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er betrachtete sie mit Recht als einen ehrwürdigen Zeugen einer vergangenen Zeit. Gerade dieser anscheinend histo rische Einschlag gewisser Sagengruppen bedeutet für den Historiker eine große Versuchung. Aber er muß sich mit dem Sagenkundler daran gewöhnen, alle diese historischen Zutaten als Sagenbildungen einer allmählich ungläubig werdenden Zeit zu betrachten. Eine besondere Gruppe dieser Sagenbildungen stellen die Auszugssagen dar. Der Oßlinger Riese zieht mit seiner Tochter aus, als sie einen Bauer mit Gespann in ihrer Schürze getragen bringt. Er sagt: O Tochter, ich hätte nicht gedacht, daß du die Verkünderin unseres Unglückes würdest. Um dieser Würmlein (Menschen) willen hat schon mancher von uns sein Leben gelassen. Komm, wir ziehen in ein ander Land, wo wir in Ruhe leben können. Die Mittags frau wird von ihrem Umgänge erlöst, wenn jemand alle ihre Fragen beantworten oder eine Stunde lang von einer Sache erzählen konnte. Dann sagte sie: Das hat dir der Teufel gesagt, ließ sich aber auf der betreffenden Flur nicht mehr sehen. Und die Lutchen zogen aus, als die großen Brummer, die Glocken, in die Welt kamen. Die Auszugssagen sind die Zeugen einer Zeit, die den naiven Glauben verloren hat. Sie hat zwar noch ein enges Verhältnis zur Überlieferung, schämt sich aber des unmittelbaren Glaubens und löst sich von ihm durch die Einschiebung der Zeit. Daß aber die Auszugssagen trotz dem ein ganz beträchtliches Alter haben können, ersehen wir aus dem Bericht des Albinus. Sie können auf Grund dieser Quelle mit Sicherheit bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückdatiert werden. Obwohl dem Albinus die Meinung, daß die Zwerge früher gelebt hätten, wenigstens nicht ganz albern klingt, glaubt er als gelehrter Mann an die Zwerge überhaupt nicht. Dazu hatten auch seine Vorgänger bereits zu eifrig nach wissenschaftlichen Erklärungsgründen für die Erd töpfe gesucht. Nathesius, der Prediger zu Ioachimsthal, schreibt in seiner Sarepta, einer Bergpostill in 16 Predigten: Ein wunderlich Ding ist es gleichwohl, daß so mancherlei Formen an diesen Töpfen sind, daß auch keiner dem andern gleich ist, und daß sie unter der Erde weich sind wie die Korallen im Wasser und an der Lust hart werden. Ebenso, daß in jedem Topfe etwas Sonderliches liegt. Ich hab' ein wundschaffen (?) Ringlein an einer Gräfin gesehen, von Gold, Silber und Kupfer, sehr artig ge wunden. Das hat man in einem solchen Erdtopf gesun den. Man disputiert wohl, es sei etwa an dem Ort ein Begräbnis gewesen, darinnen man toter Leute Asche, wie in den alten Urnen oder Tränentöpflein, darein man der weinenden Zähren gefastet habe. Aber weil man die Töpfe nur im Maien gräbt, da sie sich selber verraten, und als wäre die Erde schwanger, einen Hübel machen, darnach sich die richten, die ihnen nachgehen, so lasse ich es natürliche, ungemachte und von Gott und der Natur gewirkte Töpfe sein. Derjenige, der die Bedeutung der Erdtöpse in aller Klarheit erkannte, war der hervorragendste sächsische Humanist, der aus Glauchau gebürtige Georg Agricola. Er stellte fest: in diesen Töpfen haben die Heiden nach ihrem Brauch die Asche der verbrannten Toten vergraben. Trotzdem aber setzte sich Agricolas Ansicht nicht ohne weiteres durch. Selbst Albinus scheint nicht ganz davon überzeugt gewesen zu sein. Denn als sich ihm eine Ge legenheit bietet, entschließt er sich, die Sache selbst zu untersuchen. Er gehört also zweifellos mit zu den ersten, die Grabungen zu rein wissenschaftlichen Zwecken in die Wege leiteten. Er grub mit seinem lieben Gevatter und vertrauten Freund, Magister Oswald Vogel, Superinten dent zu Zanaw (Zahna nordöstlich Wittenberg?), in einigen Hügeln nicht weit von eben genanntem Städt chen. In den Grabstätten sanden sie „Regen oder Zirkel" von großen Feldsteinen, und im mittelsten Zirkel Urnen von mancherlei Form. „Aber weil sie vielleicht oön der Viehtrift und vom Winde, vom Sande sehr entblößet, meistens teils zerbrochen und voll Sand und Erde ge funden, darneben gleichwohl in etlichen Asche, Bein und Kohlen gewesen. Dieses aber ist sonderlich anzumerken, daß ich kleine Näpslein dabei gesunden, fast in der Form, wie man die Käsnäpflein macht, doch unten keulig, auf deren jeden an einer Seite ein Löchlein mit dem Daumen eingedruckt, das maus desto besser dabei halten mögen. l. In dem größten Hübel oder Berg, deren im ganzen 16 oder mehr gewesen, funden wir erstlich eines Lachters tief ein ganzes Menschengebein in der Ordnung, wie das Ladaver war begraben worden . . . Darunter lagen wieder einen Lachter tiefer etliche große Feldwacken, mit breiten Steinen bedeckt, dazwischen ein großer Haufen gar schöne, weiß-graue Asche, welche etwas fett anzu greifen gewesen ist." Albinus wurde durch seine Gra bungen völlig von der Richtigkeit der Anschauungen des Agricola überzeugt. Am Anfänge des 18. Jahrhunderts werden den Urnenfunden und der Leichenoerbrennung bereits umfangreiche wissenschaftliche Abhandlungen ge widmet. Wir nennen etwa das Lepulcretum ^Vest- pbalicoco IVlimiguräico Oentile. Für den Fachmann dürfte das Werk von Interesse sein. Die alte Sage von den Zwergtöpfen in der Erde ist seit etwa 350 Jahren von der Wissenschaft als unrichtig erkannt worden. Sie hat zu eben dieser Zeit den wissen- schastlichen Erklärungsgrund für die Erscheinung gefunden. Und doch hat der Herr o. Schulenburg, der in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts unter den Wenden lebte, erzählen hören, daß sich manche Wenden geweigert haben, den gelehrten Leuten bei den Grabungen zu helfen. Sie sagten: Laßt doch den Kleinen ihren Frieden. Etwas über den Zug des weißen Storches Vogelwarte Rossitten Sonderdruck aus der „Deutschen Zäger-Zeitung" Nr. S Bd. 83. as Ringexperiment hat über den Zug unseres allbekann- AlWDten Haüsstorches in verhältnismäßig kurzer Zeit über- viel Licht gebracht. Der Reiseweg der nord- Störche liegt klar vor unseren Augen. Er »ÄUHführt nach Südosten durch Ungarn über den Bosporus, Kleinasien, Syrien, Palästina nach Afrika hinüber und in der Ost- Hälfte des schwarzen Erdteiles bis zum Kaplande. Aus den un kultiviertesten Gegenden, oft unter den wunderlichsten Begleit- umständen, bekam man die Ringe aus dem fernen Auslande zurück und konnte in schönster Regelmäßigkeit ein Kreuz nach dem andern als Fundorte beringter Störche in die Zugkarte ein- tragen. Es fiel einem wie Schuppen von den Augen. O, das war herrliche Arbeit! Aber nun die west- und süddeutschen Störche. Das find Sorgenkinder. Wohl fand die Vogelwarte auch in jenen Gegen- den eifrige Unterstützung. Die Landratsämter im Westen unseres Vaterlandes bemühten sich in entgegenkommendster Weise um die Storchmarkierungen. Die Studenten in Freiburg i.B. kletter ten auf die Dächer und legten den jungen Störchen Ringe um, aber in jenen Gegenden ist unser Storch bei weitem nicht so