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Lausitzer gotische Baukunst und ihre Steinmetzzeichen Dr. Martin Jäkel, Dresdcn-A. 16 Fortsetzung Bautzener Bauhütten Nächst Görlitz entwickelte sich Bautzen im 15. Jahrhundert zu einer mächtigen Stadt; für ihren Aufstieg kann Needon (Abriß der Geschichte S. 21) eine Reihe von Tatsachen an führen. Ihre Befestigungswerke werden verstärkt, und die Erweiterung ihrer Rechte ermöglicht einen wirtschaftlichen Aufschwung: Stapelrecht und Zollfreiheit 1431, ein neuer Markt 1445, die Führung der Hohen Landstraße Thü- ringen—Sachsen—Schlesien über Bautzen 1462, eine neue Bleiche 1474, ein 3. Jahrmarkt 1494. Hier traf die Er weckungspredigt des Franziskaners Johann von Capistrano 1453 auf volle Geldsäcke. Bald nach seinem Weggange, etwa 1457—64, betrieb die Brüderschaft der heiligen Jungfrau (eine Vereinigung von Bürgern zu wohltätigen Zwecken) den Umbau des Domes in eine Hallenkirche. Auch an den andern Kirchen begann eine lebhafte Tätigkeit. Für die neue Blüte der Stadt zeugen die Wehrbauten und die Ver- größerung des Rathauses 1470—89, der Umbau des Kauf hauses der Tuchmacher 1472—82 und die älteste Wasser kunst 1496. Mußten diese Aufgaben schon die Steinmetzen anlocken, so erst recht der Auftrag des Königs Matthias Corvinus, der 1483—86 die Ortenburg umbauen ließ, um von hier aus die Wettiner zu bekämpfen. (Er hat aber die Burg nie bezogen.) Die Dombauhütte stand wegen der Größe des Unter nehmens im Mittelpunkt des Interesses. Noch hatte der Dom, kaum halb so groß wie heut, die romanische Basilika form, ein fast quadratisches, dreischiffiges Langhaus und einen schmalen Chor. In der 3. Bauperiode 1457—64 durchbricht man zunächst die Südwand und legt noch ein Seitenschiff an; auch das Mittelstück des Turmes mit einer schönen Maßwerkblende (Fischblasen!) entsteht damals. Deutlich unterscheidet sich die Wölbung des 4. Schiffes von der Hauptwölbung des Domes: die Rippen haben noch Birnprofil und bilden das Bierecksternmuster, im Südwest joch ganz einfach wie Form 2, und in den andern 3 Jochen wie Form 6d (Pflügerin Dresden, Nordwestjoch der Peters- Kirche in Görlitz, Michaeliskirche Bautzen, Hirschfelde). Besonders fallen die prächtigen, sechsteiligen Maßwerk fenster auf; die spätere Gotik begnügt sich nicht mehr mit zwei- und dreiteiligen Fenstern, sondern bevorzugt vier- und sechsteilige. Beim Vergleich mit denen im Nordschlff der Görlitzer Peterskirche findet Rauda (Bautzen S. 73) eines völlig gleich wie dort. Nur die Derstäbung an den Görlitzer Fenstern weist auf etwas spätre Zeit — vielleicht sind sie den Bautzenern nachgeahmt worden. Ein einziges Steinmetz zeichen, Nr. 114, gibt in Bautzen einen Anhalt für die Her kunft des Meisters, er scheint einer Kamenzer Winkelmaß sippe anzugehören. Erst die 4, Bauperiode gegen Ende des 15. Jahrhunderts gibt dem Dom seine heutige Gestalt. Den alten schmalen Chor konnte man nicht beibehalten, er hätte zu dem breiten Langhaus in argem Mißverhältnis gestanden. Durch Weiter führung der alten Seitenschiffe ersteht er neu, der hallen artige Umgang um den Hochaltar war ja längst beliebt (innen 3:8, außen 5:12 Seiten). Durch die Fluchtlinie der Kapttelhäuser kommt aber der Baumeister in Bedrängnis, er muß ihr stark nach Süden ausweichen und die Haupt achse der ganzen Kirche schon in der Mitte knicken. Di alten Meister hatten die Knickung meist nur beim Chor- ansatz gewagt. Selbst die Befriedigung darüber, daß nun der Bautzener Hochaltar genauer nach Jerusalem gerichtet war (heilige Linie!), konnte nicht über perspektivische Be denken Hinwegtäuschen, deshalb ließ man die Schiffe sich nach Osten zu etwas verjüngen. Dadurch rettete man den Eindruck einer großzügigen Hallenkirche mit perspektivisch malerischer Wirkung und milderte die Nüchternheit der Innenausstattung. Den Querschnitt vergleicht Rauda (Bautzen S.72f.) mit der Stadtkirche Pirna und märkischen Vorbildern. Gedrückt erscheint ihm die Wölbung von 1497, obwohl die Umfassungsmauern und Pfeiler erhöht worden waren. Im Grundriß wirkt sie klarer und einfacher als die der Görlitzer Peterskirche und aus meiner Entwicklung der Wölbungsformen geht deutlich hervor, daß wir keine neue Erfindung vor uns haben, sondern eine genaue Nachahmung des Scherenmusters in drei Parallelen (vergl. Form 4, Gör litzer Oberkirche). An Pflügers Eigenart reicht dieser Bau meister nicht heran, wenn auch seine Tüchtigkeit außer Zweifel steht. Es könnte Meister Heinrich gewesen sein (vielleicht auch Siegmund Aßbeck, wie noch folgt), den 1490 Pflüger mit anderen nach Görlitz kommen ließ zur Begutachtung der Peterskirche. Der mehrfach vermutete Wolf Riediger aus Kamenz war sicher 1497 noch zu jung zur Leitung einer Dombauhütte; auf seine Beteiligung am Turmbau wird noch eingegangen. Von den sonstigen Kunstformen ist zu sagen, daß die alte Spitzbogentüre nicht mehr vorherrscht, sondern der scheitrechte Sturz häufiger wird und schon der Korbbogen IMgWMS auftritt. Der- »««MI hältnismäßig ! wenig Steinmetzzeichen geben über den Hüttenbestand Auskunft, und es ist beachtenswert, daß vier Rechtwinkel- und vier Deichselzeichen nach Kamenz weisen, ein Kreuz (Nr. 143) nach Meißen, Nr. 220 nach Pirna usw. Weil der Domumbau fast ein halbes Jahrhundert dauert^ wurde vermutlich zur Aushilfe für den Domgottesdienst der Umbau derNikolaikirche sehr schnell beendet. Seit dem Brand von 1634 liegt sie in Trümmern, schon 1620 verlor sie ihr Dach und müßte eine Batterie auf dem Kirch- boden aufnehmen, die den Spreeübergang beherrschte. Jetzt ist sie nächst Oybin die schönste Ruine der Lausitz (Rauda, Bautzen S. 82) und steigt mit ihren Substruktionen ebenso kühn aus dem Felsengrunde zu schwindelnder Höhe empor. Ihr Mauerwerk hält Rauda für flüchtig, es verbindet aber geschickt Granitwerkstücke und Backsteingemäuer, unverputzte Wand und verputzte Rahmen. Einige Konsolen gleichen denen im Dom, wie auch die Steinmetzzeichen Nr. 111,187, und in dem sorgfältigen Maßwerk kommen außer Kreis und Quadrat schon Fischblasen vor. Wie kleine böhmische Stadtkirchen erhielt sie die zweischiffige Form mit zwei Pfeilern (vergl. Hirschfelde), und diese Einteilung markiert außen ein Mittelstrebepfeiler an der Westwand, der hier aber kaum ein Schulmerkmal sein dürfte wie an Parkers Chor bauten (vergl. Michaeliskirche und Berthelsdorf). Die Breite des Chores (3:8 Seiten) entspricht einer Iochdtagonale im Langhaus, dessen Wölbung (1467) einfache Kreuzrippen hat mit Birnprofil; an der Chorwölbung vermutet Rauda ein Muster, das ich in Form 3 mit Schnürband bezeichne und das genau dem Chor der Kamenzer Hauptkirche nachgeahmt