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Urteil des Verfassers über den Garten von Schwetzingen und über das Seisersdorser Tal zu Dresden wird jeder Leser »on Geschmack, der diese Anlagen in Augenschein ge nommen, unterschreiben und sich mit demselben nicht ent halten können, eine Empfindsamkeit, welche Sittensprüche, aus eigne (?) Täfelchen geschrieben, an die Bäume hängt, für affektiert, und einen Geschmack, der Moscheen und grie chische Tempel in buntem Gemisch durcheinander wirft, für barbarisch zu erklären.- ?) Dies Urteil ist umso befremdlicher, als Schiller sich im Jahre darauf an Goethe wohlwollend über Beckers Buch ausspricht. Er schreibt am 23. Dezember 1795: „Haben Sie denn auch die schönen Abbildungen vom Seisersdorser Tal mit Herrn Beckers (in Dresden) Beschreibungen gesehen? Als einem so großen Liebhaber von Kunstgärten und senti- mentalischen Produktionen empfehle ich Ihnen dies Werk. Es verdient... eine gelegentlich würdige Erwähnung in den Horen." —Goethe antwortet am 26. Dezember mit einer Bemerkung über die Gräfin Brühl, die wiederum eher als Bosheit denn als Kompliment auszulegen ist: „Die Abbil dung des Seisersdorser Anwesen kenne ich, Sie kennen ja wohl auch die Drude, die es bewohnt und die es so aus geschmückt hat." — Heute können wir in das Urteil Schillers nicht mit ein stimmen: denn für uns ist schön, was charakteristisch ist. Auch das Urteil, das der etwas selbstgefällige Herr Ober- konsistorialrat Körner in Dresden, derVaterTheodorK.s, über Seifersdorf fällt, ist nicht gerecht, obwohl es von auf merksamer Beobachtung zeugt. Körner schreibt, nachdem er mit den Brühls bckanntgeworden war, am 19. Oktober 1787 an seinen Freund Schiller: „Goethes, Herders und Wie lands Büsten sind in ihrem englischen Garten aufgestellt. Diese Anlage ist in der Tat sehr sehenswert. Die Natur hat viel getan, und die Gräfin hat Sinn für die oorteihaftesten Stellen gehabt, um die Aufmerksamkeit darauf zu heften. Etwas voll ist wohl der Platz von Inschriften, Altären, Büsten und mancherlei Hütten. Auch hat hier und da die Ökonomie (welche auch ihr Steckenpferd ist) die Ausfüh rung etwas ärmlich gemacht. Außer obigen weimarischen Schriftstellern habe ich nur die Recke gefunden. Einige Grie chen sind in einer besonderen Hütte, die dem Pythagoras gewidmet ist. Franzosen habe ich nicht gefunden, welches mich wundert, da sie viel Französisch spricht und in franzö sischen Stücken gespielt hat. Naumann hat einen Altar, der Minister Brühl einen Sarkophag mit der Inschrift: Llemo- rsbili odlito. Der Einfall muß die grammatische Unrichtig keit entschuldigen. Der Graf ist eine schöne, kraftvolle, männ liche Figur, von Treuherzigkeit und Natur — Geist scheint er nicht zu haben und überhaupt von seiner Frau sehr be herrscht zu werden. Er ist bei den Gartenanlagen ihr erster Handlanger." Am nächsten unter den zeitgenössischen Urteilen über Seifersdorf kommt das von Hasse 8): „Will man kunst richterlich absprechen, so läßt sich freilich Seifersdorf mit Wörlitz nicht vergleichen. Hier ist mit edler Pracht die Kunst der Alten und der Neueren vereinigt. In Seifersdorf spricht, Diese Rezension Schillers über den „Taschenkalender auf das Jahr 1795 sllr Natur- und Gartenfreunde", mit Abbildungen von Hohenheim bei Stuttgart, brachte die »Allgem. Literatur-Zeitung" vom II. Oktober 1794. Die hier zitierte Stelle nach Eämtl. Werke (Tcmpel-Ausgabe) XII, S. 307. Der Satz über die Moscheen usw. bezieht sich aus den Schwetzinger Garten. °) Hasse, Dresden und die umliegende Gegend, eine Reise beschreibung, 2. Auflage, Dresden 1804. so vielfach auch die Anlagen sind, nur eine ruhige, etwas schwärmerische Empfindung zu Deinem Herzen. Die Idee des Einfachen scheint die einzige Regel der ganzen Anlage zu sein, daher bemerkst Du Mangel an Abwechslung. Die vielen Tempelchen und Hütten haben etwas Eintöniges, und die Entfernung alles Kunstgepränges gibt hier und da der Dekoration etwas Kleinliches." Jetzt liegen zwischen damals und heute mehr als 125 Jahre. Solche zeitliche Distanz läßt uns, wie überall so auch über das Seisersdorser Tal, ruhiger und leidenschaftsloser urteilen. Wir haben allenthalben beobachten können, wie dies Tal mit seinen vielen Dei kmälern bildgewordener Ausdruck der geistigen und seelische Struktur einer ganzen Generation war. Einzig merkwürdig war nur, daß man in Seifersdorf aus der Vorstufe, der empfindsamen Idylle, stehenblieb und noch stand, als draußen un Reiche der weimarische Geist 'längst sich Bahn gebrochen hatte und als sich in der Literatur schon Anzeichen der Romantik geltend machten. Wir ver stehen auch, daß noch die Nachfahren davon ergriffen werden konnten — ja wir selbst verspüren ein wenig von jenem „empfindsamen" Zeitgeist, wenn wir beispielsweise heute einmal zur Maienzeit von Lorenzos Höhe (9) Hinschauen können über das srühlingsfrische, durch alle denkbaren Schattierungen der grünen Farbe märchenhaft schön gestal tete Blättermeer drunten im „Zaubergrund", oder wenn wir sehen, wie Meister Herbst das Waldtal mit gelben, roten und rostbraunen Tinten herrlich betupft hat. Und wenn wir uns dann, wie das hier versucht worden ist, aus den Trümmern die versunkene Welt wieder aufbauen und mit ihren empfindsamen Gestalten bevölkern, dann verstehen wir die von wehmütiger Begeisterung durchklungenen Worte, die der Sohn noch nach Jahrzehnten (1820) auf den Denkstein seines Vaters — am unteren Talausgang (30) — in Erinne rung an die eigene, von bittersüßer Empfindsamkeit volle Jugend setzte: „Ach wie schön." Literarische Notiz: Um die Wiedergabe der vorstehenden Studie nicht über Gebühr zu erschweren und unübersichtlich zu ge stalten, unterblieben die Quellenbelege im Text bis aus einige aus abseits liegenden Schriften geschöpfte Zitate. Desgleichen wurden die Fußnoten erklärenden Inhalts auf das unbedingt nötige Mindest maß beschränkt. Dafür soll hier summarisch auf die über das Seisers- dorfer Tal zur Verfügung stehende Spezial-Literatur eingegangen werden: Als grundlegende Quelle kommt in Betracht W. G. Beckers eingangs schon genanntes Buch „Das Seisersdorser Tal", mit vierzig Kupfern von 3. A. Darnstedt, erschienen 1792 Leipzig bet Boß <L Leo und Dresden beim Hoskupferstecher Schultze (I). Aus diesem Werke sind alle auf das Tal und seine Denkmäler bezüglichen Zitate ent nommen, soweit sie nicht besonders kenntlich gemacht wurden. Die biographischen Tatsachen über die Brühls und ihren Kreis — Brief zitate und Tagebucheinträge — wurden entlehnt aus dem von Hans o. Krostgk auf Grund von Handschriften des Seisersdorser Schloß paradies zusammengestellten Buche: Karl Graf v. Brühl und seine Eltern (Berlin 1910). Schließlich enthielten die bekannten Samm lungen der Briefe unserer Weimarer Dichter einige verstreute Bemer kungen über Schloß und Tal zu Scifersdorf. — Verhältnismäßig sehr reichhaltig ist die Literatur Uber das Tal. Der erste, der sich neunzig Jahre nach Becker (1881) wieder in einem (mir nicht zugäng lich gewesenen) Aufsätze „Das Seisersdorser Tal vor 100 Jahren" in der Gebirgsvereinszeitung mit dem hier behandelten Stoffe befaßte, war Sophus Rüge, weiland Professor der Geographie an der Tech nischen Hochschule Dresden. Nach ihm schrieb über das Tal Martin Braeß in der 1. Beilage zur Leipziger Zeitung vom 6. Mai 1881, sowie den Aussatz „Das Seisersdorser Tal mit seinen Denkmälern" (mit 10 prächtigen photographischen Ausnahmen von Ernst Sonntag, Dresden) in den Mitteilungen Sächsischer Heimatschutz IV (1914/15), S. 402—415. Die darin gemachten Angaben sind allerdings zum Teil nicht zuverlässig! Eine Beschreibung der heute noch existierenden Denk mäler des Tales bieten Heft 26 (Dresden-N. Land), S. 253—257, der Beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler