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VL«v^0 6k5kI.LI6k der Dereinsmitgliedor Sonntag, 3.Ianuar 192S, nachm. 3 Ahr, im Gerichtskretscham zu Eibau Musik, ernste und heitere Dorträge Der Vorstand. Dr. Weder, Bors. Im Advent Eine Dorfgeschichte von Th. Schütze, Hainitz (Schluß) Es kommen immer mehr Kinder; auch große Leute gehen ab und zu vorüber; manche bleiben stehen und schauen dem tust.gen Treiben eine Weile zu. Wir spannen uns jetzt der Abwechslung halber vor die Schlitten der Mädchen und ziehen sie flink hinter uns her. Die Mädel jauchzen vor Vergnügen, und einige, die auf den Schlitten keinen Platz finden, wissen sich sogleich einen schlauen Rat Sie Haven nämlich Holzpantoffeln an den Füßen, in deren Unterseite zwei starke Drähte eingenagell sind, gleich schmalen, kurzen Schlittenkufen. .Fetzt packen sie am Schlitten an, hallen sich eine an der andern fest und lassen slch in langer Kette mit von uns ziehen. Welch ein tolles Geschrei, wenn die Schlitten mit ihren lebenden Schwänzen unter fortgesetzten Zwischenfällen über die Eisfläche fahren! Es hält sich wohl nur einer abseits von diesem Spaß, das ist Karl. In wetten Bogen und gewagten Schwingen fitzt er seine Fahrten fort, umkreist uns bald mit einem sonderbaren Lächeln, bald entfernt er sich kühn nach der gefährlicheren Nordhälste des Leiches. Vielleicht dünkt er sich zu vornehm, an solchen Albern heiten mit den Mädeln teilzunehmen; vielleicht glaubt er, schon zu alt dasür zu sein. Uns stört das nicht, wir kümmern uns nicht um ihn, und weiter windet sich unter Jubel und Hallo der zappelige Wurm, beide Schlitten jetzt an der Spitze, über das Eis, und wir Jungen fahren die tollsten Bögen, so daß die Mädel hinter uns einmal nach links, einmal nach rechts stolpern und schier Hören und Sehen verlieren. Niemand aber bemerkt, daß ein neuer, entsetzlicher Gast eben vorbetgegangen ist: Spiel« Verderber Tod. Ein kleines Mädchen, das ans Ufer gelaufen ist, weil ihm zu schwindlig wurde, fängt ganz fürchterlich an zu schreien, fuchielt mit den Armen und weist nach dem Nordende des Teiches. Wir begreifen nicht gleich, plötz lich aber hält doch der ganze Zug still; alle frohen Laute ersticken, alle Augen wenden sich nach der Richtung, wo hin das Kind am Ufer zeigt. O, wie schrecklich! Wir sehen und hören zu gleicher Zeit etwas, das uns das Blut erstarren macht. Es spielt sich alles,in unwahischeinlich kurzen Augenblicken ab. Wir sehen, wie jemand dort, wo der Teich noch offen liegt, im Ge« wässer um sich schlägt, wie aber sogleich Kopf und Arme spurlos untersinken, und es kommt ein Schrei zu uns herübergcflattert, „Hilfe!" oder etwas dergleichen, so schrill und grell, daß er sich unoergeßbar hinembohrt in unser Herz. Schon ist alles vorüber. Wo ist Karl? Ja, er war es, der Untergehende, der Versinkende! Ist er eingebrochen durch die dünne Eiskruste am Rande des Gewässers, allzu waghalng, allzu unvorsichtig in seinem Fahrelfer? Doch jetzt ist zu fragen keine Zelt. Als ich begreife, worum es sich handelt, tst mir, als bekäme ich einen höchst schmerzhaften Schlag vor die Stirn. Ich reiße mir mit zitternden Händen die Schlittschuhe weg, renne hinüber auf den Weg und weiter zu der Stelle, wo das Wasser wieder tückisch, unbeweg lich steht. Die meisten Kinder folgen mir in vollem Laufe; alles flüchtet in plötzlicher Angst vom Teiche; einige Mädchen jagen sogar jämmerlich fchreiend dem Dorfe zu, als zupfte sie der Wassermann selbst an den Röcken. Von unserem Freunde ist nichts zu erblicken. Ernst und ich, wir beide rennen in die Mühle, reißen, ohne anzuklopfen, die Stubenlüc auf. Da sitzt der junge Muller auf der Ofenbank, liest Zeitung, springt aus, eine Grobheit zwischen den Zähnen. Wir stammeln, stottern durcheinander, wissen selber nicht was; doch der Mann begreift uns sogleich, zerrt eine Icppe vom Wandhaken, slüizt in den Hausflur, ruft nach seinen Leuten. Mit Windeseile sind wir wieder zur Unglücksstätte, und in wringen Sekunden kommt der junge Muller gerannt, baihäuptig, in langen Wasserstiefeln, in die er noch während des Lausens die HoM hmeinstopst. In der rechten Hand hält er eine Stange. Ec schreit: „Wo is es denn? Wo steckt er denn?" und geht an einer seich teren Stelle in den Teich, mit der Stange behutsam in das Wasser stechend. Wir stehen stumm dabei, eine ganzeH große Schar von Kindern, und aller Augen starren nachÄ ckr Stelle, wo der arme Karl versunken ist. Indem W kommt auch der alte Müller herangehumpelt, schwer nach Atem ringend; ein paar dünne weiße Haarsträhne wirren ihm über die Stirn. Er schlrppt einen Pfahl Mit, an drssen oberem Ende ein kurzes, starkes Brett angenagelt ist. „Nee," sagt er zu uns, „hier ts doch das Wasser gor nich tief, wie kann denn hier eener ertrinken?" Dann sängt er gleichfalls an, den Boden des Teiches adzusuchen. Jetzt erscheint auch die Müllerssrau, das sonst schon blasse Gesicht ganz wächsern, die Augen flackernd vor Aufregung. Sie trägt eine Menge dicker Pferdedecken her und breitet sie aus dem Wege aus, wo wir scheu Platz machen. „Ho, da haben wir ihn!" ruft der junge Müller, der bis an den Rund seiner Stiefelschäfte im Wasser sttht. Er bückt sich, greijt zu und hebt den Ertrunkenen heraus. Die Mädchen verbergen mit dem Ärmel die Augen vor dem furchibaren Anblick; manche sangen laut an zu weinen. Es würgt mich etwas in der Kehle, ich wende mich ab; vor meinen Augen gleiten schwarze Schleier auf und nieder. Die Knie zittern mir, ich lehne mich an einen Baum, der am Wege steht. So veiharre ich ein Weilchen und höre nur wie aus einer tiefen Betäubung heraus, wie immer mehr eilige Schritte über den hartgefrorenen Boden herankommen und wie das gedämpfte Stimmengewirr hinter mir sich verstärkt. Endlich finde ich den Mut, wieder heranzutrelen Inmitten einer Gruppe von Kindern und großen Leuten ruht auf den braunen Decken unser Freund Karl. Ist er es denn überhaupt noch? Er war doch kühn, lebhaft, gesund, rotwangig, blühend; hier aber liegt etwas zu