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Los war, das damals auf unseren so kindlich schwachen Schultern ruhte, und wir müssen wieder feststellen, daß aus Beschenkten Schenkende geworden. Damit haben wir keine leichte Ausgabe übernommen, und da wir uns doch ewig in leidigen Geldnöten befinden, wollen wir alle unangenehmen Kaufsorgen doch ein Weilchen von uns schieben, wollen uns hinsetzen und in uns hineinhorchen, ob uns nicht eine Geschichte in den Sinn kommt aus Weihnachtszeiten längst entschwundener Jahre. Schon fällt mir eine kleine Begebenheit ein. Die will ich dem erzählen, der sich mit mir einläßt. Daß die Geschichte trüb endet, daran bin ich nicht schuld; es ist ja doch nicht in unsere Hände gegeben, unseren Schick salen überall zu einem guten Ende zu verhelfen, und wir erleben oft Dinge, die in uns bittere Fragen erwecken. * * * Ich sehe mich daheim auf unserem Mühlteiche. Ich bin ein elijähriges Bllrschlein, frech und lustig unter meinesgleichen, unkundig noch der großen Welt. Der Teich trägt eine schöne, staike Eisdecke, zwar nicht an alln Stellen von tadelloser Glätte, doch immerhin befrie digend, zum kecken Tummeln gut geschaffen. Am Nord rande nur, wo immer eine deutlich merkbare Strömung nach dem Ausfluß mühlenwärts tnibt, ist das Gewässer noch nicht zugefroren, es liegt in spiegelnder schwarzer Tücke da. Es ist der dritte Adventsonntag. Der Himmel ist sehr niedrig heute und sehr, sehr grau; man sicht die Berge nicht, so nahe sie auch stehen, nur einen dunklen, gezackten Waldrand, hinter dem sich weiß Gott was für Geheimnisse verbergen. Felder, Wiesen, Straßen, alles ist steif und hart geboren und erbärmlich grau; auf den Wegen liegen kleine scharfe Scherben von den Eiskrusten der Pfützen. Man hört von fernher den Bach über ein Wehr rauschen; sonst ist die Stille vollkommen, und durch die reglose, eisige Luft schweben ganz vereinzelt und in langen Abständen federige Schneeflocken. Außer mir ist noch niemand auf dem Teiche; wir sind wieder zuerst fertig gewesen mit dem Mittagsmahl. Ich schaue den holprigen Weg entlang, der am Mühl graben ins Dorf hineinführt: niemand ist zu sehen. Doch kaum habe ich die Schlittschuhe an den Füßen befestigt und den einleitenden, natürlich von einem Sturze unter brochenen Lauf auf dem Eise ausgeführt, so erscheinen zwei meiner Freunde und Schulkameraden. Da ist der Ernst, Sohn eines kinderreichen Kleinbauern, ein Paus back, dessen leicht nach außen gekrümmte Beine in plum pen Stiefeln stecken. Neben ihm Paul, der Schusterjunge, hager, mit sehr schmalen Schultern, das Gesicht sommer sprossig und blaß unter dem fuchsroten Haarschopf. Die Schlittschuhe, welche die beiden mitbringen, sind vorsint flutlicher Machart. Man muß sie mil erheblicher Muskel anspannung anschrauben mittels eines Schlüssels, der jedem der beiden Jungen an einem Stricke um den Hals baumelt. Der Sicherheit halber bindet man dann noch eine Schnur um die Stiefelkappe, und nachher kann man denn in Gottes Namen einen Ritt aufs Eis wagen, wenn man sich vor Umfallen und anderen Unfällen nicht fürchtet. Ich ärgere meine Freunde gern. Nun stehe ich wieder vor ihnen, wie sie gebückt und keuchend am Teich rande sitzen, Halle ihnen höhnisch den Fuß mit einem meiner wohleingerichteten Schlittschuhe unter die Nase und bringe sie durch allerhand Sticheleien in höchsten Zorn. „Na, warte Du!" schreit Ernst, „wenn ich nur werde uffstehn; Du kannst ja was erleben!" Und Paul fügt knurrend hinzu: „Verpriegeln wer ich Dich, daß de Dich wirscht umgucken!" Jetzt sind sie beide fertig. Sie stehen auf, um ihre Drohungen wahrzumachen. Ich bin davon wie der Wind. Es beginnt eine aufregende Jagd über die Eisfläche. Wir quieken, sprudeln, keuchen, je nachdem. Meine Verfolger stürzen, erheben sich wieder, sausen erbitterter hinter mir her. Endlich haben sie mich in die Enge getrieben, und ehe ich vom Teiche flüchten und den steilen Uferhang hinanklimmen kann, haben sie mich gepackt. Ernst wirft mich zu Boden, versucht meine Hände festzuhalten; Paul rafft den Reif zusammen, der die Eisfläche hier bedeckt, fährt mir ins Gesicht damit, stopft mir das nasse, eisige Zeug hinter den Kragen. Jauchzendes Geschrei der Sieger, jämmerliche Weherufe des Unterlegenen. Da, ein Knack im Eise unter uns, der leise ratternd geschwind bis zum anderen Teichende sich fortpflanzt. Wir springen auf, lachen uns an und fahren versöhnt davon. Eben sind noch mehr Kameraden angekommen, Kurt, Ma;, Richard, unbedeutende Bauernknirpse, haben sich in die Kälte hinausgewagt, und gerade langt auch einer an, der schon in höherem Ansehen steht, Karl, der Gastwirts sohn, ein stämmiger, wohlgenährter Bursche. Nicht nur der Umstand, daß er das letzte Schuljahr geht und in der Klasse als Erster sitzt, verschafft ihm Respekt; er ist auch in der beneidenswerten Lage, über größere Geldmittel zu verfügen als wir anderen alle miteinander. Man hat sogar schon blanke Silvermarkstllcke bei ihm gesehen, die er nachlässig und kaltblütig, als wären es schäbige Hosen knöpfe, aus der Westentasche zog. Er ist großmütig und spendabel: wenn er sich Schokolade gekauft hat, verteilt er ein paar Stückchen an die, denen er wohlgesinnt ist; den Unartigen und Widerhaarigen wirft er das Silber papier hin, und sie fallen dann, wie die Geier über ein Aas, über die süßen braunen Krumen her, die noch darin sind. Da lacht er sich eins. „Wer kommt mit?" ruft Karl, „ich werd mer nich erst die Schlittschuhe anmachen, ich geh erst in Laden Fengstickl koofen!" Alle gehen wir natürlich mit, und wer keinen Pfennig besitzt, läßt sich doch von der Hoffnung auf Karls Spende freudigkeit verleiten. Eilfertig reißen wir die Schlittschuhe von den Füßen und stürmen dann den schmalen, steinigen Fußweg hinan, der zwischen grauen Wiesen zum Krämer hinaufführt. Wir treten in den Hausflur; eine Glocke bimmelt schrill, und ein Geruch schlägt uns entgegen, worin sich alle die Kostbarkeiten des ländlichen Kauf ladens vereint haben von der Schuhwichse bis zum Harzer Käse. Wir gehen aber nicht in den schmalen Verkaufs raum, sondern werden in die große Wohnstube eingelassen. Da ist auf einem Tisch und auf einer alten Hobelbank die Weihnachtsausstellung breitgetan: große, niedrige Pappschachteln, aus deien Boden fein säuberlich neben einander die begehrten „Fengstickl" liegen, jedes für sich wie ein verwunschenes Prinzeßlein, wartend auf den Prinzen, der es mit Hingabe einer blanken Münze erlöst. O, wie gern würden wir den Erlöser spielen für sie alle, und da wir doch nichts anderes können als mit ihnen zu liebäugeln und ihnen unsere Wünsche ganz leise zuzu flüstern, so empfinden wir gerade hier für Augenblicke dumpf die Feindseligkeit des Schicksals. Die Krämerin,