Volltext Seite (XML)
„Was wir sind, ist nichts, Was wir suchen, ist alles, Den inneren Frieden." Vielleicht ist es gerade diese schlichte Erkenntnis, die ihn sein Leben lehrte und die ihn bewegte, auf fremder Scholle die Einsamkeit auszusuchcn. Die Menschen, die in ihr leben, sind nie die Schlechtesten. Freilich sind sie ost verschlossen und es bedarf oft großer Geduld und nicht zuletzt eines gewissen Fein- gefühls, um ihr Schweigen zu brechen und ihr Wort zu lösen. Auch der Sepp schwieg. Nur mit der Weisheit des Alters gab er mir die Summe seiner Lebenserfahrungen zu wissen, die nicht gerade zur Ehre der Menschheit gereichen. Josef Sommer, so lautet der volle Name unseres Sepp, ist am 15. November 1851 in Traunstein, je vier Stunden von Salzburg und Rosenheim in Bayern geboren. Als ehr samer Schuhmacher verdiente er ein schönes Stück Geld und ward wohlhabend. Aus einer glücklichen Ehe entsprossen ihm fünf Söhne, von denen er drei im Weltkriege verlor. Einer lebt als Kaufmann in Nürnberg, und ein anderer betreibt in Pforzheim eine Buchdruckerei. Die üblen Erscheinungen der Nachkriegszeit haben dem biederen Sepp das Letzte genommen und hätten ihn sicher ganz an den Bettelstab gebracht, wenn ihm nicht noch zwei seiner Söhne geblieben wären und er über einen so außerordentlich zähen Lebensmut verfügte. Doch er wollte nicht von seinen Kindern abhängen und ihnen lästig sein. Bei Friedrichsroda, nicht weit von Bad Wildungen (Waldeck), baute er sich ein ähnliches Idyll wie in der Lausitz. Da überkam den Alten noch einmal die Wanderlust, die ihn schließlich in die Lausitz führte, von der er gehört hatte, daß sie schön sei. Sein kleines Heim in Thüringen übergab er dem dortigen Grundbesitzer und hier bei uns schuf er sich bald ein neues. Mit kleinen Sattler- und Schuster-Arbeiten verdiente er sich ein kärgliches Brot und war trotzdem stets zufrieden. Sonst aber war er der Menschheit fremd geworden und setzte sich mit einer gewissen Resignation über die harten Schicksalsschläge seines Lebens hinweg. Still hauste er in seiner kleinen Klause. Den Wohnraum füllten ein Tisch und ein Schränkchen. Zwei märchenhafte Fen- sterchen mit sauberen Gardinchen spendeten dem Raume ein spärliches Licht. Dor ihnen aber, auf schmalem Sims, lachten aus bunten Kästen freundliche Blumen durch die blanken Scheiben herein. In der Ecke spendete ein niedlicher eiserner Ofen Wärme zum Kochen und Heizen. Eine winzige Öllampe hing von der Decke über den Tisch, an dem der Sepp oft lange, lange in Büchern und Schriften studierte. Stuhl und Bank ließen nur noch einen schmalen Gang, um in den Schlaf raum zu gelangen. Gebückt mußte man durch seine Tür gehen und einige Stufen hinabsteigen. Hier, in dem eigentlichen Ur sprung der ganzen Wohnungsanlage, befand man sich in einer regelrechten kleinen Höhle aus Felsgestein, die nur durch eine winzige Öffnung einen Schimmer Licht genoß. Sie war nicht größer, als gerade die Lagerstätte zu bergen. Diese war kein Bett im allgemeinen Sinne, sondern nur ein ganz einfaches Ruhelager aus einer Heu- oder Strohunterlage mit einigen warmen Decken. Der findige Sepp verstand es aber, darunter ein Kellerchen einzurichten, in welchem er seine Kartoffelvorräte diebessicher barg. Er brauchte, um zu ihnen zu gelangen, nur sein Lager hochzuklappön. Da sich in dem Raum nicht mehr als eine Person bewegen konnte, so durfte ich ihn mir nur durch die Tür betrachten. Leberecht Hühnchen in Steglitz bei Berlin, von dem uns Heinrich Seidel so schön erzählt, hätte es sicher nicht besser gebracht. Uber dem ungefähr l'/r Meter breiten und 2-3 Meter langen Wohnraum befand sich auch noch ein Boden, der zur Aufbewahrung von Feuerholz und anderen Vorräten diente. Mit Stolz zeigte mir der Sepp die Falltür, durch d'e er be- quem hinaufgelangte, wenn er einen Stuhl darunterstell.e und hinaufstieg. Auf meine Frage, wie es ihm denn in dieser kleinen Wohnung gefalle, erwiderte er: „Na," a bischge eng isch ja halt, aber a Sekretär und a Klavier beabsichtige i net anzuschaffe. Wasserleitung brauch i a net, da genügt d'r Eimer, mit dem i mir mei Wasser von der Quelle aus dem Walde hole. Aber fchaun's, da die Reihe Pfeisen über dem Tisch, das isch a schönes Stück Möbel. Müh' hat's ja gekoll't, die Steine zur Mauer herbeizuschlcppe, aber schön isch halt a, wenn m'r warm und trocke sitze kann." In die Kirche ist der Sepp auch gegangen, aber im Winter, wenn die ganze Hütte fast völlig eingeschneit war, da blieb er oft tage- und wochenlang von aller Welt abgeschnitten und hat selbst Gottesdienst gehalten. In der schönen Jahreszeit jedoch pflegte er sein Gärtchen, pflanzte sich ein paar Rosen stöckchen und in einer Mauernische stellte er ein kleines Kru zifix aus. Wenn dann des Sonntags Besucher kamen, die er gern zur Rust in seinem Gärtchen auf bequemen Bänken ein- lud, dann freute er sich mit ihnen. Und wenn sic ihm gar eine Prise Tabak anbotcn, dann schmauchte er freundschaftlich mit ihnen ein Fricdcnspfeifchen. Festtags zog er sich sein gutes Wams an und setzte sich sein grünes bayrisches Hütle mit dem Gemsbart auf. * * * Mancher wird sich gern dieser idyllischen Stätte unseres lausitzcr Leberecht Hühnchen — so dürfen wir ihn getrost nennen — erinnern. Rauhe Bubenhände haben nun das schöne Kleinod und Heiligtum des Sepp in frevlerischer Art vernichtet. Obdachlos irrt er nun in den Dörfern umher, abhängig von der Güte und Gnade ihm Gutgesinnter. Und Gerüchte gehen von Mund zu Munde, daß auch einflußreiche Kreise diese Zer störung gebilligt haben sollen, weil der Sepp bald das Heimat recht erworben hätte und man befürchtet habe, daß er der Unter stützungspflicht hätte zur Last fallen können. Mit philosophischer Weisheit wird sich der brave Sepp in seinen alten Tagen auch über solche schmähliche Handlungsweise Hinwegsetzen. Und wenn ihn auch diese trübe Erfahrung aus dem Lande treiben sollte, die Erinnerung an seine originale Gestalt und sein Waldidyll wird in manchem Herzen weiter leben und Zu rückbleiben. Weh aber ist dem Heimatfreund ums Herz, der wohl befürchtet, daß der Sepp die Lausitz ungastlich nennen muß. Wer könnte es ihm auch verdenken? So aber kann und darf die Lausitz nicht gewertet werden und gutzumachen gilts, wo arg gefrevelt wurde. Herbstwandern Kurt Nierich-Kötzschenbroda rau Sonne spinnt ein Goldnetz über die klaren Wasser des Hausgrundteiches, und dort, wo die Forellen so still im Ticfwasser stehen, spiegelt sich der hochsiedende Bau der kühnen Ritterburg. Wie ist es doch so still hier in den Waldeshallen! Kaum ein Hauch flüstert in den hohen Wipfelkronen, nur die Sonne flutet hindurch und malt blanke Tellerlein wie goldene Münzen auf die Pfade der Menschenkinder. Droben um das alte Gemäuer webt Tag und Nacht ein stiller Zauber. Blaue Schatten sinken in die dunklen Nischen und wohnen darin wie nächtige Gedanken aus fern, ferner Zeit. In das Maßwerk des ehrwürdigen Kirchenbaues strahlt der Helle Himmel und spinnt sein lichtes Buntglas in die spitzen gotischen Fensterbogen. Der Ehrfurcht stille Flügel aber über wehen dauernd diese geweihte Stätte. Der Wanderer tritt jetzt die Fliesen, auf denen die Knie betender Mönche einst geruht, und ein spätes Vogellied durchzwitschert den hohen Raum, in dem einst suchende Herzen nach Gott geweint. Hier hing der ewigen Lampe düstere Rubinenglut, und geweihte Lippen sangen das Ave und das Sanktus durch die heilige Halle. O du Wandel des Erdenseins! Was ist doch der Mensch gegen dich, du gemeißelter Stein! Du dauerst und kündest fernen Geschlechtern Taten, Leiden und Freuden, du sprichst von Ruhe, Frieden und