Volltext Seite (XML)
Der Aberglaube in der Volksgesundheits-Pflege Unter Berücksichtigung der noch heute im Ebersbach-Löbauer Bezirk vorkommenden Volksanschauungen Hans Müller-Beiersdorf. IV. amit sind wir schon in ein neues großes Gebiet ein getreten: das Abgeben von Krankheiten. Es wurzelt wieder im Dämonenglauben. Die Dä monen, die ihren Sitz im Walde, in Bäumen und in Tieren haben, werden in diese zurückgebannt. Bei der Übertragung auf Bäume hat sicher die Vorstellung von Krank heitswürmern und den Holzwürmern mitgewirkt. Die Ab gabe an Tiere aber ist nach Wundt ein Ausläufer des Totemismus (Tierahnenglaube). Einflüstern ins Ohr des Tieres oder enge Berührung mit diesem, die bet Rheumatis mus gefordert wird und von den Anhängern der Sympathie als magnetische Kur bezeichnet wird, sollen die Krankheit über- tragen. Bei Gicht soll der Kranke einen dünnhaarigen Hund bei sich Im Bett schlafen lassen, „der wird die Krankheit an sich ziehen". Manche Leute halten sich auch Meerschweinchen in der Stube, da diese ebenfalls „die Krankheit an sich ziehen sollen." (Rheumatismus). Die Einschränkung, daß Katzenbälge nur bei den Menschen wirksam seien, die die Katzen leiden können, weist auf die Sympathie hin, auf die wir später noch zu sprechen kommen werden. Das Verbannen inBäume wird auch noch viel geübt. In Thüringen bindet man Strohbündel an die Baumstämme und entledigt sich dadurch seiner Krankheit. Auch das „unter die Rinde bringen" hat denselben Zweck. Beim Zahn- schmerz z. B. muß man mit einem Spänchen, das unter der Rinde gelöst ist, den Zahn so lange stochern, bis er blutet. Das mit Blut benetzte Spänchen bringt man dann wieder unter die Rinde und läßt es verwachsen, der Zahn wird dann nie wieder schmerzen.Um entzündete Halsdrüsen los zu werden, bindet man einen Schwamm, der an einer Eiche oder Buche gewachsen ist, eine Zeit lang auf die Drüsen und vergräbt ihn Hann. Dieses „unter die Erde mitgeben" ist auch bei allen Übertragungen aus Leichen der Fall. Warzen kuriert man meist so. Man bestreicht sie mit einer Zwiebel, die ins Grab eines Kindes gelegt wird, überfährt sie mit einer Leichenhand oder reibt sie mit dem Leichenwaschtuch ab. Durch Berühren mit der Hand des Toten will man auch den Kropf heilen. Man muß drei Mal mit der Totenhand auf den Kropf drücken und er verschwindet mit dem Verwesen der Leiche. Bei den folgenden beiden Mitteln wird erst noch ein Stück Fleisch oder Speck als Vermittler gebraucht. Das Muttermal soll vergehen, wenn man ein Stück rohes Rindfleisch einer Leiche 24 Stunden lang in die rechte Achselgrube legt und dann für mehrere Stunden auf das Mal bindet. Ebenso sollen Hals- drüsen verschwinden, wenn man ein Stück ungesalzenen Speck einer Leiche andern Geschlechts zwischen die Beine legt, die Halsdrüsen damit berührt und den Speck dann im Sarge verwesen läßt. Noch ein unangenehmes Mittel sei erwähnt: Einem Säufer gewöhnt man das Trinken ab, wenn man den Branntwein durch ein Leichentuch seiht. „Er kann keinen wieder trinken", so endet das Rezept, dessen Schlußsatz ich wohl begreifen kann. Sogar das Regenwasser, das sich in einem Leichenstein angesammelt hat, besitzt nach dem Volks glauben eine Heilwirkung: Sommersprossen, die man sonst auch meist verschwört oder verspricht, sollen bei Waschun gen mit diesem verschwinden. An diese äußere Reinigung will ich gleich die Besprechung der inneren Reinigung anschließen. Da bei unfern Alt vorderen Blut, Schleim, Galle und Harn als Seelenträger angesehen wurden, hatte man auch die Anschauung, daß sie von Dämonen eingenommen werden könnten. Folglich rei nigte und läuterte die Entfernung dieser Stoffe auch die Seele und den Körper. Die gemeinsame Wurzel dieser Anschauungen ist der Glaube, daß alles, was der Mensch nach außen abgibt, seelische Kräfte in sich berge. (Wundt.) Folgende Mittel kann ich zum Beweis bringen: Heilung der Schwindsucht: Man öffne dem Schwindsüchtigen eine Ader und lasse etwas Blut heraus, das man einem Hunde oder Hahn zu fressen gibt, dadurch wird die Krankheit auf das Tier übertragen. Das Vergraben des Harns, das sehr ost vorkommt, bedeutet eigentlich ein Vergraben des Dämons. Um Bleichsucht zu heilen, gehe man vor Sonnenaufgang auf einen Rasen, steche dort ein grasreiches Rasenstück heraus, lasse seinen Urin in das Loch und drücke das Rasenstück ver- kehrt wieder hinein. Dann gehe man, ohne etwas zu sagen, nach Hause. Auch das Abschneiden und Vergraben der Finger nägel, in denen auch der Dämon Hausen kann, wird angc- wendet. Bei der Epilepsie dachte ich, es wäre eine Maß regel, damit der Kranke nicht kratzen könne. Man soll aber die abgeschnittenen Finger- und Zehennägel in ein Läppchen wickeln und sie in einem jungen Kirschbaum unterbringen. Ein vor das Loch geschlagener Eichpflock soll dem Geist das Herauskommen verleiden. Bei Gicht wird ganz dasselbe Verfahren angewandt. Die Frauen, die trunksüchtige Männer haben, haben sich auch den Dämon in den Fingernägeln dienstbar gemacht. Er soll wahrscheinlich den Saufteufel ver treiben; denn man empfiehlt, etwas von den Fingernägeln abzuschaben und in das geistige Getränk zu tun, dadurch soll das Übel geheilt werden. Um Hexen zu vertreiben, die den Kindern den Atem nehmen wollen, was sich durch plötzliches ängstliches Atemholen äußert, blase man mit zugespitztem Munde dem Kinde 9 Mal schnell hintereinander auf Stirn und Wangen. Darauf erfolgt ein tiefes Einatmen und Seufzen und die Be klemmung weicht. Auch das „Messen" ist eine Handlung zur Austreibung von Hexen. Früh nüchtern an 3 nicht auf einander folgenden Tagen muß sich das Kind lang aus den Bauch legen, die Füße lang ausstrecken und die Fersen schließen. Die Arme müssen ebenfalls ausgebreitet sein. Mit einem leinenen Faden mißt die „kluge" Frau nun zuerst vom Kopf bis zur Ferse, dann ohne Unterbrechung des Fadens von Spitzfinger zu Spitzfinger. Außerdem wird der Faden noch übers Kreuz gelegt und dabei die Dreieinigkeit ange rufen. Die Krankheit zeigt sich in 9 Tagen. Der Faden wird verbrannt und die Asche gegessen. Um über die Zukunft des Kranken etwas aussagen zu können, muß man Hanf säen und beobachten, wie er aufgeht. Außerdem sei noch er- wähnt, daß kleine Kinder mit dem Tuche eines Verstorbenen gemessen werden müssen. Diese Heilverfahren, vornehmlich das Abgeben von Krankheiten, haben schon viel mit Sympathie zu tun: „Unter Sympathie versteht man den näheren Zu sammenhang zwischen jedem Einzelwesen mit den übrigen, der durch unmittelbare Wahrnehmung im Gefühl des in den Zusammenhang Gebrachten oder in Beobachtungen und Wirkungen erkannt wird, ohne daß dabei der nähere Grund dieser gegenseitigen Gemeinschaft und wodurch sie vermittelt wird, bis jetzt angegeben werden konnte." So heißt es in einem alten Buch über Sympathie. Auch die Ursachen der Heilkraft werden dort erörtert und es wird angegeben, daß hauptsächlich eine psychische (seelische) Beeinflussung des Men schen stattfände. Die Aufmerksamkeit wird von der Krankheit weg auf das Heilverfahren gelenkt und die Einbildungskraft des Menschen beschäftigt. Die Kraft des Willens wird dabei aufgerufen. Eine nebensächliche Bedeutung mißt der Sym pathiemann den Nebenmitteln bei, die mit zur Kur gehören. Sie sind aber sicher noch das Wichtigste dabei. Beim Mund schwamm z. B. übt man das Besprechen und läßt gleichzeitig mit Alaun als Nebenmittel spülen, das doch allein nur eine Wirkung ausübt. Es ist nur gut, daß mit der Sympathie meist unschuldige und unschädliche Mittel verbunden sind.