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Hirt und Hutung in derOberlausitz Dr. Curt Miillcr-Löbau n dem gewaltigen Umschwung unserer wirtschaft lichen Verhältnisse schwindet so manches dahin, was mit poetischem Reiz unsere Jugend einst schönte. Welcher ehemalige Dorfjunge dächte nicht mit Wehmut der herrlichen Stunden, die er im Zusammenhang mit seiner Helmatflur, mit der heimischen Tierwelt und mit den jugendlichen Dorfgenossen als Hüte junge und Hirt verbracht hat! Von dem Leben der Sennen und Sennerinnen hören wir wohl, und sei es auch nur durch die Verherrlichung, die ihr Schiller im „Tell" zuteil werden ließ; die Poesie des Hirtenlebens wird auch nicht sogleich aussterben, weil die Alpcnwirtschaft zu fest im Boden wurzelt. Anders dagegen ist es mit dem uralten Schäferwesen in den niederdeutschen Heiden und mit den sangeslustigcn Hirten buben und Gänsemädeln auf mitteldeutscher Herbstweide. Von ihrem poesieumflossenen Leben werden bald nur noch Dichtungen, wie Uhlands stimmungsvolle „Kapelle", und Bilder erzählen; ist doch besonders in unseren sächsischen Bergen das uralte Hirtentum nahezu geschwunden. Das Vorwiegen der Stallfütterung, die Einengung der Brachen, die Inanspruchnahme des Bodens durch verständige Land wirtschaft für Körnerfrucht, der Rückgang der heimischen Schafzucht, die mit der auf den Weideflächen Australiens und Südafrikas nicht mehr wetteifern kann, und selbst die strengeren Forderungen der Schule an unsere Dorfjugend, das alles hat das -Hirtentum unserer Heimatdörfer ein geschränkt und teilweise ganz vernichtet. Wollen wir uns daher heute noch eine lebendige Anschauung der alten Ver hältnisse verschaffen, so müssen wir zunächst die Flurverhält nisse unserer Lausitz kennen lernen, wie sie noch aus den alten Flurnamen ersichtlich sind. Die Runddörfer der wendischen Urbewohner haben ebenso wie die langqezogenen Bachdörfer der deutschen ein gewanderten Kolonisten noch Teile ihrer Dorfflur in Ge meindebesitz. Außer der sogenannten Pfarrwiedemut, dem von der Kirchgemeinde für die Besoldung des Pfarrers aus genutzten Grundbesitz, gehört vor allem dazu die Gemeinde weide mit dem dahinführenden Wege, die bei uns folgende Namen führt: Diebig ( Viehweg, der Weg und die Weide selbst, oft aber ist nur noch der Weg vorhanden, weil in Industriedörfern die Weide überflüssig wurde), auch Fiebig vielfach geschrieben (daher der nicht seltene Familienname Fiebiger), häufig bei sehr langen Dörfern der obere und untere Viebig, das Biebigfleckel, die Hutung, die Hut, die Hutge, das Hutstücke, die Treibe, die Treebe, die Viehweide, die Vichtreibe, der Viebiggipfel. Die Hutung liegt meist an einer Lehne oder auf einem Hügelrücken, der für sonstigen Anbau unbrauchbar ist. Daher gibt es eine große Anzahl Hutberge in der Lausitz. Auch der weltberühmte Hutberg bei Herrnhut war ursprünglich eine Hutung des Gutes Berthelsdorf, auf dessen Flur sich die frommen mährischen Brüder ansiedelten. Sie deuteten aber den alten Flurnamen in ihrer Weise, indem sie ihren Ort in des himmlischen Herrn Hut stellten. Die Menschen, des himmlischen Hirten Lämmer auf irdischer Weide, das ist ein beliebtes Bild in pietistischer Sprache. So wurde der Ausdruck „Hutberg" gewissermaßen aus dem weltlichen Gebiet ins geistliche über tragen. Die Hutung wird ost noch durch einen Zusatz näher bezeichnet, der die Zugehörigkeit zu einem Ortsteil, zum „Hof" (d. i. das Rittergut, das einst die ländliche Gerichts barkeit ausübte) oder auch die Bestimmung für eine Vieh sorte ausdrückt. So der Gerichtsviebig (Herwigsdorf bei Löbau, bezeichnenderweise jetzt auch Galgenberg genannt), die Mittelhoftreebe, der obere und niedere Viebig, der Kuh stall, das Kllhfeld, der Kuhberg, der Kuhbusch, die Kuh tränke, der Kuhdeichdamm, die Kuhlehde, der Kuhgraben, der Kuhzahl ( Kuhzagel, Kuhschwanz, ein Stück in läng licher, zugespitzter Form), der Ochsenberg, die Ochsenwiese, der Ochsenbusch, die Ochsenklassen, wendisch Bitschin (^- Ochsenplatzt, die Ochsenhutung, die Kälberstraße, die Schaf treibe, die Schaftreebe.auf dem Schäfer, die Schafbrache, der Schafberg, der Schafgrund, der Schafbusch, die Schaffichtcn, der Lammberg, das Schäfereistück, der Schäfereibusch, der Lämmerberq, der Ziegenrücken, der Ziegenbusch, der Ziegen berg, der Gänseplan, der Gänsevorweg, der Sauberq, der Saubusch, die Saulehdenwiese, der Pferdebera, der Hengst berg, die Pferdewiese, der Pferdebusch, das Pferdebrüchtriq (sumpfige Stellen). Für den Biehtrieb sind unentbehrlich Bade- und Trinkqelegenheiten, dis meist den Hutungen be nachbart liegen: Hofschwemme, Schafschwemme, Schasteich, Wauers Tränke (einfach nach dem Besitzer), Pferdeteich, Saupantsche, Sauschwemme, Sauteich, Kuhtränke. Heute sind diese Stellen willkommene Badegelegenheit für die Dorfjugend. Die Beschaffenheit der Hutweide spiegelt sich ab auch in stehenden Beiwörtern: der nasse oder dürreViebig; nach der Zeit des Hütens sind benannt der „vormittagsche" und „nachmittagsche Busch" (Nostiz bei Löbau). Der Weg nach der Hutung trägt vielfach die alte Bezeichnung Hirt gasse, Hoterqasse, Schafgasse, Ochsenstraße, Kälberstraße, auch eine Hirtbrücke gibt es wohl. Merkwürdig ist der wendische Flurname Husarka (^ Gänsemädchen) in Lauske bei Löbau, der wohl auch eine Gänseweide bezeichnet. Häufig haftet ja noch der alte Flurname, der auf alten dörf lichen Gemeindebesitz und Biehtrieb hinweist, an Ortsteilen und Feldstücken, die nicht mehr ihrer ursprünglichen Be stimmung dienen. Neuer Anbau in Gegenden mit Haus industrie, also in unseren „Oberdörfern", hat häufig zur Auflösung des alten Gemeindebesitzes gedrängt, ganze Orts teile heißen daher heute Viebig oder Hutge. Während früher bestimmte Teile der Gemeindeflur ständig zur Weide dienten, wird heute nur im Herbste „gehütet", wenn die Ernte geborgen ist und das aus Wiesen und Feld noch Wachsende einen weiteren Schnitt nicht mehr lohnt. Wenn also die Kartoffelfeuer lustig brennen, dann hören wir auch draußen auf den Lehnen, die sich meist gegen die mit „Busch" bestandenen Rücken hinziehen, die langgezoge nen Hirtenrufe und -lieder der Hütejungen oder -Mädchen erschallen. Früher wurde das gesamte Vieh einer Ortschaft gemein sam ausgetrieben, zur Gemeindeweide gehörte daher ein Gemeindehirte. Gewöhnlich war dieser ärmlichste Dorf genosse tief verachtet von den Eingesessenen, weshalb ihn, auch nur die dürftigste Hütte zugewiesen wurde! „'s geht zu wie bei Hirtens", heißt es noch heute manchmal bei lieder licher Wirtschaft. Auch die halbwüchsigen Jungen, die teil weise noch heute im Dienste mehrerer Bauern oder ganzer Dörfer stehen, genossen nicht den Ruf besonderer Ordnungs liebe und Reinlichkeit. Das deuten die Spottreime an, mit denen heute noch die ländliche Kinderwelt die Hirten be grüßt und in denen sie auch die Hirtengesänge selbst nach äffte. Teilweise werden diese Kuhreigen auch von den Hirten buben selbst beim Treiben gesungen. Unsere Lausitzer Hirtenrusc bestehen aus langgezogenen