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Der Schützenkönig Eine Oberlausitzer Geschichte von Richard Blasius-Schandau (Fortsetzung) „Wenns weiter nischt ös. Gib wer an Schmoatz! Derfir ver- keefch der jed Kinchswörd." Käthe hob sich ein wenig auf die Fußspitzen und schwupp, da hatte Franz seinen Kuß. Zugleich aber schrie die grobe Baßstimme des Kretschamwirtes, der in der Küchentiir stand: „Gott verdammich, woas heeßtn doas, iähr Luderzeug! Su weit ös schonn komm?" Erschrocken fuhren Beide zusammen, doch Franz war schnell wieder gefaßt, während das Mädchen am ganzen Körper zitierte. Es schlug die Hände vors Gesicht und jammerte leise: „O Gott, doas is mei Tud." Trotz der heiklen Situation mußte Franz auflachen. Er begriff den Humor, der in der Übertreibung des erschrockenen Mädchens lag, und sagte halblaut zu ihr: „Hoa ock nö su a Wasn! Wörds derr Tud sein. Dei Boater ös, guck ock richtg hie! Kennstn denn nömie?" Der Wirt sah kirschrot im Gesichte aus. Daß nicht nur die Hitze schuld war, zeigte seine bärbeißige Miene an, der nach zu urteilen er eben überlegen mochte, ob er den Burschen jetzt gleich mit Haut und Haar verschlingen sollte, oder ob er ihn in gesotte- nein Zustande besser verdauen werde. Die Adern an den Schläfen standen dick heraus. Seine Hände mit den kurzen, dicken Fingern, die Leberwürstlein glichen, hatten sich geballt. Wäre seine Leibes sülle nicht gewesen, er hätte furchtbar wirken können, der er grimmte Leu von dem Tanngrüner Dorfkretscham, aber so sah er nur unsäglich komisch aus, wie er so dastand und in seiner Wut nach Luft schnappte. „Wu kömmstn du har?" schrie er den Burschen an. Der blieb ganz gleichmütig und suchte diese Gleichgültigkeit noch dadurch besonders zum Ausdrucke zu bringen, daß er seine Worte in einem schleppendem, gedehnten Tonfalle heroorbrachte. „Iech, nanu? Doas weeß dr Herr Leutnant nö, wu sei Schätz Franz Rieger harkömmt. Iech bien doach orscht später weggtratn wie Sie. Wu sollch n grüß harkomm, vo dort draußn." So ein frecher Junge, dieser Älteste von dem Riegerbauer. Der Herr Leutnant Liebscher schnitt eine wütende Grimasse. „Do wär mersch lieber, du wärscht o schonn wieder — dort draußen." Er ahmte am Schluffe des Burschen gedehnte Sprech weise nach. Franz kraute sich wieder hinter den Ohren, sah den Wütenden ganz treuherzig an und meinte trocken: „Nu ja, miär o." „Woas stiehstn do ömmer no do? Do räum dch doach nu wingstns zon Teifl!" Die Stimme schnappte vor Wut über. Aber Franz blieb gelassen stehen. „Hörscht wuh nischt mieh, du Gahnoaff? Diär soll doach glei a heilges Donnerwetter en Ranzn foahrn, doaß d denkst, hoast an Windmihl verschluckt!" Franz lächelte verstohlen. „Nee, nee, Kratschnwört, of die Oart warn Sö miech nö lus." „Du böst mer ju dr Richtge. s eenzge Majdl von Gottfried Liebscher wöllster dergoattern? Nu hörschte du, diech warch glei kuriern. Du wärscht nö dr Örschte, danach nausgschmössn hätt." Mit einem Ruck riß er die Schützenjoppe herunter, warf sie in eine Ecke und stand hemdärmlig vor Franz. Franz wich keinen Schritt zurück, dachte aber gar nicht daran, nun etwa seinerseits das Gleiche zu tun. „Nee, Herr Liebscher," meinte er, „römboalgn tu iech miech nö mit Sie." „Aha, do sällter wühl s Harz e de Hosn, wennd suwoas sißt," schrie da der Wirt noch wütender, streifte die Hemdärmel hoch, beugte den rechten Arm und ließ seinen Biceps spielen. „Feeg böst o no derzu." Franz warf stolz den Kops zurück und lachte. „Feeg? Doas gleebn Sö wühl falber nö. Aber iech will mer nö nochsoin lossn, doß ch miech mit men Schwiegervoater röm- gboalgt hätt." Dem dicken Liebscher blieb ob solcher Unverfrorenheit schier der Verstand stehen. „Wa— war bien iech?" stotterte er grimmig. ,,'ch Haas ju groad gsoit," meinte der Bursche kreuzfidel. Jetzt bekam der Wirt so langsam seine Energie wieder. Er fuhr sich über die Glatze und brüllte: „Nu Gottverdammich namo, doas willch der oastreichen, denn Schwiegervoater." „Doas wiärsch Neuste, a oagstrichner Schwiegervoater." Franz kaute, um sein Lachen zu verbergen, an seinem Schnurrbarte. Der kurzatmige Wirt fauchte vor Wut, traute sich aber nicht, zu Tätlichkeiten überzugehen, denn der Bursche war auch aus gutem Holze geschnitzt und dann, na ja, so rabiat war er garnicht, wie er gern scheinen wollte, der Liebscher-Gottfried. Es ging ihm wie jedem Choleriker, bei dem das Feuer immer rasch empor flammt, aber bald auch wieder zusammensinkt. Aber seine Ton stärke milderte sich noch nicht, als er jetzt brüllte: „Ock raus mit diär. Ond loß dch ja nö wieder sahn! Iber die Schwell kömmst mer nömie." Franz schmunzelte ironisch. „Amend huln Sie miech namo falber wieder groad dort zo dar Tir rei." „Do kannst dei Labn lang druf woartn. Wenn doas poassiert, danno kriggst o mein Toachter." „Dank schien, doa koanch schonn ötz soin, adchee Herr Schwieger, voater. Na adchee, Käthl, loß dch ock ne es Bockshorn join!" Endlich war er hinaus, der freche Kerl. Gottfried atmete er leichtert auf. Nein, nein, so ein unverschämter Junge. Es hatte ihn tüchtig in Harnisch gebracht. Und Käthe? Die stand in der Ecke Hinterm Billard und heulte, heulte wie ein Schloßhund. Das gefiel ihm auch nicht. Aber nachgeben, nein, das gabs bei ihm noch lange nicht. Mochte sie grinsen. Aber essen wollte er jetzt. Die Kirmesgans, ah, das war ein Vergnügen, auf das er sich jedes Jahr aufs neue schon wochenlang vorher freute. Er ließ die Weinende stehen und ging in die Küche. Ieeses, was für ein Gestank von Angebranntem war denn das? Da stand die Gebbert-Hanne, die Kochfrau aus Diemdorf, die er gewöhnlich zur Aushilfe nahm, wenn was Extraes los war, denn seine Marie war leider schon seit fünf Jahren tot. Aber wie stand sie da? Rot wie ein Puter und den Ausdruck hilf loser Ratlosigkeit auf dem Gesichte. Sie guckte starr mit entsetzten Augen auf die Bratenpfanne, die seitlich vom Herdfeuer gerückt war. Nein, daß ihr aber auch sowas passieren mußte! Aber was war denn schuld gewesen? Der Spektakel in der Gaststube. Wie soll denn eins kochen können, wenn daneben so ein Radau losgeht! Sie war doch nun einmal auch ein ganz kleines Bißl neugierig, und da hatte sie Gans ruhig Gans sein lassen und ge spannt das Drama nebenan verfolgt. Und die Gans? Nun die hatte mitPruzeln gegen die Vernachlässigung protestiert. Umsonst. Da hatte die Gans nun trotz ihres schon längst erfolgten gemalt- samen Todes laut gezischt. Vergebens. Vor Arger war der arme Vogel auf der einen Seite völlig schwarz geworden. Nutzlos. Da hatte er denn nun vor lauter Grimm gestunken, wie eben das eine verbrannte Gans nur fertig bringen kann. Da erst war die Gebbert Hanne auf ihn aufmerksam geworden. Da war das Elend fertig gewesen. Und nun der dicke Gottfried! „Was ist denn da wieder passiert?" brüllte er. „Oach Gott, oach Gott, oach Gott!" Die Kochfrau brachte kein Wort weiter heraus. Sie gackerte wie eine Henne. Da packte der Wirt ergrimmt die Gans bei einem Beim und drehte sie herum. Auauau, Himmel Donnerwetter, er warf sie so schnell auf den Rücken, daß das Fett über den Ofen spritzte. Die Finger hatte er sich nun auch noch verbrannt. Aber war er erst kupferrot gewesen, so wurde er jetzt leichenblaß vor Schreck, Empörung, Wut und allen sonstigen Gründen. Die Gans ver- branni. Die Kirmesgans auf der einen Seite nichts mehr als eine dicke, harte Kruste. Und dabei war ihm die Haut doch immer die Hauptsache. Entsetzlich, fürchterlich! Eine Hitzewelle flog durch seinen Körper. Er erfaßte in plötz- sicher Aufwallung die Gans, ohne sich an die Hitze zu kehren, und schleuderte sie in weitem Bogen an die Wand.