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GbevlauMer Aelmatzsttung M. 13 174 Klatsch, und noch einmal klatsch. Da lag sie auf den Zement, platten der Küche. Mit einem wilden Satze sprang der Flock unter dem Tische hervor. Ein Sprung, ein Biß und ein Jammer geheul, das dem Abfahrtssignale einer tschecho - slowakischen Lokomotive glich. Er hatte sich ganz gehörig sein Maul verbrannt und kroch winselnd wieder unter den Tisch. Die Hanne aber stieß ein Zetergeschrei aus und verschwand durch die Außentür ins Freie, wo sie hochaufatmend stehen blieb und angsterfüllt nach der Küche zurückschaute. „Ieeses, Christen Sohnes, woas ock mit dann Moan lus woar. Nee, nee, su verrockt ömzogiehn. Ond ock wajgn a bößl schwoarzn Lader os der Goans. Ieija, derr lieb Gott schuf Menschn, aber sö sein o dernoch." ' In derartige philosophische Selbstgespräche versunken, stand sie unter dem schon früchteleeren Iakobsapfelbaum und lugte noch immer ängstlich in die Küche. Krach, schlug der Wirt die Tür zu. Herrgott, grad als ob ich gar nicht mehr reinkommen sollte, dachte die Kochfrau. Aber der dicke Liebscher hatte einen andern Grund. Freilich reinkommen sollte die Gebbert-Hanne vorläufig auch nicht, doch später mochte sie schon ihres Amtes weiter walten, wenn er nur erst mal hier mit seiner Arbeit fertig war. Die bestand darin, daß er die Gans sorgfältig wieder von dem säubern Zementfußboden aufklaubte. Das war nicht so leicht, denn so ein gebratener Bogel verträgt es nicht, daß man ihn umberwirst wie ein Postpaket, auf dem „Zerbrechlich" zu lesen ist. Es waren eine ganze Anzahl einzelne Stücke aus dem Tiere geworden. Das Fleisch hatte sich teilweise losqetrennt. Die Wut des Wirtes war schon wieder verraucht. Nur Arger war zurückgeblieben, Arger über sich selber, daß er so dumm gewesen war, fick wieder einmal so vom Zorn überrumpeln zu lassen. Er wußte doch, daß dabei nichts Gutes herauskam. Also mußte die Torheit wieder gut gemacht werden. Freilich einen schönen Anblick gewährte nun der Kirmesbraten nicht mehr. Das war ein wildes Durcheinander auf dem Teller. Endlich lag nun die wieder gutgemachte Torheit wohl gesammelt auf dem weißen Steingut. Er trug den Teller in die Gaststube auf den Familientisch, der in der Hinteren Ecke am Schanktische stand. Dann brüllte er der Kochfrau draußen zu: „Woasn nu? Sedd Jähr of Sommerfrisch do oder zon Koachn? 's Frassn willch nu bahl hoan." Dann ging er wieder in die Gaststube, stellte sich an ein Fenster und trommelte ungeduldig an die Scheiben. O, wie sie sich jetzt sputete, die Gebbert-Hanne, nur um einem neuen Besuvausbruche zu entgehen. In wenigen Minuten standen die Salzkartoffeln, die Schüssel mit Rotkraut und der Napf voll Birnenkompott auf dem Tische, und der Dicke fiel darüber her, als sei er am Verhungern gewesen. Hm, wo bloß die Käthe blieb? Das Alleineffen war nicht seine Sache. Er war gewöhnt. Gesellschaft dabei zu haben. War kein Gast zu Mittag in dem Kretscham, so saß doch seine Tochter ihm gegenüber. Heute, hm, das war recht ungemütlich und dazu aus gerechnet zur Kirmes. Er wollte schon nach ihr schreien, halt, nein, lieber nicht, womöglich fragte die erst, weshalb die Gans ein so sonderbares Aussehen habe, und der Frage wollte er entgehen. Mochte sie bleiben, sie „tückschte" gewiß wegen des Riegerbauer- sohnes. Verdammter Frechdachs! Gottfried hieb noch in der Erinnerung zornigwerdend auf den Tisch. Klirr und patsch. Die Kompottschüssel machte einen erschrockenen Sprung, der einem Parterre - Gymnastiker alle Ehre gemacht hätte, und schleuderte ihren Inhalt auf die blütenweiße Decke. Der Wirt biß die Zähne zusammen. Was für ein Tag war das heute bloß! Hatte denn der Teufel extra im Kretscham zu Tanngrün sein Domizil auf geschlagen? Da schlag doch das Donnerwetterdrein! Aber ehe er das Donnerwetter wieder dreinschlagen ließ, sah er erst schnell, ob da noch eine Kompottschüssel im Wege stand. Dann erst senkte sich seine Hand auf die Tischplatte, nicht krachend und dröhnend, nein, ergebungsvoll in das Weltengeschehen, das vor zertrüm merten Glasschüsseln nicht zurückschreckt. Er aß also allein weiter. Kartoffeln brauchte er nicht viel. Das Rotkraut war nur Zukost, aber die Gans entledigte sich unter seiner gütigen Mitwirkung immer mehr und mehr ihres Irdischen Leibes. Was an Knöchlein übrigbleiben wollte, warf er dem Flock hinunter unter den Tisch, der dort behaglich schmatzte und Knochen krachte. Aber alles hat ein Ende. Auch Liebscher-Gottfrieds Kirmesqans machte keine Ausnahme von dieser Regel. Er aß und aß, es schmeckte immer besser. Er hatte keine Gedanken weiter dabei als den, wie gut doch so ein Vogel schmecke und wie weise die Welt eingerichtet sei, in der eins da sei, um das andere aufzufressen. Da. er sah erstaunt ans den großen Austrageteller vor sich auf dem Tische. Ja, wohin war denn die Gans? Weg, aufgezehrt bis auf ein paar zerstreute Bissen, die zusammen genommen kaum einen Eßlöffel füllten. Hw. hm, wie war denn das gekommen? Hatte er da wirklich in Gedanken versunken die ganze Gans gefressen. Er lehnte sich zurück und atmete tief auf. Hm, hm, es mußte wohl so sein. Die Weste spannte gehörig über dem Bauche. Er nestelte die unteren Knöpfe auf. So was. so was, eine ganze Gans zu essen, war ja kein Meisterstück für einen Fettsack wie den Gottfried Liebscher, aber nichts davon zu wissen, daß man es tut? Nein, er kam sich fast wie verhext vor. Und er hätte sicher an Besessenheit geglaubt, wenn nicht der Schulmeister erst vor einer Woche einen Vortrag darüber gehalten hätte, daß alles das einfach nicht existiert, was man nicht sehen, hören oder sonstwie wahrnehmen könne. Na und der mußte es doch wissen. Also weg mit Spukgedanken! Was sollte denn nun die Käthe essen, und was würde sie dazu sagen? Zu essen gab es heute genug im Kretscham, aber keine Gans mehr. Sie mutzte also mit dem üblichen Kalbsbraten vor lieb nehmen. Vielleicht aß sie überhaupt nicht aus Trotz gegen den Vater. „Mentwajgn", dachte Gottfried, „iech will ötz nischt weiter, oas mein Ruh hoan." Er schlürfte müde in das Honoratiorenstübel, in dem die Sommerfremden gewöhnlich speisten, von denen es manches Jahr schon fast ein halbes Dutzend in Tanngrün gegeben hatte. Die Tanngrüner zerrissen sich nicht um sie. Warum denn auch? Die Leute arbeiteten nicht, waren ziegenneuqierig und liefen allen, die die Hände voll Arbeit hatten, im Wege umher. Wozu sich solche Arbeitshindernisse aufbürden. Man dachte in Tannengrün noch gesund und volkstümlich. Zuweilen saßen ja auch die drei Obernzehntausend von Tanngrün darin. Das war der Förster, der Pfarrer und der Löfflerbauer. Jetzt setzte sich der Gottfried Liebscher in einen lederüberzogenen Lehnstuhl. O, war das schön kühl. Und in wenigen Minuten war er in das Reich des Traumes hinübergewandelt. In den Stratzen Tanngrüns herrschte die übliche Sonntag» mittagsstille. Die Mitglieder der Schützengilde saßen mit ihren Familien bei Tische und lictzen sich den Kirmesbraten schmecken. Erst gegen drei Uhr begann nach alter Sitte das Schießen. Bis dahin konnten sich alle auch von den Strapazen des festtäglichen Mittagstisches erholen. In dem Hinterstübchen ächzte die alte Kuckucksuhr heiser auf. „Krrrckrrrck, krrrckrrrck, krrrckrrrck." Gottfried dehnte und streckte sich. Einhalb drei Uhr also schon wieder. Die Uhr schlug nämlich den Vollschlag immer eine halbe Stunde früher. So wollte es die weise Einrichtung des Wirtes, der dann wenigstens die Zeit nicht verschlief. Aaaaaaaaaah! Es war doch nicht so einfach, eine ganze Gans in sich zu beherbergen. Der Magen drückte, daß er kaum laufen konnte. Verflucht noch einmal! Wie sollte er da in seine Leut nantsjoppe kommen, die extra knapp genäht war, um seine Leibes fülle etwas einzuschnüren, damit er nicht gar zu unleutnants- mäßig aussah. Er zog sich so langsam an. Verdammt, ganz wie er gedacht hatte, die Joppe wollte einfach nicht zugehen. So ein verflixter Streich, den ihm da seine Freßlust gespielt hatte! Er zog und zog, er preßte und preßte. Vergebens! Er fluchte und tobte. Die Joppe kümmerte sich nicht darum. Wieder riß und riß er. Knack sagte ein Knopf und zersprang. Wütender und wilder wurde der Dicke. Wäre doch gelacht, wenn da einer nicht Herr über so ein dummes Tier von Jacke werden sollte! Weiter