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Die empfindsame Zeit im Seifersdorfer Tal Von Stud.-Ass. Herbert Sticht, Ohorn Fortsetzung 3.Die Ausdruckshöhen der empfindsamen Welt War die Anlage des Tales, aufs ganze gesehen, nicht ohne englischen Einfluß denkbar, so prägt sich in den Denk mälern ein Geist aus, der durchaus persönliche Färbung trägt, selbst wo er in internationale Bahnen einlenkt — eben derGeist jener ganz subjektiven, „empfindsamen" Zeit, deren vollkommenster Ausdruck Goethes Roman: „Die Leiden des jungen Werthers" wurde. Doch damit ist ihr Gehalt noch nicht definiert. Diese „empfindsame" Zeit ist vielmehr wie ein großes Sammelbecken, das nicht nur von einem einzigen Zufluß gespeist wird, sondern von allen Seiten her Zuflüsse erhält, oft in so verschwindend geringer Menge, daß man dessen erst bei genauerem Hinsehen gewahr wird. Und doch zählt auch der unscheinbarste Zufluß mit... An keiner Stelle wird die empfindsame Weltanschauung stärker heraufbeschworen, als an jener kleinen Waldwiese, ein kurzes Stück röderaufwärts, von der Stelle an, wo vor der Marienmühle der Fahrweg Schönborn-Seifersdorf ins Tal herabkommt. Dort erhob sich ein Tempel, den Musen geweiht, „die die Erholungsstunden versüßen". (Nr. 11 auf dem beigefügten Lageplan.) — Das war kein Tempel von prächtiger Art, sondern nur, dem Ort und der Absicht ange messen, ein zierliches Rindenhäuschen mit aufgeschlagenen Birkenstämmchen als Schmuck. Luftig und leicht gebaut, war es wie geschaffen, den ganz auf Anmut gestimmten Landschaftscharakter nur noch mehr zu betonen. Und wem war das Musenhäuschen gewidmet? Wer war der Held, dem darinnen die Musen mit unverwelklichen, von den Grazien gewundenen Kränzen bedachten? Der Musenliebling, dem Lorbeer und Leier Apolls zusammen mit Oberons Horn, Becher und Lilienstab gereicht wurden? Der Dichter war's, der sich selber gern den „Philosophen der Grazien" nannte und mit tändelnder Anmut in liebenswürdigster Form ein eingängliches, heiteres Griechentum besang: Wie land, der Sänger des „Oberon". Hier wurde er indessen mehr verherr licht als der Dichter jenes kleinen, neckischen Kobolds, der nach den Normen christlicher Moral freilich nicht gerade hei lig zu sprechenden „Musarion", die einen weltoerbitterten athenischen Weisen mit ihrer schalkhaften, allerliebsten „Philosophie der Grazien" zum Vergnügen und zu unbe fangenem Lebensgenüsse zurückzuführen weiß ... Wielands Denkmal im Tal ist nicht verwunderlich. Es war nicht bloß das aus schöngeistigem Enthusiasmus ge- schaffene Dankeszeichen, mit dem die Seifersdorfer Aristo kraten einem ihnen selber wesensverwandten Poeten symbo lisch ihre Zustimmung ausdrücken wollten, sondern es ist mehr: Wieland redete ebenso wie durch das Medium seiner dichterischen Schöpfungen auch als Mensch und verehrter Freund zu den Brühls, namentlich zur Gräfin Tina. Ihr Besuch in Weimar hatte 1782 die Bekanntschaft vermittelt, aus der sogleich eine Freundschaft entstand. Wieland wurde auf Jahre hinaus ein eifriger Verehrer und aufmerksamer Korrespondent der geistsprühenden jungen Gräfin und schlug in seinen Briefen stets einen zierlich-oerehrenden Ton an, wobei er dann und wann auch mal in überschwengliche Schwerenöterei verfiel, wie man's von einem gesetzten „Herrn Hosrat" und Prinzenerzieher, einem als mustergültiger Ehe mann und Familienvater bekannten Mann garnicht glauben möchte. Auch Tina zögerte ihrerseits nicht, ihm zu schreiben: „Es gibt nur wenige Menschen, die Ihnen gleichkommen," und wußte sich vor Freude kaum zu fassen, als der mehr als sechzigjährige Wieland gegen Mitte August 1794 einmal vorübergehend Gast in Seifersdorf war. Unmittelbar nach dem Besuche berichtete sie an ihren Sohn: „Den Musentempel hatte ich mit Blumengewinden und Kränzen geschmückt, seine Büste selbst trug einen Lorbeerkranz, Hoboisten aus Dresden bliesen vortreff liche Sachen aus der „Zauberflöte", und es war in der Tat rührend, zu sehen, wie der gute Mann von allen Beweisen unserer Liebe bewegt war." Und Wieland dankte ihr später „mit innigster Rührung für den schönen Traum oder die interessanteste Vision, die ich vielleicht in meinem ganzen Leben gehabt habe, da ich bei Ihnen in Ihrem Zaudergrunde lebte — oder zu leben glaubte." Echt wielandisch knüpfte er die Bitte an, ihm „in Seifersdorf eine kleine Einsiedelei zurichten zu lassen, wenn uns etwa die Franzosen im Jahre 1795 — wie nicht ganz unwahrscheinlich ist — auf die Haube kommen sollten." — Richtet man von der „Musenwiese" — so heißt der Platz, der Wielands Tempel trug, noch heute — den Blick auf die Höhe gegenüber, so gewahrt man an deren oberem Hange eine Eiche, die ihr abgestorbenes Geäst trutzig in die Höhe reckt — ein altes Wahrzeichen für die ganze Gegend! Das ist die „Hermannseiche" (12), das Denkzeichen für Hermann, den Befreier vom Römerjoche. An ihrem Stamme waren ehemals —bis sie von kriegslustiger Dorfjugend ent führt worden sein mögen—Schild, Schwert und Lanze aus gehängt, zusammen mit einem Streitkolben malerisch grup piert. Nur der aus massigen Feldsteinen davor aufgetürmte Altar, der heute eher wie ein Hünengrab anmutet, ist noch erhalten. Aber daß dies steinerne Monstrum ein Altar war, verrät eine Höhlung, die ehemals einen altdeutschen Aschen krug und ein kleines Tränenkrüglein barg ... Hier oben weht der Odem Klopstocks, des Deutschen, der mit mächtigem Schalle und übersließender Empfindung die in den Taten Armins sich ausdrückende Vaterlandsliebe feierte. Ich finde keinen besseren Beleg, den Stimmungs gehalt dieses Platzes zu zeichnen, als eine in freien Rhyth men dahinströmende Bardenstrovhe aus der siebenten Szene der Klopstockschen „Hermannsschlacht": „Du gleichst der dicksten, schattigsten Eiche Im innersten Hain! Der höchsten, ältesten, heiligsten Eiche, O Vaterland!" — Wieland und Klopstock —die beiden großen Zeitgenossen verkörpern gleichsam die absteigende und die aufsteigende Bildungsrichtung. Was Klopstock enthusiastisch fühlte, kam bei Wieland nur in abgemilderter Form zur Geltung: denn in ihm lebte noch viel von dem heiteren Schönheitsideal des Rokoko. Darin liegt der zeitgeschichtliche Wert, und zwischen den genannten beiden Polen des Denkens und Empfindens bewegen sich folglich auch alle die Denkmäler, die einst hier im Tal aufgestellt wurden. Was in den bedeutendsten Köpfen unsererNation zu beträchtlichem Teil schon lange „ästhetisch" überwunden war, fand hier durch Laune und Neigung hoch sinniger Aristokraten seinen bildhaften Ausdruck. Draußen im Reiche war man um 1775 schon weiter. Da war aus den Keimen, die immanent in der „empfindsamen Zeit" und der „Wertherperiode", den anfänglichen Ausdrucksstadien des