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Gberlaufltzer Helmatzettung 102 Nc.s Hände an der Arbeit gewesen waren, damit es, wie alle Jahre, wieder ein Schmuck des Hauses werde. In einem solchen Hause, das ein größerer Garten um rahmte, lag ein müder Greis im Todeskampfe. Müde wohl zum ersten Male in seinem Leben; niemals krank gewesen, hatte man ihn von. ferne schon an seinem emsigen Schritt erkannt, der immer der gleiche geblieben war bis zu dem Tage, an dem es nicht mehr gehen wollte. Seine stilleFreude war sein Garten, waren seine Beeren sträucher. Der Birnbaum konnte erzählen, mit welcher Sorg falt der Alte die ersten Früchte sammelte, und für die Enkel war es ein Fest, wenn sie in die Stachelbeeren und Iohan- wsbeeren des Großvaters kommen durften. In dem Wesen des ehrwürdigen Mannes lag viel Feier liches, ihn umgab eine besondere Ruhe; die Kinder horchten folgsam auf, wenn er redete, denn die Worte des Alten klangen ernst, mahnend und wirkten wie ein gutes Buch. Seine Sprache hatte jene Geradheit, wie sie heute selten ist, sein ganzes Tun trug das Zeichen ehrenhaften Handelns, das eine auch nur scheinbar unrechte Tat niemals zugelassen Hütte. Das schlichte Kleid zeigte die ganze Art des Alten: alles an ihm war peinlich sauber, von dem einfachen, schwar zen, selbstgebundenen Knoten dis zum blankgeputzten Stiefel. Der Rock litt keine Stäubchen, sogar das Beinkleid zeigte die Bügelfalte. Er gab selbst allem den rechten Platz und besorgte auch selber seine Einkäufe. Seine Frau, mit der er in glücklichster Ehe gelebt hatte, war ihm vor Jahren gestorben, aber er war bis in die achtzig hinein der geblieben, der er mit fünfzig war, nur das Haar war schneeweiß geworden, doch das gab ihm erst recht das Gepräge eines ehrwürdigen, alten Mannes. Eine scharf gebogene Nase und zwei klar blickende Augen unter einer hohen Stirn verrieten Klugheit und Treue. Ganz selten kam über sein Gesicht ein Lächeln, seine Züge blieben immer gleich ernst, das ganze Außere an ihm war der Spiegel sei ner Seele. Und wenn Sonntags die Glocken zum Gottesdienst riefen, waltete er als Kirchvater der Gemeinde schon seines Amtes mit aller Sorgfalt und Liebe; mit ganzem Herzen hing er an diesem Dienst, der ihm die Erfüllung einer hei ligen Pflicht war. Mehr als dreißig Jahre lang hatte er an Sonn- und Feiertagen Altar und Sakristei geschmückt, er gehörte wie der Pfarrer zur Kirche, und die Dorfbewohner nannten ihn daher nicht anders wie den Kirchvater. Wenn er durch Schiff und Gänge des Gotteshauses schritt, hörte man keinen seiner Tritte; mit ihm glitten Ruhe und Andacht durch den Raum, man fühlte es, wie ernst er sein Amt nahm. Nur Neuerungen wollten ihm nicht in den Sinn, mit jeder Neueinsührung, meinte er, ginge ein Stück des guten, echten Wertes d.r Kirche verloren. Das Gefühl, als wolle man das Alte, als in die jetzige Zeit nicht mehr gehörend, abtun, berührte ihn leicht persönlich, daß auch er zu denen gehören könnte, die durch Jüngere ersetzt werden müßten. So wurde z.B. während der Predigt der Klingelbeutel im Gotteshause herumgereicht, das war damals so üblich auf dem Lande, und jedes legte seinen Pfennig, oder was man übrig hatte, hinein als Spende für christliche Liebeswerke, und der alte Kirchvater hatte, solange er im Amte war, den Klingelbeutel Sonntag für Sonntag herumgereicht; als nun auch diese alte Sitte wegfallen sollte, war ihm das ganz und garnicht recht. Verlor er auch wenig Worte darüber, so empfand er es eben doch als eine Kränkung der Kirche und einen Bruch mit dem Althergebrachten, an dem er hing. Der Klingelbeutel wanderte in die Reliquienkammer, obwohl er viel gutes getan hatte, einesteils, daß er redlich seinen Pfennig brachte, andernteils, daß er so manchen aus seinem „Nickerchen" geweckt und zur Andacht zurückgerufen hatte. Zur Dorfkirche hinan führte eine Anhöhe und von da bis zum Eingänge der Kirche lagen steinerne Stufen. Diesen Weg mußten die Brautleme an ihrem Hochzeitstage und der Zug der Frau n und Männer zu Fuß zurücklegen; für Ordnung und richtige An- und Abfahrt der Wagen sorgte der Hochzeitbitter oderHochzeitlader. Er bemühte sich beson ders um Braut und Bräutigam, ihn beauftragte man vor allem aber auch beim Hochzeitsmahle, in die feierl che Stim mung, die diese Stunde umgibt, den Humor zur geeigneten Zeit hineinzutragcn. Mehrere Wochen vor der Hochzeit ließen die Brautleute Verwandte und Bekannte durch ihn zur Hochzeit bitten, daher die Bezeichnung Hochzeitbitter; es waren Leute, aus gestattet mit gesundem Mutterwitz und meistens noch mehr ausgestattet mit einem vollen, runden Bäuchlein. Übernahmen diese also das Geleit des Brautpaares und des festlichen Zuges in die Kirche, so legte manches Braut paar besonderen Wert darauf, durch den alten Kirchvater zuni Altar geführt zu werden, den sie als Kinder schon nur als solchen kannten, bei dessen Erscheinen im Gotteshause sie ehrerbietig zurückgewichen und still geworden waren wie Mäuschen und sich zugeflüstert hatten: „Seid still, der Kirch vater kommt!" Denn es bedurfte keines Winkes von ihm, das kleine Volk bei Festlichkeiten — namentlich bei Hochzeiten, wo sich die neugierigen Gesichter der Kleinen zusammendräng- ten — hinter die Bänke und in die Gänge zu verweisen, die stattliche, vornehme Erscheinung des Alten im Silberhaar gebot ganz von selbst Ruhe und Andacht Als Konfirmanden, beim ersten heiligen Abendmahl, hatten sie seine Handreichungen dem Pfarrer gegenüber ver folgt, hatten sie wahrgenommen, mit welcher Sorgfalt er die Bekleidung des Altars ordnete, jede Falte des schwarzen Samtes glattstrich, wie er die Kissen, auf denen sie kniend den Weihespruch empfingen, fein säuberlich auf die Altar stufe legte, und so verband sie ein inniges Gefühl mit dem alten Manne, daß er ihnen ihren Fest- und Ehrentag beson ders schön zurichten wollte, daß er um sie bemüht war, daß er zur Kirche gehörte. Und wenn er in der Christnacht, wo frohe, heilige Stim mung die Herzen und Gemüter durchzitterte, die vielen, vielen Kerzen der glitzernden Leuchter anbrannte, so ging nicht von diesen allein, nein, auch von dem silberweißen Haupte des Alten ein feierliches Strahlen aus. So hatte auch ein Hochzeitszug auf tiefer empfindende Gemüter einen eigenen Eindruck, wenn dem glücklichen Paare der alte Kirchvater vorausschritt — vor sich die Blumen streuenden Kinder, und an ihm alles Würde, Ernst und Ehrbarkeit —, wo zarte Kindheit, Rosen legend, und ehrwürdiges Alter segnend den Brautleuten den Weg berei tete, hatte der Moment die Fülle des ganzen Glückes und Glanzes in sich, der dem Paare so nahe erscheint, und für die neugierige Jugend und die teilnehmenden Alten war es ein holdes Bild. Mahnten auch die Glocken der Kirche an Entbehrungen und Mühsale des Lebens und an ganz andere Stunden, wie die gegenwärtigen, hier wurden Augen und Herz nicht durch