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grustd zu mildern. Übrigens iut er dies schon im ersten Moment der Bekanntschaft mit dem Wasser, und je nach dem Tiefstand desselben, mehr oder weniger energisch, also ganz nach Bedürfnis; ja er verfolgt sogar einen fehlgestoßenen Fisch schwimmend unter Wasser, allerdings oft auch ergebnislos, je nachdem, ob sich der Fisch schnell in Sicherheit bringen kann oder nicht. Also, ausschließlich der Fischerei halber hat er diesen langen Schnabel nicht, denn zahlreiche andere Wasser vögel leben auch nur von Fischen und haben andere, kleine Schnabelformen. Ich bin sogar der Meinung, daß der Eis vogel bei all seiner stürmischen Wildheit und Verschlagenheit mit einem kürzeren und breiten Schnabel für die Fischerei viel, viel gefährlicher wäre. Er ist für die Fischbruten genau so gefährlich, weil unerhört gefräßig, wie der Sperber unter dem Vogelleben. Das lummenartige Beisammenhocken der Nesijungen mit unveränderlich auf den Schultern liegender Kopfhaltung, der eigenartig raubtierähnliche Geruch, das bestialische Benehmen, die anfangs sonderbare Hautfarbe, die ganze Lebensweise über haupt, brachten mich aus den Gedanken, daß der Eisvogel in Urzeiten ausschließlich Seevogel war. Die Nomenklatur wäre richtiger: Fischeroogel, Bergmannsvogel oder fischender Berg- mannsoogel, auch fischender Erdspecht oder nur Wasserspecht, anstatt Eisvogel, denn er becrbeitet niemals im ganzen Leben das Eis, sondern einzig die Erde; mit Eis hat er überhaupt nichts gemein, höchstens das Bewußtsein, daß es im Winter sein ärgster Feind ist. Er ist seit Urzeiten der geborene Berg mann unter den Kleinvögeln und der allerschönste Schmuck heimatlicher Fluren, er ist ein fliegendes Juwel, aber auch bereits schon eine Naturseltenheit. Er hat noch nie einen Menschen pleite gefressen, denn er frißt weniger Fische als eine Wasserratte oder Wildente, er hat dasselbe Recht zu leben als wir, drum müssen wir ihn schützen allüberall, wohin die Menschen kommen mit ihrer Qual. Lausitzer Sozialpolitik in alter Zeit — Spinnschulen und Kinderspeisungen — Georg S ch w a r z - Bautzen Fürsorge im heutigen Sinne des Wortes kannte man vor 75 Jahren in Deutschland ebensowenig wie in dem damals schon zu einem wesentlichen Teile industriali sierten England. Die Nachschlagewerke der damaligen Feit, die Enzyklopädien usw., verzeichnen das Wort „Sozial" überhaupt nicht und demzufolge noch viel weniger den Begriff der Sozialpolitik, der sich unter der Entwicklung der späteren Jahrzehnte zu einem so gewaltigen Komplex im Rahmen der staatlichen Aufgaben entwickeln sollte. Zwar hatte man schon in früheren Jahrhunderten die zwei Grundsätze vertreten, daß die Gesellschaft niemand verhungern lassen darf, sondern daß jeder, der sich nicht selbst erhalten kann, mit dem Notwendigsten ver sorgt werden muß und ferner, daß es die beste Art sozialer Fürsorge ist, dem Bedürftigen Arbeit zu verschaffen, aber unter dem Einfluß Malthus'scher Gedankengänge waren diese Prin zipien sehr zugunsten der Auffassung in den Hintergrund getreten, daß man es in der sozialen Hilfsbedürstigkeit mehr mit einem Ausscheidungsprozeß zu tun habe, der für eine natürliche Aus lese der Gesellschaft sorge. Diese Auffassung wirkte noch lange nach und spielte z. B. noch bei der Beratung der deutschen Armengesetze um 1870 eine Rolle. Gleichwohl gab es schon zur damaligen Zeit Menschen, die durchaus sozial eingestellt waren, und Vereine und sonstige Personenvereinigungen, die sich auf dem Gebiet sozialer Für- sorge in neuzeitlichem Sinne betätigten. Ein Beispiel dafür sind die christlichen Frauenvereine, die bereits in verschiedenen Städten vorhanden waren, sowie sonstige Hilfsvereine, die unter den verschiedensten Namen segelten. In Bautzen bestand bereits vor 1850 der auch heute noch vorhandene Verein für Rat und Tat, der damals bereits über das stattliche Vermögen von über 3000 Talern verfügte. Eine überaus segensreiche Tätigkeit ent faltete auch der Oberlausitzer Verein zur Begründung von Spinn schulen, der seinen Sitz in Schönbach bei Löbau hatte und als dessen Gründungstag wohl der 26. Februar 1850 anzusehen ist. Bereits vorher hatten sich Fabrikanten, Geistliche, Lehrer und Gemeindevertreter zusammengetan und die Sptnnschulen in Schönbach und Königshain bei Ostritz ins Leben gerufen. Die günstigen Erfahrungen, die man mit diesen Schulen, die Arbeits- und Erziehungs-Schulen zugleich waren, machte, riefen auch anderwärts den Wunsch nach Gründung solcher Schulen hervor, und so wurden in kurzer Zeit noch die Schulen von Neusalza und Berthelsdors bei Herrnhut errichtet, denen später noch weitere folgten. Die Gemeinden stellten den Raum sowie Heizung und Beleuchtung zur Verfügung, während „jeder andere Aufwand tunlichst vermieden werden'^ sollte. Nach den Satzung-n des Vereins hatte jede Spinnschule dahin zu wirken, daß „die Spinner nickt nur mit der belgischen Flachszubereitungsweise tunlichst bekannt werden, sondern daß sie auch ein gutes, egales und haltbares Kettengarn spinnen lernen", und weiter, daß die Kinder des Ortes nicht nur vom Bettelngehen und vom Müßiggänge gänzlich abgehalten, sondern auch an Tätigkeit, Ordnung, Sparsamkeit und Sittlichkeit gewöhnt werden, ohne dadurch die kindlichen Freuden reiner Art zu verkümmern." Das Betteln auswärtiger Kinder sollte nicht geduldet werden. Ein Bericht vom 9. April 1850 spricht vom „Segen der zu Schönbach begründeten Anstalt", die im August 1819 ins Leben gerufen würde, und sagt, daß „durch den von der Staatsregierunq bewilligten wackeren Spinnmeister Zickmantel nicht nur das Flachsspinnen, sondern auch die vor gängige Behandlung des Flachses nach belgischer Methode gelehrt wurde." Die Schönbacher Schule war mit drei Schülern gegründet worden und zählte bereits nach dreiviertel Jahren 102, wobei betont wird, daß es dadurch gelungen sei, die Kiaderbettelei gänzlich zu beseitigen. — Die am 13. März 1850 gegründete Spinnschule in Neusalza zählte alsbald 70 Kinder, „welche einen solchen Eifer an den Tag legen, daß er gewiß von guten Erfolgen für die Sache überhaupt begleitet sein werden. Schon erhalten mehr als zwei Drittcile von ihnen allwöchentlich Lohn für ihr Gespinnst." Der Vorteil der Spinnschulen bestand aber nicht nur darin, daß die Kinder wirtschaftlicher Not und sittlicher Verwahrlosung, wie sie die Bettelei mit sich brachte, entzogen wurden und daß sie Unterricht in der Fertigkeit der Flachsbearbeitung erhielten, sie wurden auch im Absatz und der Verwertung ihrer Erzeug nisse, also im Leinenhandel unterwiesen. Aber auch in anderer Beziehung wurde für die Kinder der Spinnschulen gesorgt. So fanden, wie der Vereinsvorsitzende, Klostersyndikus Advokat Friedrich in Löbau, in einem Rechenschaftsbericht erklärt, bereits zu Weihnachten 1849 in den Schulen zu Schönbach und Königshain Lhristbescherungen statt. In Schönbach erhielt außerdem jeder Spinnschüler „von der als mildtätig bekannten Familie Zische", deren Firma heute noch besteht, Stollen, Apfel und Nüsse. Ferner wurden die Kinder mit Wintersachen aus gestattet. Hierzu hatte der Leipziger Frauenverein zur Unter- stützung brotloser Arbeiter 30 Taler gespendet, die durch die Kreisdtrektion zu Bautzen vermittelt wurden. Sammlungen für diesen Zweck hatte man weiter veranstaltet in Bautzen durch den Vorsteher der Stadtverordneten, Advokat Seemann, in Herrnhut durch den Vorsteher Verdeck und den Kaufmann Grüllich, in Löbau durch Kaufmann Hennig. In Herrnhut waren besonders Kleidungsstücke gespendet worden. Auch das sächsische Ministerium des Innern lieh dem schönen Werke seine Unterstützung. Sogar Kinderspeisunqen, wie sie während des Weltkrieges von den amerikanischen Quäkern eingeführt und später von den Gemeinden übernommen wurden, wurden in Verbindung mit den Spinnschulen durchgeführt. So heißt es in einem Bericht vom 21. Januar 1850: „Den ärmsten Spinnschülern wird, so lange die Kälte dauert, jetzt auch zu mittags, bevor sie aus der Spinnschule in die öffentliche Volksschule gehen, eine warme