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»Dich ergriff mit Gewalt der alte Herrscher des Flusses, Hält dich und teilet mit dir ewig sein strömendes Reich. Ruhig schlummerst du nun beim stillen Rauschen der Urne, Bis dich stürmende Flut wieder zu Taten erweckt. Hilfreich werde dem Volke, so wie du, ein Sterblicher, wolltest, Und vollend' als ein Gott, was dir als Mensch mißlang." Das Denkmal im Tal greift ähnliches auf (15). Es ist ein auf mächtigem Sandsteinunterbau thronender Sarko phag. Seitlich befindet sich eine Tafel, welche in zierlicher Steinmetzarbeit einen der Sonne zufliegenden Adler dar stellt und darunter die Inschrift bringt: „Der Adler besucht die Erde, doch säumt er nicht, schüttelt vom Flügel den Staub und kehrt zur Sonne zurück". Auch sein Standort — noch jetzt fällt das auf! — hat ganz einen „bittersüßen" Zuschnitt: Da die rauschende Röder zur Rechten ... da zur Linken ein toter Wasserarm ... und durch düsteres Erlen- geäst glitzert hell der weiße Schaum des Wehres ... Ferner können die Denkmäler für Ernst Paul v. Schleyer- weber und Friedenau, den Vater der Gräfin, und für den Minister Brühl, Moritzens Vater, hier als ergänzende Belege angeführt werden. Das erstere (18) steht noch jetzt unmittel bar hinter der Marienmühle, fast an den Felsen gerückt, und besteht aus einer leider sehr zerstörten kräftigen Urne auf einem Steinhügel, um welche sich eine Schlange windet s). Einige Schritte rückwärts am Berge zeigt eine Sandstein tafel die Stätte an, wo einstens unter einem Kreuz aus Birkenholz ein Betaltar war. Auf der Tafel steht: „Tränen bring ich dir und Dank zum traurigen Totenopfer, bitter rinnende Tränen, das letzte, was Liebe dir geben kann. — Tina." Und unweit des „Festsaales" ist der niedrige Sarkophag des Ministers Brühl zu finden — auch ein Geburtstags geschenk, 1782 von der Gräfin an Moritzens Geburtstage dem memorubili oblito (dem denkwürdig Geschmähten) geweiht (26). Der Steinsockel weist vier Inschriften auf, die alle einen Lobpreis auf den sächsischen Premier ausdrücken. Am charakteristischsten für unfern Zusammenhang sind die Worte „Unsterblich und doch des Todes Raub", auf welche sich Gräfin Pepi v. Brühl wohl beziehen mag, wenn sie in dem schon zitierten Briefe an ihre Schwägerin Tina vom 26. Juni 1784 schreibt: „Nun komme ich aber auf Euer Kleinod, auf das Tal. Dort habe ich Tränen vergossen an dem Denkmal „uu meilieur äes pöres" (dem besten der Väter), dessen Andenken Ihr so hochgehalten habt. Die Tränen bedeuteten keinen Schmerz, im Gegenteil, im Ge danken daran, daß er als guter Mensch gelebt und als guter Christ gestorben ist, glaube ich ihn wohlgeborgen und ver lange danach, ihn wiederzufinden. Ich hoffe aber, er sieht vom Himmel herab auf seine Kinder und freut sich und seg net sie dafür, daß ihnen sein Andenken teuer ist." Also Schritt für Schritt Reflexionen, die den Zwiespalt zwischen dem erstrebten Menschentum und dem Menschen tum widerspiegeln, das man leider nun einmal in der Brust trägt und das infolge des ihm anhaftenden, zu Boden ziehen den Irdischen einen Aufschwung nicht ermöglicht. Wohl strebte man mit aller Kraft nach idealem Menschsein, doch ehe man sich's recht versah, warf sich ein Hindernis in den Weg und schleuderte den zum Gutseinwollen emporstreben den Menschen aus der Bahn, hinunter in den Abgrund. Und das Hemmnis, an dem man scheiterte, war stets derAugen- Ebenfalls eine schlangenumwundene Urne ziert die Grabstätte der Mutter Tinas, Maigaretha v. Schleyerweber, auf dem Seifers- dorser Friedhöfe. blick der Selbstbesinnung, die als Reaktion auf alles Übersteigerte zwangsläufig kommen muß. Da rief's plötzlich in der Brust des „empfindsamen" Menschen: „Besinne dich, das alles ist ja unmöglich im Getriebe der Welt!" Und dem gequälten Menschenherzsn blieb nichts anderes übrig, als sich zur Natur, in die Einsamkeit zu flüchten und dort die Lösung seiner bangen Zweifel zu erwarten. Wir treffen hier also die Extreme des empfindsamen Seelenlebens, Extreme, die klaffen, sich aber, wie das in der Natur der Sache liegt, aus der anderen Seite auch wieder —berühren! Suchen wir hierfür nach Beweisen im Seifersdorfer Tal. 11. Vollendung im Kampfe mit der Einsamkeit Oben berichteten Denkmäler, wie freundliche Geselligkeit aller ein Gemeinschaftsgefühl zwischen Herr und Untertan herstellte, wie man schlechterdings nur das Menschliche, und zwar das gute Menschliche betonte in den gemeinsamen Festen und Freuden. Jetzt werden uns Denkmäler das Gegenteil offenbaren: wie man doch auch die Möglichkeit schuf, „im Schwarme der Welt einsam sich herumzudrehen, indem man sich in die Einsamkeit zu läuternder Selbst einkehr zurückzog. Der eine kam zu ihr als einer gefälligen Freundin, dem andern war sie eine weise Vertraute, einem dritten eine teilnehmende Trösterin und einem vierten ein verscheuchendes Schreckbild oder eine quälende Furie — je nachdem das Auge hell oder trüb ist, ihr Bild zu erkennen; und das Herz rein oder nicht rein, ihre Gesellschaft zu wün schen oder zu fürchten; und die Begriffe von Glück und Un glück, richtig oder unrichtig, weisen Trost von ihr zu erwar ten, oder den nagenden Gram und zuweilen — im engsten Gesichtskreis der Schwermut — den wütenden Dolch, nach dem wahren Sinne des Worts. Immer hängt es vom Geist und vom Herzen des Menschen ab, was ihm die Einsamkeit werden soll oder kann." Dieser letzte Satz Beckers galt selbstverständlich auch in Seifersdorf für die dort nach Einsamkeit Verlangenden, ja er war recht eigentlich nur ihretwegen geschrieben. Die glück lichen Naturen erbaten in der schlichten, aus Fichtenstämm chen erbauten und mit Schilf gedeckten „Hütte der Einsam keit" ch: „Reiche deinen Freudenbecher, holde Einsamkeit, jedem deiner Freunde, so oft er diese Szene betritt." Sie überwanden. Die Pessimisten aber empfanden ihre Qual nur noch stärker, wenn sie auf dem an einer Seite mit duftenden Rosen, an der anderen mit „stechendem Dorngebüsch" — wie bittersüß!! — bepflanzten Wege zur Einsamkeitshütte emporstiegen und droben die aus Klopstocks „Messias" ent lehnte Inschrift lasen: „Einen BecherderFreudenhatinder Rechten, Der Linken einen wütenden Dolch Die Einsamkeit, reicht dem Beglückten Ihren Becher, dem Leidenden reicht sie Den wütenden Dolch hin ..." Zu noch ernsterer Versenkung in sich leitete der „Betstuhl des Einsiedlers" an, welcher auf einer kleinen Halbinsel der Röder nahe bei der Einsamkeitshütte (?) gestanden hat, aus einem Lindenstamme geschnitten war und an einer abgestor benen (!) Buche lehnte, an deren krummen, knotigen Aesten ein Kreuz und als memento mori ein Totenkopf angebracht waren (8). So düster die Stätte, so hoffnungsfreudig die Inschriften: Zeugen tiefer, erlösungsfroher Religiosität im Sinne Klopstocks. Die eine lautete: Den Ort, der die Einsamkeitshütte trug, konnte ich nicht mit Sicherheit seststellen, ebenso nicht den Platz, auf dem die im sechsten Abschnitt genannte „Kapelle zum guten Moritz" stand.