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nungen, wenn die Wagen auf den gepflasterten Straßen an mir vorbeirasselten und wenn ich auf den Gassen an verschiedenen Häusern bald einen großen Stiefel, oder eine Schneiderschere, bald einen Sattel, oder einige blanke Barbierbecken, bald ein paar Bierkrüge, oder einen Kranz, bald auch einen Hirschkopf mit großen Geweihen, oder an einem Tabaksladen gar einen nackenden Mohren erblickte, der in seinen weißen Zähnen ein Tabakpfeifchen hielt. Doch solche Schaustellungen an großen Ladenfenstern, wie man sie wohl jetzt sehen kann, waren damals in Zittau noch nicht zu finden. Als wir gegen Abend wieder heimwärts trans portiert wurden, kam uns unsre Magd hinter Grätzes Gute entgegen und brachte uns zu unserem Erstaunen unsere Schlafröckchen mit, die wir auch sofort anziehen mußten, und es kam mir ganz kurios vor, so im Hausnegligee in der weiten Welt herumwandern zu können. Unsere Schulstunden hatten wir oben beim Papa in der Studierstube. Zur Erlernung der Buchstaben wurden mir die großen sowie die kleinen auf einzelnen, ganz kleinen Papiertäfelchen vorgelegt, um bei deren mannigfachen Zu sammensetzungen endlich auch einzelne Silben und Worte bilden zu können. Nach damaliger Methode mußte man erst buchstabieren und sodann lesen lernen. Als ich soweit war, daß ich endlich auch für mich allein etwas lesen konnte, war ein ganz kleines, dickes Büchlein — nur einen Finger lang und einen halben breit, welches den Titel „Kinderbibliothek" führte — mein Liebling und meine liebste Unterhaltung. Jedenfalls habe ich auch in Jonsdorf den ersten Religions unterricht genossen; ich vermag aber jetzt nicht mehr anzu geben, wie es dabei herginq und wie weit ich da gelangt bin. Aber das ist mir noch im Gedächtnis, daß wir beiden ältesten Knaben in der letzten Zeit unseres Aufenthaltes zu Jons dorf gewöhnlich dem Unterricht der Konfirmandenkinder in der Studierstube mit beiwohnen mußten, damit wir stillsitzen lernen und dabei was lehrreiches mit anhören sollten. Wir wurden dabei hinter die reihenweise aufgestellten Kinder auf das Kanapee gepflanzt, auf dem wenigstens ich manchmal ziemlich unruhig umging und deshalb öfters zum Stillsitzen angehalten werden mußte. Bei der Mama mußten wir dann und wann ein schönes Berschen oder Sprüchlein lernen und rezitieren; z. B. „Wenn ich artig bin" usw. Noch ist mir ein Abend erinnerlich, wo wir mit den Eltern zum Lichten waren und traktiert wurden. Weil dies in die Zeit traf, wo die französische Revolution eben in ihrer höchsten Blüte stand und sogar das Königspaar guillotiniert wurde, so-hörte ich, daß darüber viel gesprochen wurde und bei dieser Gelegenheit zeigte der Wirt den aus der Stadt erhaltenen neuen Kalender (1793) vor, in welchem die furchtbare Guillo tine abgebildet war, die mit großem Interesse betrachtet wurde. Hier schalte ich noch ein, daß ein paar Jahre darauf, als wir in Großschönau lebten, ein Mann herumging, der fürs Geld ein Modell einer Guillotine etwa eine halbe Elle hoch, von feinem Holze zierlich gearbeitet und mit einem kleinen blanken Fallbeile versehen, vorzeigte, wobei er ein kleines, nettes Püppchen, als Louis XVI. kostümiert, immer wieder und wieder guillotinierte. Gleich am ersten Tage unseres letzten Jahres in Jonsdorf, am 1. Januar 1795, fiel aber ein Ereignis vor, welches in dem Güntzelschen Brantweinhause seinen Ursprung nahm und in der Geschichte von Jonsdorf jederzeit merkwürdig bleiben wird. Gegen Abend, als es schon dunkel zu werden begann, kam ein Jonsdorfer Gerichtsmann eilig bei uns in die Stube herein und Hub seine Rede gleich mit den Worten an: „Ach, Herr Magister, derschrecken Se niche, se ha'n Enen der- stochen!" und leider war diese Rede buchstäblich wahr. Eine Anzahl junger Burschen, die bei Güntzeln zu Brantwein ge wesen waren, hatten sich znsammenqerottet, um einen anderen mißliebigen Burschen namens Hänsch. einmal abzuprüqeln. Sie hatten ihn an der Feldlehne des Ionsberges aufgepaßt, indem er hatte auf den Hain zu seiner Geliebten gehen wollen und waren alle über ihn hergefallen. Hänsch aber, der eben ein Butterbrot gegessen und dabei das Messer in der Hand gehabt haben sott, hatte, um die Burschen abzuwehren, mit dem Taschenmesser um sich herum gestochen. Dabei hatte er zwei Burschen in die Brust gestochen und einen in den Arm. Der eine davon, namens Wehle, der ein sehr stiller Bursche war und den man ganz gegen seinen Willen mit genommen hatte, war direkt in die Lunge gestochen worden und starb noch an demselben Abende. Aber auch noch in derselben Nacht wurde Hänsch, der, dieses blutigen Unfalls ungeachtet, zu seinem Mädchen nach Hain gegangen war, von den Gerichten dort auf der Ofen bank schlafend angetroffen und noch im Schlafe gefesselt und arretiert. Bei der gerichtlich veranstalteten Sektion des Getöteten war auch ich gegenwärtig und ich besinne mich noch, daß ein nackender Mensch mit ausgeschnittenem Leibe auf dem Tische lag und die Stube gedrängt voll Menschen war und viele Gesichter von außen zum Fenster hineinguckten. Der Täter Hänsch kam aufs Zuchthaus und eben er und ein Anderer, der ihn eben auch mit einem Messer hatte verteidigen helfen, gehörten dann zu der ersten Bevölkerung des damals ganz neu erbauten Zittauer Zuchthauses. Auch ist es mir deutlich in Erinnerung, daß bei dem Be gräbnis Wehles eine ungeheure Mcnschenmasse zusammen strömte und die von meinem Vater gehaltene Leichenpredigt ungemein viele Sensation im Publikum erregte und außer ordentlich großen Beifall erhielt, daß dieselbe bald darauf, um den Wünschen der Gemeinde zu entsprechen, im Druck erschien und große Nachfrage selbst von dem benachbarten Böhmen her nach selbiger war, daß bald kein Exemplar mehr zu erlangen war. Ungefähr im Jahre 1794 war es, als uns, ich glaube es war an einem Sonntag nachmittag, eine noch nie gesehene Erscheinung vorkam. Es trat nämlich ein junger sächsischer Husar in seiner vollen stattlichen Uniform bei uns in die Stube, der aus dem französischen Feldzuge zurllckgekommen war und dem Papa, der ihn etwa zehn Jahre früher konfirmiert haben mochte, sich präsentierte. Wir machten natürlicherweise große Augen, als dieser kleine Heros in seinen blauen, mit weißen Schnuren besetz ten, langen Hosen, mit klirrenden Sporen an den Stiefeln, mit dem nur über eine Achsel geworfenen pelzverbrämten, weißgeschnürten und mit blanken, hohen Knöpfen versehenen Dolman, ingleichen mit seiner roten Schärpe und der pyra midal getürmten Mütze, die spiralförmig ebenfalls mit weißen Schnuren umwunden war, eintrat, einen blanken, rasselnden Säbel und die blaue, mit den Buchstaben (Friedrich August Rex) verzierte Husarentasche hinter sich drein schleppte. Er erzählte dem Papa von seinen Kriegsabenteuern und zum Beweise, daß er auch Gelegenheit gehabt habe, gute Beute zu machen, zeigte er uns seine 7 Taschenuhren, die mit ihren verschiedenen 7 Uhrketten aus seiner Schärpe hinausbaumelten.