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dieses 1800 sogar in zweiter Auflage erschienenen Buches war der Professor W. G. Becker von der Dresdner Ritter akademie (der nachmaligen Kadettenlehranstalt). Der singt in der Einleitung den folgenden Lobeshymnus auf das Tal, der als typisches Dokument „sentimentaler" Darstellungs weise hier wörtlich folgen möge: „Ohne so manche reizende Gegend noch zu nennen, führ' ich euch, Freunde schöner Natur, in jenes anmutige, durch seine Besitzer noch interessanter gewordene Tal von Seifers dorf. Folgt mir von Dresden einige Stunden getrost durch Waldung und Sand nach diesem angenehmen Rittergute in der Gegend des Städtchens Radeberg. Da zieht sich eine Viertelstunde vom Dorfe gegen Süden, von Liegau nach Grünberg zu, anderthalb Stunden lang ein gefälliges Tal, durch welches die Röder sich windet. Ziemlich bewachsene Berge, die nur hie und da, durch Mannigfaltigkeit das Auge zu vergnügen, in nackter Blöße sich zeigen und ihre schönen, malerischen Felspartien dem Auge zur Bewunderung dar stellen, bilden, bald etwas breiter, bald enger, das liebliche Tal, das grünende Wiesen zum Teppiche hat und Bäum' und Gebüsche von mancherlei Art zu angenehmer Verzierung und zu Beschaltung des Wanderers, sowie der schleichenden Röder und ihrer Bewohner. Die stärkeren Kehlen des Waldes beleben die Berge, und nur die sanfteren Sänger desselben, zu welchen im Frühling sich oft die holde Nachtigall gesellet, lieben das Tal. Mit so natürlichenReizen kam dies verborgene Tal aus den Händen der Mutter Natur. Nur die nahen Be wohner kannten es, aber so wie sie andere Wege und Wiesen und Wälder und Berge kannten. Eben so ward es zum Teil von ihnen genützt, und selten genossen. Doch glücklicherweise fiel es endlich in Hände, welche den Wert desselben zu schätzen wußten. Die würdigen Besitzer von Seifersdorf, Graf Moritz von Brühl und seine Gemahlin, entrissen es endlich seiner Verborgenheit, indem sie den schöneren Teil durch interessante Anlagen noch mehr verschönerten und es dadurch zu einer merkwürdigen und reizenden Gegend erhoben." In der Tat — eine merkwürdige Gegend! Heute will's scheinen, um so merkwürdiger, wo — Gott sei Dank! — die Worte der Heimat und all die Kräfte, die der heimischen Scholle entströmen, angefangen haben, lebendiger in uns zu wirken. Wir lieben die Heimat wohl — aber ist das auch von rechter Art, wenn wir sie nicht gleichzeitig kennen — gründlich kennen? Wie viele Wanderer und sonntägliche Spaziergänger mögen nicht schon durch das Seifersdorser Tal gewandert sein, haben die hier und dort verstreuten Denk malsreste gesehen — und sind dann ruhig ihres Weges weiter gegangen, ohne am Ende auch nur geahnt zu haben, daß sie an einer Stätte weilten, an der ein gut Teil großer nationaler Vergangenheit fortlebt. Denn das Tal in seiner Anlage so wohl, wie in seinen Denkmälern ist als einziger Ort inner halb unserer heimatlichen Landschaft gewissermaßen bild gewordener Ausdruck des engsten Anteils an dem erhabenen Aufschwung des deutschen Geisteslebens vor 150 Jahren — ist Ausdruck engster Beziehungen zu einem Teil der Träger desselben: den weimarischen Geistesheroen. — Im weiteren Verlaufe dieser Darstellung soll es sich füg lich nicht um eine lediglich chronikartige Aufzählung der einst hier stehenden und jetzt noch vorhandenen Baudenk mäler handeln —darüber ist schon viel geschrieben worden! Vielmehr soll versucht werden, Uber de» rein lokalen Charak ter hinauszugelangen und Gesamtanlage wie Einzeldenk mäler in die geistige und seelische Verfassung ihrer Ent stehungszeit einzurethen. 2. Die Gesamtanlage des Seifersdorser Tales Es ist gewiß eine fesselnde Aufgabe, den Wandel der Zeit anschauungen in den Gartenanlagen zu verfolgen. Nur macht sich dabei eine Erschwerung geltend: Die Zeit selbst hat dazu beigetragen, den ursprünglichen Charakter bald gänzlich aus- zuwischen. Wir kennen genau den Stil der französischen Gärten, wie er seit Ludwig XIV., dem Sonnenkönig, Mode ward und dann in demGartenkünstler Lenotre seinen genialen Meister und Bezwinger fand. Wie die Kunst erst durch Regeln und Formen, so schien die Natur erst unter der Schere des Gärtners erfreulich und liebenswert werden zu können. Deshalb spielte man in kokettester Weise mit Land schaft und Natur und erstrebte deren Unterordnung unter den Willen des Menschen, indem man ihnen mit der Schere rein geometrische Gebilde aufzwang. So entstanden in der zierlich-steifen Kunst des Rokoko die bekannten Parks und Lustgärten, in deren Mittelpunkt jedesmal ein graziöses Schloß prunkte. Bor ihm neigt sich die Natur.. geradlinig sind die Wege.. zugestutzt die Laubwände und Bäume.. steif und feierlich die Rondelle.. Der Bach wird zur Kas kade, die anmutig über weiße Marmortreppen herabplät schert .. und die Herren und Damen, die durch solch einen Park lustwandeln, sind feierlich und starr und steif in Perücke und goldgesticktem Rock, in der hohen Fontange und der Seidenrobe.. Keine Frage, daß ein derartig zu ermüdender Symmetrie und „ekelhaftester Einförmigkeit" erstarrter Gartenstil — in dem z. B. der Schloßpark zu Großsedlitz bei Pirna ge halten ist — bald mit Naturnotwendigkeit einer Reaktion weichen mußte! Denn als die Literatur proklamierte, nicht die Natur solle im Menschen aufgehen, sondern der Mensch müsse als Teil des Alls in ihr aufgehen, und frei vom Zwange aller Sitte, in ihren reinen Schoß zurückkehren — da folgte auch die Gartenkunst dieser These des neu erwachenden Sub jektivismus. Noch ehe Rousseaus revolutionierender Geist zu wirken begann, noch ehe der Kriegsruf „Zurück zur Natur!" die Gemüter erhitzte, waren in England mit seinem regeren geistigen und wirtschaftlichen Leben ähnliche Be strebungen erwacht und hatten dort auch auf die Gartenkunst abgefärbt. Man rückte von der geometrischen Starrheit ab, weil man fühlte, die ganze Natur sei ein Garten. Und die erste Folgerung aus dirscr Einsicht — ? Sie lautete: Hin weg mit allen umgebenden Mauern, und Gräben an ihre Stelle! Damit wuchs der Garten von allein über seinen be grenzten Umfang hinaus, indem auch die angrenzenden Teile mit einbezogen wurden. Perspektive, die Farben der Natur, Licht und Schatten waren die einzig maßgebenden Grund sätze, nach denen man sich richtete; und man nahm der leben digen Landschaft ihre Wildnis nur, um sie zu verschönern, nicht um etwas völlig Neues aus ihr zu machen. Kurz — aus dem Lustgarten französischen Stils war der Natur park geworden. Natürlich lernte bald darauf mancher deutsche Fürst und mancher deutsche Schloßherr diese neue Form kennen und bürgerte sie in Deutschland ein. Seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts ging man dazu über, sich weiträumige Anlagen nach englichem Zuschnitt vollständig neu zu schaffen, wie z. B. den bahnbrechend wirkenden Park von Wörlitz bei Dessau und den Weimarer Park im Ilmtale. Oder man suchte wenigstens den alten Garten nach den neueren Be strebungen umzugestalten, indem man ihn mit einem eng lischen Gürtel umgab, wie den berühmt gewordenen Garten von Schwetzingen bei Mannheim. Es ist verständlich, daß