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allein, o Herr, mit Deinem umfassenden Blick schauen, Du allein mit Deinem jede Tiefe durchschauenden Geiste wissen kannst, mir zur dämmernden Ahnung." Mr erkennen in diesen Worten seines Erstlingswerkes gleich, wie sich der Kompaß seines Denkens allezeit auf das Göttliche richtet, wie er sich selbst und alles Leben eng verbunden fühlt mit dem Argrund unseres Wesens. In dieser Probe offenbart sich aber auch des Dichters gewaltige Sprachkraft, der Schwung und die Bild haftigkeit seines Ausdruckes. In den „Gesprächen mit Gott", in denen er die Stellung der verschiedenen Men schen zum Höchsten anschaulich macht, tritt die Geistes verwandtschaft mit Jakob Böhme, besonders im letzten Gespräche Gottes mit dem Satan, hervor, wo dieser als das Widerspiel Gottes, als die Gegenkraft und doch auch als Werkzeug Gottes, ja als Mitwirker an der Welterlösung erscheint. Während dieses erste Werk mehr als philosophisch und theosophisch anzusprechen ist, so ist dem zweiten: „Worte an meine Tochter" ein hoher, ethisch pädagogischer Gehalt nachzurühmen. Was Mühsam hier von errungener Lebensweisheit seinen eigenen Töchtern ans Herz legt, wird jeder denkende und füh lende Vater seinen Kindern — auch den Knaben — gern als seelische Herzstärkung mit auf den Weg geben. Wahrer Seelenadel, ein lebenspendendes religiöses und sittliches Gefühl spricht aus diesen ernsten, eindringlichen Mahnungen: „Wahrheit zu finden und Schönheit zu schauen und des Lebens Pflichten zu erfüllen." Dabei predigt er nicht etwa einseitige Entsagung und Verach tung alles Irdischen und aller Sinnenfreuden, nur meint er mit Lischt, daß wahres, hohes Menschentum über die Sinnenfreude hinauswachsen und in allem rechtes Maß halten muß. Er hat ein offenes Auge für die Schönheit und Herrlichkeit der sichtbaren Welt, der Natur und des Menschendaseins, aber die Freude und der Genuß dieser Körperwelt soll durchgeistigt und beseelt sein. Lassen wir den Dichter selbst sprechen (aus dem Ab schnitt: „Die Kunst, ein Mensch zu sein"): „DerMensch ist ein schwaches Geschöpf, denn sein Unsterbliches ist an das Irdische gebunden. Seele und Körper liegen in einem ständigen Widerstreit miteinander. Während jene zum feinsten und Höchsten strebt, wird dieser von den Fangarmen der Erde umklammert. Aber Richtschnur des Lebens sei uns der Gedanke, daß der Körper nur Mittel zum Sweck ist, daß seine Bestimmung nur darin besteht, Gefäß der Seels zu sein. Wir sollen ihm billig nicht mehr opfern, als er bedarf, um ein edler Pokal für edlen Wein zu sein, und um nicht als unsaubere und kranke Hülle den gesunden Inhalt zu vergiften." — Die sprachlich feingeschliffenen Betrachtungen dieser „Worte an meine Tochter" enthalten eine Fülle von Lebens weisheit und machen dieses Werk zu einem dauernd wertvollen Geschenk für jedes junge Menschenkind an Wendepunkten seines Lebens. Aber auch der Erwach sene wird es mit Genuß und innerem Gewinn lesen. Eine Frucht des Kriegserlebens ist das dritte Werk Paul Mühsams: „Aus dem Schicksalsbuch der Menschheit". Die Schicksalswucht des Krieges hat ihm die Feder geführt bei all diesen Gesprächen und Betrachtungen über den Sinn und den Wahnsinn des Krieges. Im Vorwort deutet er den Zweck des Buches an: „Wöge es Herzen erwecken und die Erkenntnis fördern, daß die Menschheit nur einen Feind hat: sich selbst, und daß es nur einen gerechten Krieg gibt: gegen den Krieg." Die Menschlichkeit, das starke Gefühl für die idealen Forderungen des Menschentums mahnt uns mit eindringlichen, ans Herz greifenden Worten zum Nachdenken über den Krieg und zum Kampf gegen ihn. Den Dichter beseelt die Hoffnung, daß der Weltkrieg die Menschheit zum Frieden führen werde. Er läßt Gott zu dem Gefallenen sprechen: „Wenig weise auch wäre es, nutzlos den Krieg zu nennen, der Dich gemordet. Er war. Mehr ist nicht zu sagen. Ein Meilenstein auf dem Weg der Entwicklung. Änd da er gewesen, mußte er sein nach meines Willens Gesetzen von Schuld und Verket tung. Doch weil er ein Böses war, ist sein Ausgleich ein Gutes: Die Menschheit, vom Wahnsinn geheilt, wird auf der trostlosen Stätte der Trümmer den Dom des dauernden Friedens erbauen, überwölkt von der Kuppel des Rechtes." Als ein Apostel der Menschlichkeit, der allumfassen den Liebe, tritt uns der Görlitzer Dichter auch in seinen späteren, gedankenreifen Büchern entgegen: „Mehr Mensch!" — „Auf stillen Wegen" — „Vom Glück in Dir." Er will die Menschen unserer Seit heraus führen aus dem öden, unbefriedigenden Materialismus und hinleiten zu wahrem Menschentum. Dem Kultur menschen, dessen Hochkultur im Weltkriege einen so jähen Absturz erlitten hat, istjzu dieser Emporentwicklung nötig: Mehr Tiefe, mehr Pflicht, mehr Wahrheit, mehr Friede, mehr Glaube, mehr Liebe. Dazu muß jeder einzelne zu dec Erkenntnis kommen, das wahre Glück nicht in der Außenwelt zu suchen, sondern in sich selbst. „Nnd wenn Du über die Erde gingest, das Glück zu suchen, wie Paradiesesfrieden, von dem die Sage goldene Fäden spinnt zu Deinen Träumen, Du würdest es nicht finden. Bis zum Aushauch Deiner letzten Sehnsuchts-Seufzer würdest Du vergebens an alle Türen klopfen, ob hinter irgendeiner die Himmelsfürstin den Krönungsmantel für Dich bereithalte. Denn urtief im Durgverließ Deines eigenen Dusens schläft, hochzeitlich geschmückt, die ein same Braut dec Stunde entgegen, da Du kommst, sie zu Wecken." (S.19.) „Alle Dinge haben nur soviel Glanz, als Du über sie hinstreust, nur soviel Schönheit, als Du in sie hineinträumst, nur soviel Wert, als sie auf der Wage Deines Nrteils wiegen. Jede Muschel, die von der hohen See des Geschebens an Deinen Strand ge spült wird, birgt nur soviel Seligkeit oder Leid, nur soviel Liebe oder Bitternis, als Du über sie ausschllttest aus dem Füllhorn Deiner Gefühle. Du trägst des Glückes soviel, als der Gott in Nir auszugluten vermag, im Fruchtkorb Deines Ichs umher und brauchst es nur aus zubreiten auf den Kirchenfliesen Deines Lebens." (S. 34.) Alle diese Bücher des Görlitzer Gedankendichters sind Streifzüge der Seele und Wegweiser zum Lande des Lichts, wie ec einzelne in Nntertiteln nennt. Während alle genannten Werke Mühsams, die alle bereits mehrere Auflagen verdientermaßen erlebt haben, in dem bekannten Leipziger Verlage Fr. Will). Grünow erschienen sind, hat sein letztes Werk „Der ewige Jude" Ernst Oldenburg in Leipzig herausgegebsn. In der oft dichterisch verklärten Gestalt Ahasvers verkörpert sich ihm die Sehnsucht der Menschheit nach einer alle Reli gionen überbrückenden inneren Gemeinschaft alles Menschlichen.