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OberlauMer Heimatzeitung ^66 Äi. Oktober ist er wieder da. In diesem Jahre wurde er schon am 7. Oktober an seinem Lieblingsrupfplatz mit Beute an getroffen. Den Federn nach hatte er bereits eine nette Strecke an Staren gehabt. Sogar ein Hausspatz hatte die Ehre ge habt, im Magen des edlen Räubers ein Plätzchen zu finden. Schon diese kleinen Beutetiere allein ließen erkennen, daß er sich als Strohwitwer wieder eingestellt habe. Seine liebe Frau würde nämlich als das starke Geschlecht mehr in Tauben gearbeitet haben. Vermutlich ist es gut, wenn er seinen Stammsitz nicht zu lange aus den Augen läßt, um ihn gegen Herumschweisende, obdachloseArtgenossen zu sichern; denn bei den Tieren herrscht dauernd Wohnungsmangel. Die Gatten leben offenbar nicht in Dauerehe, wenn es auch das Gewöhnliche sein wird, daß die Gattin im zeitigen Früh jahr, von längerem Aufenthalt am Meere oder in Afrika zurückkehrend, zunächst in der alten Heimat vorspricht. Der Gemahl wird aber sicher die Spröde von neuem durch toll kühne Flugspiele und andere Liebesergüsse erweichen müssen. Wehe, wenn ein durchziehender Falkenjüngling den Altern den im Sturm auf Weiberherzen übertrifft und die Gunst der Dame gewinnt. Die Übermacht wird ihn dann einfach schnöde aus der lieben Heimat vertreiben. Wie dem nun gewesen sei, ein Wanderfalkenpaar hatte sich am Oybin niedergelassen. Sein Horst stand in einer Felsenhöhle eines Querspaltes unterhalb des Ringweges an der Südecke des Berges nach dem Bahnhof zu. Es wurde nicht der gleiche Platz wie in den letzten Fahren benutzt, sondern der des Fabres 1919. Damals halten mllßiggehende Soldaten sich am Seil herabgelassen und die Zungen aus genommen, was den Falken den Brutort verleidet haben mochte. Da die jungen Falken durchschnittlich am 25. Mai das Nest verlassen, muß das Brutgeschäst mit seinen Vorberei tungen schon sehr zeitig beginnen. Jedenfalls muß das Ge lege bereits Anfang April vollständig sein. Zum Nestbau hat ja das Männchen im März genügend Zeit gehabt. Zur eigentlichen Brutzeit sieht man die Falken selten. Glaub würdige Beobachter aus anderen Gegenden erzählen, daß nur das Weibchen auf den Eiern sitzt und daß ihm vom Männchen Nahrung zugetragen wird. Unser Oybiner Freund scheint aber auch zarte väterliche Gefühle im Herzen zu spüren. Es wurde nämlich eines Tages bemerkt, daß er, von Pflicht eifer oder anderem getrieben, die Gattin ablöste und in die Höhle hineinflog. Ob er sich allerdings dort hoffnungsfreudig dem Brutgeschäft hingab oder nur Wache gegen etwaige Eierräuber hielt, ließ sich natürlich nicht ermitteln; doch ist ersteres wahrscheinlich, da er letzteres ebensogut von einem benachbarten Sitz aus tun konnte. Seine Frau flog unter dessen nach Böhmen ab und dürfte nicht sogleich wieder gekommen sein. Solange die Jungen im Neste sind, hält eines der Eltern stets Wache, und man kann in dieser Zeit sicher darauf rechnen, die Falken zu Gesicht zu bekommen. Anfangs werden die hilflosen Kleinen natürlich aufs sorgsamste von den Eltern gefüttert. Sind sie jedoch etwas herangewachsen, so beginnt ihre Erziehung fürs Leben. Es war leider noch nicht möglich, den Falkeneltern zu übermitteln, daß wir im Jahrhundert des Kindes leben, mit welchem Schlagwort wir unsere Un fähigkeit so gern zu bemänteln suchen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß ihre Erziehung etwas härter als bei den modernen Menschen aussällt, zumal sie noch rückständiger weise der Lernschule huldigen. Gewalt und Hunger sind die beliebten Mittel, den Lerneifer anzuspornen. Wenig modern, aber wie alle ewigen Naturgesetze sehr wirkungsvoll und segensreich für Kinder, deren Eltern instinktiv nur das Beste derselben wollen. War den Kleinen anfangs das Fleisch bissenweise in den Schnabel gesteckt worden, so erhalten sie den Vogel später mit ausgerupften Federn, mindestens die Großfedern fehlen, und sie müssen sich selbst kümmern. Einer solchen Fütterung konnte ich am 31. Mai vom Bergringweg aus zusehen. Die drei Jungen lagen faul auf einem Felssims in der Nähe des Horstes, sonnten sich und reckten von Zeit zu Zeit Flügel und Fänge. Da hört man die Helle Stimme des Vaters und sieht das Jüngste — es hat noch Flaumfedern auf dem Kopfe — mit einem schwarzen Bogel im Fang ein Stück daoonlaufen. Es mochte ein Star oder ein Mauersegler ohne Großfedern sein. Nun frißt es seine Beute, indem es dieselbe mit den Krallen festhält und mit dem scharfen Schnabel Stücke davon abschneidet. Durch zahlreiche Menschen, die vorbeikommen, lassen sich die Kleinen nicht stören, um so weniger, als sie von ihnen meist nicht bemerkt werden. Nur ein Kavalier, der mit seiner Dame, in eine Parfümwolke gehüllt, die Schönheiten der Natur genießt, entdeckt sie und „schiebt" die alten „Eulen" mit einem Stein. Das dicht bei ihnen einschlagende Geschoß kümmert aber die Faikenkinder nicht. Nach 20 Minuten hört man die rauhe Stimme der Mutter. Sie hat scheints wie vorhin der Vater den Jungen einen gerupften Vogel hingeworfen; denn das Alteste eilt mit Beute ein großes Stück an der Felskante hin und ver zehrt dort einen bräunlichen Bogel, wohl eine Feldlerche. Haben die Jungen gelernt, einen Bogel ohne Großfedern zu fressen, so erhalten sie ungerupfte Vögel. Ihre Flugfähig keit ist übrigens schon so gewachsen, daß eine weitere Übung hier einsetzen kann. Die Eltern setzen sich nämlich mit der Beute in der Nähe hin und locken die Kinder. Diese wieder um suchen die Eltern durch jämmerliches Geschrei davon zu überzeugen, daß es doch ihre Pflicht sei, ihnen die Speise hinznbringen, da sie unmöglich so weit fliegen können. Das Herz der Eltern bleibt aber hart, und der Hunger treibt zu neuen Wagnissen. Später fliegen die Eltern mit Nahrung am Berge hin und her. Die Jungen müssen sie ihnen im Fluge abnehmen. Ist ihre Gewandtheit im Fliegen noch größer geworden, so fliehen die Eltern mit der Beute vor den herbeikommenden Kindern und lassen sie dann hoch in der Lust fallen, so daß die Jungen sie aussangen müssen. Anfangs mögen sie sich oft unbegabt anstellen, aber die Alten erreichen den fallenden Vogel durch einen gewaltigen Sturz flug, ehe er auf den Boden austrifft. Als letzte Übung gilt es, einen von den Ellern freigelassenen Bogel zu erbeuten. Die Jungen sind nun recht fluggewandt, und die Eltern lassen sich hoch in die Luft hinauf verfolgen und stehen den Kindern bei, wenn die Aufgabe ihnen noch zu schwer sein sollte. Unsere Falken übten dies offenbar am 9. Juli am Ameisen berg. Die Mutter kam mit Geschrei von Zittau heran. In den Fängen trug sie einen großen Vogel, der weder Kopf noch Flügel hängen ließ, also noch am Leben sein mußte. Es schien eine Haustaube zu sein. Sofort stürzten sich zwei Junge mit lautem Geschrei auf die Mutter. Die wilde Jagd ging in die Höhe, verschwand aber leider nach Oybin zu um eine Felsenecke. Bei solchen Gelegenheiten kann man meist nur Teile der einzelnen Vorgänge beobachten und muß sich dann daraus ein Bild machen. Von ganz besonderem Interesse wird es für den Leser sein zu erfahren, welche Vögel der Wanderfalke jagt. Darüber geben uns die Federn seiner Opfer Auskunft. Man findet