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Das Häusel war längst überschuldet. Die Bäckerei hatte säst ganz aufgehört. Kummervoll hielt der Alte das Schreiben in der Hand. So fand ihn die Mutter. „Is er nu fertig, der Toni?" fragte sie ängstlich. Traurig schüttelte der Vater das weiß ge wordene Haupt. „Ich weiß keinen Rat mehr", seufzte der Alte. „Es ist noch so viel Mehl zu bezahlen. Der Müller will nicht länger warten." „So schreib' es ihm", riet die Mutier. „Ich hab's schon, es nützt nichts." Traurige Tage kamen. Der Alte buk längst nicht mehr. Er ging auf Tagearbeit. Schwer genug war das ihm, dem einst so geachteten Bäcker, geworden. Wie hatte man ihn um seinen klugen Toni beneidet. Und die Annl? Die härmte sich auch. Sie arbeitete und band Blumen, bis ihr die Augen und der Rücken schmerzte. Brief auf Brief kam vom Doktor. Er brauchte dringend Geld, fürs Examen, wie er angab. Und weil der Alte keines hatte und auch keines auftreiben konnte, so ließ er den Sohn ohne Antwort. Die Schulden drängten. Das Haus wurde versteigert und alles, was der Dater besaß. Das Elend brach ihm das Herz. Er starb und ließ Mutter und Tochter allein. Nicht einmal mit geteilt hatten sie dem Doktor den Tod des Vaters. Sie schämten sich, wenn er etwa zum Begräbnis käme. Auch die Mutter trug man bald hinaus. Annl aber fand ein Unterkommen bei mitleidigen Verwandten, und als Tonl heimkam, fand er sein Wohnhaus von fremden Leuten bewohnt. Die gaben ihm Aufschluß. Da brach der starke, große Mann zusammen. Er flehte die Schwester um Verzeihung und ver- sprach Besserung. Allein, er besaß keinen Halt mehr. Zur ge- wöhnlichen Arbeit dünkte er sich zu gut.' Auch schämte er sich, unter die Leute zu gehen, die ihn kannten. Er begab sich auf die Wanderschaft und versuchte sein Glück ans der Landstraße. Erst nach etwa 10 Jahren kam er heim. Annl hatte sich inzwischen verheiratet. Aber wie sah ihr Tonl aus! Er war ein Land streicher geworden und hatte die Lande fechtend durchzogen. Nun war er das Wanderleben satt. Er erhielt eine Schlafstelle bei der Schwester. Zu ordentlicher Arbeit hat er sich nie mehr aufgerafft. Er war kein Trinker, tat auch sonst nichts Schlechtes. Geistige Arbeit konnte er keine finden. So blieb er denn ein Nichtstuer. Die Leute nannten ihn auch fernerhin den Häuseldochier. Er ver- diente sich einige Kreuzer durch Briefe- und Gesucheschreiben und andere schriftliche Arbeiten. Ein ordentlicher Mensch ist er aber nie mehr geworden. Ab und zu besuchte er seine ehemaligen Schulkameraden und war glücklich, wenn er von denen, die einst lange nicht so klug waren wie er, eine Gabe erhielt. So ist es geblieben bis zu seinem Tode. Die Erdtöpfe Bon F r i c d r i ch S i e b e r - L ö b a u ie Töpfe, die man in den beiden Lausitzen, in Schlesien, Böhmen, Thüringen und in anderen Gegenden in der Erde fand, haben bei den früheren Historikern und Naturwissenschaftlern das lebhafteste Inter- esse gefunden. Man wußte mit den Erdtöpfen nichts Rechtes anzufangen. Die wunderlichsten Meinungen waren darüber im gemeinen Volke und bei den Gelehrten im Umlauf. Die Lausitzer bei Lübben nannten sie gewachsene Töpfe. Sie glaubten also, sie seien in der Erde gewachsen. (Bergl. dazu Haupt, Sagenbuch d. L., S. 25). Diese Meinung ist nicht so sonderlich, wie sie uns auf den ersten Blick zu sein scheint. Die Leute hielten die Töpfe für ein Gestein, ein Mineral. Es ist aber eine bis in die Neu zeit hinein verbreitete Anschauung des Volkes, daß Steine wachsen. Wenn z. B. die erzgebirgischen Bergleute in ihren Gängen Wismut autrasen, pflegten sie zu sagen: Wir sind zu zeitig gekommen, hier wäre Silber draus geworden. Trafen sie zerbröckelnde Eisenknollen, sagten sie: Wir sind zu spät gekommen, das war Silber. Die Lausitzer um Lübben waren auch der Meinung, daß die Erdtöpfe nur im Sommer gegraben werden könnten. Um Pfingsten herum stiegen sie aus der Erdtiefe herauf und lägen nur eine Elle unter dem Boden. Aber im Winter sänken sie 15—20 Schuh in die Erde hinein. Das Nach graben machten sie so: Sie zogen mit Scheiten und Eisen grabstückeln hinaus, stachen tief in die Erde hinein, und wo sie auf Stein stießen (denn damit waren die Töpfe bedeckt), gruben sie nach. Trafen sie Töpfe, ließen sie sie erst eine Weile stehen, bis sie hart wurden. Sonst konnte man sie nicht ganz herausbringen und sie zerfielen wie Asche. Aber ein Teil der Lausitzer und Märker, ebenso die Thüringer, glaubten nicht, daß die Töpfe gewachsen seien. Sie glaubten, daß in der Erde Zwerge lebten. Die fertigten dort täglich ihre Töpfe und setzten sie in ihre Höhlen. Drum nannte das Volk die Töpfe Zwergtöpfe. Aber diese Meinung ist unserm Gewährsmanne doch zu albernes Gerede (?etru8 ^Ibinus: Meißnische Berg chronik 1589). Etwas wahrscheinlicher klingt ihm schon die andere Volksmeinung, die er auch gehört hat: Die Zwerge haben früher gelebt. In ihren verfallenen Höhlen finden wir die Töpfe. Die beiden Bolksmeinungen, die uns hier Albinus be richtet, sind von höchstem volkskundlichen Interesse. Sie zeigen uns eine entscheidende Entwicklungsstufe des Volks glaubens. Die Meinung: die Zwerge leben noch, zeigt uns den Volksglauben in rein lebendiger, ursprünglicher Form. Die Anschauung: die Zwerge lebten früher, zeigt uns die folgende Entwicklungsstufe des Volksglaubens: seine Gestalten werden in die Vergangenheit projiziert. Um 1589 ist also nach dem Bericht des Albinus dieser Vorgang im Volke bereits im vollen Gange. Der Ein wand, der mir gemacht werden könnte, daß ja die Mei nung: die Zwerge lebten früher, auch eine ursprüngliche Anschauung, vielleicht gar die ursprünglichere, gewesen sein könne, wird durch die Entwicklung zur Gegenwart hier widerlegt. Der Zug zur Projektion in die Ver gangenheit ist eine ganz wesentliche Entwicklungseigen tümlichkeit des Volksglaubens. Man könnte sie den tragischen Wesenszug des Volksglaubens nennen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die hauptsäch lichsten landschaftlichen Sagensammlungen entstanden, hat diese zweite Entwicklungsstufe fast ihr Ende erreicht. Die Sagen erzählen von Gestalten, die früher lebten. Früher lebte auf dem Oßlinger Berge ein Riesenvater mit seiner Tochter . . . Früher ging die Mittagsfrau über die Fluren der Wenden. Alte Wendinnen wissen noch Geschichten von ihr, aber sie sagen: Gott sei Dank, daß sie sich nicht mehr seh'n läßt. Und in dieses Früher sind auch die Zwergensagen gerückt worden. Die Wenden erzählen: Die Lutchen wohnten vor uns im Lande. Unsere Großeltern haben sie noch gesehen (Großeltern, d. h. in der Volkssprache ost: vor langer, langer Zeit). Aber immer müssen wir uns vergegenwärtigen, daß dieses Früher zu der ursprünglichen Sage nicht gehört. Hat doch der hervorragende Sammler und Bearbeiter wen discher Sagen, Herr Adolph Cerny, auf seinen Streif zügen tatsächlich nur eine alte Wendin getroffen, die mit hingebendem Ernste noch an die Lutchen glaubte. Und