Volltext Seite (XML)
Stadt nicht mehr die Stadt des 16 und 17. Jahrhunderts ist. Sie verschließen sich immer noch der Erkenntnis, daß sie von der stolzen Höhe, auf der sie in jenen Zeiten stand, durch die Entwickelung des neuzeitlichen Staatsgedankens längst herabgesunken ist. Keinen Staat im Staate bedeutet sie mehr, sondern sie ist zu einem Gemeinwesen geworden, das nur noch in beschränktem Maße befugt ist, Herrschafts rechte auszuüben. In scharfem Gegensatz zu dieser Wesensart, die leicht Spott erregen kann, treten uns in unseren Akten die Amt männer d.s Fürsten Liechtenstein entgegen. Was sie aus zeichnet, das ist die außerordentliche Gewandtheit, mit der sie Verhandlungen und schriftlichen Meinungsaustausch führen, und diese Eigenschaft gipfelt in der Fähigkeit, sich, wenn sie selbst im Unrecht sind, reinzuwaschen, und als äußerst gefällig und hilfsbereit, bestimmt aber als unschuldig hinzustellen und dafür dem lieben Nachbar anzudeuten, doch erst gefälligst einmal selbst seine Pflichten zu erfüllen. Von dem Wahne, in dem sich Zittau immer noch befindet, ist infolgedessen bei ihnen nichts zu verspüren, da sie genau wissen, daß ihnen ihr Nachbar jenseits der Landesgrenze in keiner Weise gefährlich werden kann. Und wenn ein Mann wie Kratky dem Magistrate trotzdem mit dem ehrlichen Willen entgegenkommt, dem Rechte zu seiner Geltung zu verhelfen, so müssen wir das wohl seinem Gerechtigkeits sinne und seinem Wunsche, gute Nachbarschaft zu halten, zuschreiben, dürfen es aber nicht darauf zurückführen, daß er gefürchtet habe, von Zittau irgendwelche Nachteile oder Schädigungen zu erleiden. Der dritte Faktor, mit dem wir es zu tun haben, ist die Bewohnerschaft der Orte Niederleutersdorf und Iosephsdorf. Was über sie mit Einschluß ihrer richterlichen Behörden zu denken ist, das ist im Verlaufe der Darstellung mehr als einmal angedeatet worden. Weitere Erörterungen erübrigen sich infolgedessen. Wohl aber wollen wir am Schlüsse unse rer Ausführungen den einen Hinweis nicht unterlassen: eine Bevölkerung, die mit solcher Beharrlichkeit und Ver wegenheit den Anordnungen ihrer Behörden zuwiderhandelte, mußte und konnte auch nur den Boden für Unternehmungen bilden, wie sie Karasee zum Schrecken des ganzen dortigen Gebietsstreifens jahrelang ungestraft, ja ungestört aus geführt hat. Riesengebirgszauber ir gleiten durch den Bannwald am Südhang des Brunnbergs. Gestern hals Neuschnee gegeben, immerhin soviel, daß wir uns erst einmal wollüstig drin herumgekugelt haben. Brrr! War das ein Fressen! Schnee! Schnee! Ein Königreich für ein Lot Schnee! Und vorgestern? Die paar zackigen Reste des Allerersten am Hochwiesenberg. Nebenbei: seine Sache! Am dritten Weihnachts feiertag so ohne alle Fesseln unsrer Tantenworal — Verzeihung! — splitternackt — über die dreißig oder fünfzig Meter langen Firnschneefetzen hinabzubalancieren, so recht schmelzig! Und Sonnenbrandspuren auf Nacken und Schultern! — O Tannen baum!! — Doch heute fahren wir lang an steiler Lehne, und der Bann- wald ist ein Märchen geworden und träumt nicht bloß von Gno- men und Kristall, wie gestern noch. — Und noch einmal hinein- gewühlt ins neue Leben! Es stiebt um uns, die Bretter tanzen wilde Kapriolen unter unfern Füßen, faunenhaft. Und die schweren Wedel küssen uns in unserm Taumel ihren kalten Schnee in den Hals und tanzen mit. Potz Hahn und Höllenzopf! Jetzt packt mich Waldsckrat! Kobold du! Was mußt du mir die alte Wurzel über meine Spitzen schlingen? Da lieg ich schon - kopfüber uff! — und die alte Fichte lacht mich aus, so breit sie ist und schüttet ihren kalten Segen mir grade ins Gesicht. Du Lump! Du Lump! Und Schrätlein meckert schadenfroh: warum so übermütig! Atsch I — Hallüllo! — Man ruft mich, und die andre Welt ist wieder da. Und die ist auch schön. Die Sonne hat die Nebel all zu Tal gewälzt und lacht und lacht und leckt als Irühstück meinen weißen Buckel ab. Der Hang sinkt tief und tiefer, Schritt um Schritt. Es zieht und zieht und rauscht und rauscht der Schi, der Schi, und du und ich, dem Knieholz zu: und seine Trauben, grau vom Reif, sind nun auf einmal Rosen geworden. Sonne du! Du Allmutter, du große! Nimm es ganz, mein ganzes Herz und meinen wilden Leib! Und wieder rieseln Silberschleier von Schneekristallen über Stirn und Wimpern. — Trinken, trinken, bis die Wimper fällt, von dem goldnen Überfluß der Welt! Noch zwei, drei lange Kehren, und wir haben den Kamm, und die Brust fliegt und macht sich vollends frei und trinkt die Morgenluft in langen Zügen. Du große Gotteswelt! Di« blauen Höhen dort, die aus dem Nebel tauchen, die Wolkentücher, die nach der Sonne Haschen, und ring» die weißen Flächen, von Diamanten übersät. Da packts uns, und das Holz wird wieder wild und wirbelt Schwung an Schwung auf blauen Schatten und knattert auf prasselndem Harsch den Nordhang hinunter, dem Weihwasser zu. Und wieder grins»n hämische Gesellen. O, wie das lockt! Und drauf und dran! Don Hang zu Hang! Und wie das kullert und gluckst unter den Schneebrücken. Hier, da, ein Fenster drin, und bunte Kiesel lachen zu uns herauf. Ein neues Märchen, ein Guck kasten gar wunderfein! Es raunt die Eishex und dröhnt und kracht. — Und klirrend prasseln die Zapfen zusammen, und es zieht mich und bricht — und die Hexe packt zu und schäumt... Doch der Alte vom Gebirg hat mich schon beim Schopf und reicht mir grade noch einen faulen Knorren und Hilst meinen Brettert, wieder hoch. Verflucht! Die reine Gletscherkinderstube! — Sst! Noch einmal! Hei, wie das prickelt! Du, nimm deine Spitzen in acht! Ich beiß sie weg! Du Bocksgesicht! Waldschrat! Schon wieder da? Und Schwung um Schwung von Hang zu Hang, und Bösewichter kreuz und quer, und trügerisch verwehte Blöcke da und dort. Und unter der Wölbung schäumts und srierts. - Nun wirds zu bunt. Die Bretter ächzen und krachen altersschwach und wollen nicht mehr mit. Wir stapfen plump zum Talweg und machen eine faule Skihaserlabfahrt bis zur Baude im Grunde, gerade als hätten sich die Koboldrackercheu alle drangehängt. Ein- kehren? Mit den Geistern im Nacken? Die Kerle wären am Ende auch hier mit uns durchgegangen! Drum lieber weiter durch den schweigenden Wald. Es rieselt neuer Schnee und kühlt die Glut auf unfern Wangen. Gleiten, Gleiten, durch den Tann, schwer vom Schnee. Endlos scheint der Weg. Gebirg und Himmel schmilzt in eins. Der Flockenwirbel tanz verwehrt den Blick. Wir tauchen tiefer in den Wald und rauschen wie im Takt bergan, indes die Gnomenwelt um uns lebendig wird, und die Geister vom Langengrund prahlen von Eis- und Schneesturm. So zwei, drei Stunden weit oder vier. Da windet sichs kühner hinauf. Steile Trümmermulden gähnen in die Dämmerung hinauf. Der Wald ist fort. Die allerhärtesten der Fichten nur spitzen noch aus dem Schnee hervor, gespensterhaft. Und auch der Weg ist fort. Und die Nacht deckt falsch und böse alles zu. Wir bohren unsre Augen in das Düster und tasten uns mit Ach und Krach hinauf. Schon beißt und zwickt der Schnee sturm an Nase und Ohren. Da sind wir oben und stehen breit aus den Brettern. Jeder Weg verweht, und Nacht und Nebel und Schneesturm. Und gestern haben wir hier oben Nackttänze gemacht! — Verrückt! — Doch es gibt kein Besinnen! Die Nacht wird schwärzer. Wir müssen in den Nebel. Hohler und hohler aus dem Schneeloch heult der Sturm, und tausend Nadeln wirbeln ins Gesicht. Und ganz allein die Stöcke lasten sich am steilen Hang des Steinbodens zum Brunnberg hin. Da, auf einmal brennen die Hölzer drauf los, und ich rutsche in einen Windkessel! Verflucht! Wohl eine Stunde lasten wir uns so weiter und gleiten tiefer