat (seidene Damen- Stöckelschuhe, die im Kaiser-Friedrich-Museum ausgestellt sind), konnte natürlich sich seinen geistigen und intellektuellen Fähigkeiten nicht so hingeben wie andere gutsituierte Schrift steller und Philosophen, die bereits in ihrer Jugend eine andere Ausbildung ihrer Fähigkeiten genossen hatten.