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Wolken Theodor Schütze-Hai nitz ^r-ine kleine Sommerfrische habe ich da, ein rechtes :: Träumerlager für die Stunden nach vollbrachter Arbeit, ein bescheidenes Wölkenkuckucksheim. Es ü ist nur ein schmaler Feldrain zwischen Korn und Weizen, zwei Minuten vom Hause entfernt. Man "" hat ihn vergessen zu mähen: so wuchern die Sommer kräuter ungestört und erfüllen die Luft mit ihren wilden, wür zigen Gerüchen. Niemand besucht mich da außer den Ameisen, Käfern und anderen vielbeinigen Tierlein, die flink durch den Graswald spazieren. Niemand sieht mich, ich aber sehe alles, sehe ein weites, buntes Tal vor mir ausgebreitet mit unzähligen Häuschen, Gärten und Feldern, voll des Fleißes und der Be- triebsamkeit. Berge umranden das Tal von allen Seiten: sehr fern im Süden winkt noch eine Hohe, und ich höre in meinem Herzen das lockende Rauschen und Brausen der Wälder. Bon Zeit zu Zeit läuft ein Eiseubahnzug aus dem Tale heraus, eine kleine schwarze Raupe mit dampfendem Köpflein; mit den Augen fahre ich mit, ein bischen wehmütig, ein wenig neidisch, solange bis nicht das letzte Rauchwölkchen hinter einem Gehölz ver schwindet. Bin ich dieses Schauens überdrüssig, so lege ich mich ins blühende Gras und blicke den lichten Sommerhimmel an. Da schwebt hoch über mir der Wolken lustige Schar und ergötzt mich durch ihr windgelriebenes Hin und Her. Ich liege still, sie aber wandern — die Glücklichen! — und führen mir im Vorüberschweifen die artigsten Dinge vor, wie reisende Komö dianten. Bald lasten sie Reiterscharen auftreten, die in lang samem Gewimmel dahintraben und sich schläfrig bekriegen: bald heißen sie eine Riescnhand sich weithin strecken, deren bekrallte Finger sich grausig zu krümmen beginnen, als wollten sie dem Himmel selbst den blauen Mantel von den Schultern zerren; bald zaubern sie mir anmutige oder romantische Landschaften und bevölkern sie mit allerlei kriechendem und lauerndem Ge tier und mit allen abenteuerlichen Ungetümen der Vorzeit. Man wird nicht müde zuzuschauen; alle Sorgen geraten dabei in ein seliges Vergessen. Der Tag war heiß, noch die Abendluft ist trächtig von Glut und Schwüle. Rückt nicht schon eine Wolkenmauer regenkündend von Nordwesten an, einem Feinde gleich, der friedliches Land überfallen will? Dräuend bleibt noch das Kriegsheer im Hinter gründe, Gewehr bei Fuß. Und wie man im Weltkriege einmal nachsagte, daß sie elende Frauen und Kinder vor ihren Armeen hergetrieben hätten, so scheucht jetzt der Wolkenfetnd große Scharen milchweißer Schäfchen ins Borgelände. Oder sind das auch schon Feinde, in Schafklcidcr gehüllt, mit reißenden Wolfs zähnen? Jedenfalls schwärmen hinter ihnen schon zahlreiche Reiterstreifen und lugen still und vorsichtig nach dem Gegner aus. Die große Wolkenwand aber kann sich bereits eines herr lichen Sieges rühmen: sie hat jetzt die Sonnenkönigin ver schlungen und läßt nur so dann und wann ein paar rötliche Strahlen, von der Besiegten entlehnt, durch das Visier leuchten, als wollte sie denen da unten zu verstehen geben: „Seht, so schlimm bin ich gar nicht, unterwerft euch nur!" Doch da ist »och der wackere Verteidiger, der Südwind, der mit vollen Backen dem Wolkenfeinde entgegcnfaucht und ihn bisher ab gewehrt hat. Aber die eigene eifervolle Hitze hat ihn müde ge macht, und wir wissen schon, was kommen wird. Sobald die Kelche der Sterne sich alle am sommerblassen Nachthimmel er schlossen haben, wird der tapfere Südwind matter und müder werden. Müdigkeit aber gebiert Leichtfertigkeit. Der Ermattete wird ein Auge schließen, und alsbald wird das andere von selbst in den Schlummer Nachfolgen. Ohne Beschützer schlafen nun Berge und Täler: ängstlich beugen die Kornähren ihre reifen, langhaarigen Häupter. So rücken leise, ohne Wider- stand zu finden, die Wolkenregimenter in das schlummernde Feindesland ein, verschleiern und verwischen die goldenen Äuglein der Sterne und beginnen ihre Geschosse zur Erde zu senden, volle, laue Tropfen, die nichts töten, nichts verwunden. Wird Schäfer Wind noch einmal erwachen, so wird er mit Verwunderung gewahren können, daß die Wolken nicht als zerstörungswütige Feinde erschienen sind, sondern als milde Freunde und versöhnliche Brüder, zu stillen den Durst der Verschmachtenden, aufzurichten Häupter und Herzen aller Buß losen und Müden. Enzian in Sachsen Bei dem Namen Enzian denkt man für gewöhnlich an die alpine Flora, genau so wie bei dem Worte Orchideen an die Tropen. So wie aber die Orchideen in vielen Arten in der Heimat ihre Lebensbedingungen finden, freilich meist be scheidene Vertreter, so trifft man auch Enziane ans sächsischem Boden an, deren Blütezeit jetzt ist. Dem botanischen Laien mag es zunächst nicht leicht fallen, Enzian und Glockenblumen arten auseinanderzuhalten. Das ist insofern bedauerlich, als der Enzian zu den geschützten Pflanzen gehört, deren Pflücken verboten ist. Es sei darum auf die Eigentümlichkeiten der Enzianfamilie und ihrer Vertreter kurz hingewieseu. Der wissenschaftliche Unterschied zwischen Glockenblumen und Enzi anen liegt im Blütenaufbau, der dargestellt werden Kanu in einem Blütendiagramm. Das Auffälligste ist dabei, daß bei den Glockenblumen der grüne Kelch in seinem unteren Teile, also nicht mit den 5 freien Zipfeln, mit dem Fruchtknoten verwachsen ist. Beim Enzian ist er frei. Eigentümlich ist den Glockenblumen beim Aufblühen das enge Aneinauderhaften der Kronenzipfel, das besonders bei den verwandten Teufels krallen auffällig ist. Aufblühende Enzianblüten dagegen lassen erkennen, wie die Kronenblätter in der Knospenlage gedreht sind. Man stellt die Enziane darum in die botanische Reihe der Lontortae (— Zusammengedrehte), der als ganz nahe Ver wandte des Enzians noch angehören das Tausendgüldenkraut und der Fieberklee, als etwas entferntere Esche, Flieder, Öl baum, Immergrün und Schwalbenwurz. Die Glockenblumen gehören zur Reihe der Lumpunulatue (— Glockenblütige) und haben als nahe Verwandte die Lobelia und die Teufels kralle, als weitere Gurke mit Kürbis und die Korbblütler, also Löwenzahn, Distel, Kamille nsw. Hat man Enzian ein mal gesehen und als solchen vorgestellt bekommen, so vergißt mau ihn kaum wieder, sodaß es unschwer ist, den IO in Sachsen zerstreut vorkommenden Arten Schutz zu gewähren, die meist im Juli oder August ihre Blütezeit beginnen und diese bis zum Oktober ausdehnen. Sehr vereinzelt in West sachsen, im Elbtal und in der Lausitz blüht jetzt der Kreuz- enziau (Lientiana cruciuta), dessen innen azurblaue Blüten in den oberen Blattachseln und an der Stengelspitze gehäuft erscheinen. Die gegenständigen Blätter sind zu Scheiden ver wachsen. Nur im östlichen Erzgebirge an besonders geschützten Stellen verblüht jetzt der stumpfblättrige oder frühe Enzian (Oentiurm obtusikolia oder praaco'x), dessen Krone mehr violett leuchtet. Er ist niedriger als die erste Art, die bis 40 ain hoch wird. Ebenfalls sehr selten ist der bittere Enzian (Lientirmu axillaris) mit rötlich-lilaen Blüten, der nur im westlichen Erzgebirge, im Vogtland und der Lausitz ganz ver einzelt bis zum September auf trockenen Wiesenabhängen blüht. In West- und Ostsachsen vereinzelt tritt der Fransen enzian (Oentiana ciiiata) auf, dessen Blütenzipsel in der unteren Hälfte lang gefranst sind. An meist verzweigtem Stengel sitzen die violetten, weißgrundigen Blüten des deut schen Enzians (Llentiana germanica), der im Vogtland ver breitet, in Sachsen sonst selten ist. Die genannten Arten be dürfen vor allem des Schutzes durch die Wanderer. Für den Handel kommen sie infolge ihrer Seltenheit nicht in Frage. Wohl ist dies aber der Fall bei dem baltischen Enzian ((Lien- tiana OaitiLa) und noch mehr beim Lungenenzian (Oontiana ?neumonantlre), der feuchte, torfige Wiesen oft in größeren Mengen bedeckt. Die Häufigkeit ist indes nur eine schein-