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sehr bewunderte. Der Kutscher mit seinem steifen Zopfe, bestens gewichsten Schnurrbarte und dem Tressenhut, thronte auf einem himmelhohen Sitze, und die Pferde, mit blankem Riemenzeuge angetan, baumelten und nickten vornehm mit ihren Köpfen, sodaß die aus ihren Köpfen befestigten, lorg- netten-ähnlichen Messingstellagen in steter Bewegung waren und die in deren Mitte befindlichen runden Messingspiegelchen blinkend und blendend immer auf und zu flogen, was un gemein zierlich aussah und der statiöse Marstallkutscher rief den Pferden beim Abfahren nicht das bäuerische „Gieh hin!", sondern ein veredeltes „Gehet hin!" zu. Solche Marstallwagen waren z. B. zu sehen, wenn der Ortsinspektor Scabinus Hering, ein ziemlich kleiner unter setzter Mann mit einem vornehmen etwas rotem Gesichte und der herrschaftliche Einnehmer, G. Mehnert, ein langer hagerer Mann, mit einem diirren sehr markierten Gesicht und vorstehenden Kinn und beide in schönenweißgepuderten Perücken, der Erstere mit einem Haarbeutelchen und der Andere mit einem gesteiften Zopfe zur Einnahme und zum Schulexamen, oder wenn die Deputierten der milden Stif tungen zur Kirchrechnung herauskamen, wobei jene Herren bei uns gewöhnlich zum Kaffee eingeladen waren. Die Gesellschaft befand sich da in der Gaststube und es kam dann wohl manchmal vor, daß der Scabinus Hering mich, als seinen kleinen Paten, bei dem Ohrläppchen bei seite zog und mir einen harten Speciestaler oder einen blanken Dukaten in die Hand drückte, was ich mir gern gefallen ließ und wobei ich nicht eiligeres zu tun hatte, als der Mama mein blankes Geschenk freudevoll zu zeigen. Ob der Herr Pate damals sein rotes Sammetkleid trug, in welchem ich ihn später in der Stadt gesehen habe, weiß ich aber nicht mehr. Aber das ist mir sehr wohl erinnerlich, daß einmal bei der Ktrchrechnung die Frau Kalkulator Venus, eine lange Dame, mit einer langen weißen Tonpfeife mitten unter den Herren saß und zu meiner großen Verwunderung mitTabak rauchte; ob aus Gewohnheit oder vielleicht zum Scherze, weiß ich allerdings nicht. Dies wäre ja also schon wieder eine emanzipierte Dame des 18. Jahrhunderts. Stand die herrschaftliche Stuhlgelder-Einnahme bevor, so hörte man an den Tagen vorher im Dorfe gewöhnlich vielen Lärm, namentlich ein Pochen und Hämmern, denn die meisten da maligen Leinweber suchten dann durch Einreißen und Aus einanderschlagen eines oder mehrerer Wirkstühle ihre Ab gabe an sogenannten Stuhlzinsen zu verringern, indem sie bloß diejenigen Webstühle zu verzinsen brauchten, die wirk lich bei ihnen im Gange waren oder von ihnen bearbeitet wurden. Bei Gelegenheit der Einnahme; welche in der Wohnung des Försters Hofmann zu Neu-Jonsdorf gehalten wurde, waren meine Eltern gewöhnlich zum Förster zum Kaffee eingeladen und wir Kinder durften auch mit dahin gehen. Bon einem solchen Besuche erinnere ich mich noch, daß bei dem Förster hinter dem Hause mehrere Baracken oder Gestelle sich befanden, auf denen eine große Menge Tannenzapfen und dergl. zum Trockenwerden aufgestapelt waren, und daß ein erst geschossener Fuchs, oder wenigstens dessen frischer Balg, am Scheunentore hing. Auch mancherlei Melodien und Berslein gehn mir noch dann und wann im Kopfe herum, die ich in meinen früheren Kinderjahren in Jonsdorf zu hören bekam, da sie mir als Kind sowohl selbst als auch Gustav vorgesungen oder vor geträllert wurden. Das eine hieß: „Frisch, frisch, frisch, trommelt auf den Tisch! Ach, unterm Mond ist mancherlei, Davon nichts träumt die Träumerei Philosophei!" Es waren dies, wie ich später gewahrte, Reminiszenzen aus den Gedichten des damals sehr beliebten Wandsbecker Boten Claudius, an denen sich der Papa sehr ergötzte. Wenn dieses Reimlein darankam, wurde das Kind auf den Schoß gesetzt und mußte mit seinem Fingerlein auf die Tischkante trommeln Helsen. Ein anderes Berschen erkannte ich später als den Anfang des altberühmten Madborugh-Liedes: „blaiborouZK s'en vn-t-en Zuerre" in der deutschen Nachahmung. Es lau tete: Matvorough zog aus zum Kriege Miron mironton- taine! usw., welche Worte als Refrain immer wiederkehrten, und es freute uns allemal oder klang uns sehr spaßhaft, wenn es um's Ende hieß: „Der Dritte der trug nichts!" Wieder ein anderes Liedchen war ein altes beliebtes Studentenlied und war wahrscheinlich noch aus der Mönchs- zeit auf die Akademiker übergegangen. Es war das: Onus est oeconomus. gui reinst super uneillus in culins, dune tublue IVlosis, tres sunt pntrinrcbue, quatuor evnnZelistue quinque libri IVlosis, sex, sex sex U^firie positse Osnse Onliinene. septem sunt nrtes octo sunt partes (orstoria) novem sunt Nusae, äecem praecepta, unciecim ciiscipuli, . ciuociecim apostoli, seü unus est oeconomus, qui regnat super ancillss in culina! Und spaßhaft war es immer, wenn bei den Worten sex. sex, sex gleichsam ein Ruhepunkt eintrat, bald darauf aber das Lieblein bei dem: septern sunt artes, octo sunt partes in kurzen Zeilen taktmäßig wieder weiterrollte. Wenn ich auch damals das Latein noch nicht im ge ringsten verstand, so habe ich doch jene Verse so öfters singen hören, daß sich solche dem jugendfrischen Gedächtnisse genau einprägten. Als mittlerweile Adolph anfing, lateinische Vokabeln zu lernen, schnappte auch ich gelegentlich ein paar auf und lernte auch das damals übliche Berslein perfekt hersagen: Ich ging einmal in scbolam Da kam canis Und nahm mir mein psnis; Und nahm ich den Ispis Und schlug damit den cunis nieder, Da gab er mir mein punis wieder. Auch erinnere ich mich noch einer spaßhaften Romanze, welche die Mama zu Klavier sang: sie fing an: Hans war des alten Hanfes Sohn, Das ganze Dorf erzählt davon, Ein junger Kerl, so reich wie Du Und auch ein solcher Narr dazu! Ein besonderes wichtiges Ereignis war es für mich, daß mir endlich einmal gestattet wurde, zu Fuße mit in die Stadt zu gehen und ich besinne mich noch, daß die Stadt, das Ziel meiner Sehnsucht, sehr freundlich und weiß glänzend vor uns lag, als wir ans dem Busche bei den Bleichen ins freie Feld kamen. (Schluß folgt.)