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konnte, so etwas hatte sie noch bei keinem Manne gesehen, am allerwenigsten aber bei ihrem Bären vermutet. Nicht jubeln und jauchzen konnte er vor Freude, nein, dazu war seine Kindheit zu bitter gewesen; denn die jubelnde Freude muß schon in das Kinderherz gepflanzt werden, aber stau nend, andächtig konnte er sich freuen. Als wenn man einem kleinen Kinde von Weihnachten erzählt. Etwas Rührendes, Heiliges lag in dieser stillen Freude. Wie hatte sie ihn doch so lieb, ihren Riesen mit dem schlichten Kindersinn! Gleich wollte sie mal an die Haustür treten, um nach dem Walde hinübersehen zu können, in dem er arbeitete. Weiß glitzerte und blendete der schmale Weg, der zum Walde führte, >in der Sonne. Anna mußte erst die Hände schützend über die Augen halten, ehe sie sich an das blendende Licht gewöhnen konnte. Liebevoll umfaßte ihr Blick den Weg, auf dem ihr großer Blonder in einigen Stunden heimkehren würde. Da traten aus dem Waldsaum ein paar Männer hervor, die schienen etwas Langes, Schweres zu tragen. Als sie an eine Biegung des Weges kamen, erkannte Anna deutlich, daß die Last der Männer eine Bahre war, auf der wohl ein Mensch ruhen mochte. Was mochte da geschehen sein? Und wo wollten die Männer mit ihrer unglücklichen Bürde Ein kehr halten? Anna fühlte, wie ihre Knie zu zittern begannen und wollte sich dem Innern des Hauses zuwenden. Da kamen die Männer gerade auf ihr Häuschen zu und da — an der letzten Wegbiegung gleißte es plötzlich im Sonnen licht wie Goldgespinst aus der Bahre... Ihres Christliebs goldkrauser Bart!... Ein gellender Schrei durchschnitt die Mittagsstille, ohnmächtig brach das junge Weib zusammen. Als sie wieder zu sich kam, hatten mitleidige Nachbarn schon die Dinge getan, die vonnöten waren. Nun sagten sie ihr, daß der Riese Baum im Todessturz den Riesen Mensch mitgenommen habe, um zu zeigen, daß er doch der Mäch tigere sei. Leise wimmernd kauerte sich Anna Felber an das letzte Lager ihres Christliebs. Sie sprach mit niemandem, ver schmähte Speise und Trank und wich nicht von ihrem Platz. Als am dritten Tage viele Dorfbewohner kamen, um den toten Felber-Christlieb zur letzten Ruhe zu begleiten, sah sie alle verständnislos an, ließ sich dann ruhig in ihre Mitte nehmen, und ruhig wieder nach Hause schaffen. Auch als ihr toter Christlieb der allgütigen Erd-Mutter in die Arme gelegt wurde, war diese starre Ruhe nicht von ihr gewichen. Der Pfarrer, ein freundlicher, alter Herr, der sie ja vor noch nicht einem Jahr erst getraut hatte, war tiefbetrübt über ihr tragisches Schicksal, und er bat die Nachbarn nochmals, doch die Felber-Anna in ihrem furchtbaren Schmerz nicht allein zu lassen. Eine um die andere von den gütigen Nachbarinnen kam, nach ihr zu sehen, brachten ihr Töpfchen mit Essen, ein paar frische Eier, ein gutes Getränk. Sie konnten nicht einmal sagen, ob die Felber-Anna sie überhauptgesehen habe. Starr, wie am Tage der Beerdigung, sah diese über alle hinweg, und noch war kein Laut über ihre Lippen gekommen. Wieder waren zwei Wochen vergangen. Da hatte in einer Nacht die kleine Christine, das einst so heiß ersehnte Schnee wittchen, ihren Einzug gehalten. Und ein richtiges Schnee wittchen schien das Mägdlein werden zu wollen; wie eine schwarze Samtkappe lagen die Härchen um das kleine Köpf chen. Immer wieder hielten die freundlichen Nachbarinnen das wunderfeine Menschenkindlein der jungen Mutter hin, um ihre Teilnahme zu erwecken, und manche heiße Träne aus mitleidigem Auge tropfte aus das kleine Bettchen, weil es nicht gelingen wollte, diese ihrer starren Schweigsamkeit zu entreißen. Da schien eines Nachts der Bann gebrochen zu sein. Die Pflegerin hörte lautes Sprechen, eilte in die Kammer und zum Bett der Felber-Anna. Wie erschrak sie aber, als sie sah, daß die Kranke mit glühendheißen Wangen dalag und wirre, unzusammenhängende Worte schrie. Ein Arzt konnte erst am Morgen aus dem eine Stunde entfernten Städtchen geholt werden, und was konnte hier bis zum Morgen schon alles geschehen sein.... Noch einmal schien sich der Tod aus dem Felber-Häus chen ein Opfer holen zu wollen; acht Tage kämpfte die Anna einen erbitterten Kampf mit ihm, dann mar sie Siegerin im Kampfe. Wochenlang mußte sie das Bett hüten, und müde und teilnahmslos lag sie in den weißen Kissen. Müde und teilnahmslos — wenigstens nicht mehr so todesstarr, als sei alles Leben aus ihr gewichen. Sie sprach auch wieder, wenn auch nur das allernötigste. Brachte man ihr Klein-Christin- chen und rühmte deren wunderbare blaue Augen, die wie ein unergründlicher Bergsee waren, so verweilten ihre Blicke wohl längere Zeit auf dem lieblichen Kinde, nie aber um spielte ein Lächeln ihren Mund. Der Sommer ging zur Rüste, da hatte man zum ersten Male die Anna in das kleine Gärtchen gesetzt. Neben ihr stand das Wägelchen der kleinen Christine, die schon lustig zappelte und krähte. Da knarrte das Gartentürchen, und die Anna gewahrte den alten Pfarrer, der sich nach dem Befin den von Mutter und Kind erkundigen wollte. Christinchen möchte nun auch getauft werden, meinte er, und Anna ver sprach, daß, wenn sie würde zur Kirche gehen können, auch die Taufe vollzogen werden solle. Drei Wochen später rüstete man sich denn auch im Felber- Häuschen zu diesem Gange, und ehe Anna dem Christinchen ihren Brautschleier über das Köpfchen deckte, sah sie ihr noch einmal — wohl zum ersten Male — so recht tief in die un ergründlichen Blauaugen. Eine Patin, eine von den freund lichen Nachbarinnen, welche die Kleine vom ersten Tage an betreut hatte, fragte besorgt, wo denn Christinchen heute ihre roten Bäckchen habe. Sonst war es wohl keinem aufgefallen, daß die Kleine heute stiller und blasser als sonst war. Es war ein stürmischer Tag. Die Kirche stand oben auf der Höhe, und die Taufleute mußten fest gegen den Wind stemmen, wenn sie den Berg hinauf wollten. Indessen über legte der greise Pfarrer in der Kirche noch einmal die guten Worte, die er dem Christinchen mit ins Leben geben wollte: Ein Sonnenschein solle sie werden für die Mutter, und das Lachen solle sie ihr wieder lehren! Wie erschrak er und alle Umstehenden aber, als der Schleier vom Bettchen genommen wurde, und auf dem weißen Kissen wurde ein blaues Gesichtchen mit krampfhaft ver drehten Augen sichtbar. In kürzerer Zeit ist wohl noch nie eine Taufe vollzogen worden. Keine guten Worte konnten dem Täufling mit auf den Weg gegeben werden. Nur die kurze Taufformel und ein Gebet, dann eilten die Taufleute mit dem kleinen Wesen, das die Namen Maria Christine erhalten hatte, nach Hause. Der Pfarrer, welcher sich erboten hatte, selbst nach dem Arzt'zu gehen, hatte denselben zum Glück im Dorfe angetroffen. Ratlos standen die Paten und die junge Mutter um das krampfoerzerrtr Körperchen, als der Arzt eintrat. „Meine liebe Frau Felber" sagte er, nach dem er sich um die kleine Kranke bemüht hatte, „es ist am besten für das arme Würmchen, es schlummert leis hinüber."