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Erinnerungen aus meinem frühesten Jugend leben im Jonsdorfer Pfarrhause vom 3. bis zum 7. Altersjahre 1791—1795 Bon 1° Karl Theodor Pescheck, Weltbürger seit dem 11. August 1788 (Fortsetzung) Aber je weniger wir künstliche Spielsachen, wie sie wohl die jetzige Kinderwelt besitzt, gekauft oder geschenkterhielten, umso mehr waren wir veranlaßt, uns mancherlei Spielsachen auf einfache Weise selbst zu beschaffen. An den langen Winterabenden sanden wir Gefallen dar an, uns Papierampeln oder kleine Stock-Laternen zu fabri zieren, wobei man ein Wachsstockendchen auf ein Stöckchen oben befestigte und dann ein weißes oder womöglich buntes Papier, wrlches mit Öl getränkt wurde, oben rund herum befestigte. Es war dies eine Nachahmung der Stocklaternen oder Windlichter, mit denen, wie uns die Mama sagte, die Görlitzer Lhorschüler früher um die Weihnachtszeit herum in den Gassen singen gegangen wären. Auch machten wir uns gern allerhand Kreuze und Sterne, indem wir Schleißspähne kreuzweise in- und durcheinander steckten, doch so, daß unten ein langer Stiel frei blieb, an dem wir sie halten und Herumtragen konnten. Sie sahen fast aus wie kolossale Ordenssterne. Ein industriöseres Kunst werk mar es schon, wenn uns die Mama einen sogenannten „Sägemann" fabrizierte. Sie nahm dazu einen Span von etwa 7 Zoll Länge, der oben wie ein Kopf möglichst ab abgerundet und unten in zwei lange Beine gespalten und ausgeschnitten wurde. Nun wurde ein schmaler sägenartig ausgezähnter anderer Span mittels eines Querhölzchens in den Bauch des Mannes so eingefügt, daß er perpendiku lär herunter hing und dieser allerdings sehr dünnleibige Mann wurde nun mittelst zweier in die Beine unten ein gemachter Drahtspitzen (aus sogenannten Krätzelzinken) an der Tischkante aufrechtstehend eingespießt und an die vor ihm hängende Säge ein Gewicht gehangen. So mußte er dann, wenn er durch einen Stoß in Bewegung gesetzt wurde, immer auf und nieder balancieren und schien dabei mit seiner Säge die Tischkante fleißig zu bearbeiten. Eine längere Unterhaltung gewährte uns das „Hölzchen- Spiel", das wir von der Mama selbst anzufertigen lernten und das uns den Mangel eines Feder-Spiels mit künst lich geschnitzten Figuren ersetzen mußte. Eine Handvoll etwa 4 Zoll langer glatt abgerundeter Hölzchen, die, nach Stand und Würden, bald nur in der Mitte, bald an einem Ende, bald auch an beiden Endpunkten, oder an andern Mittel stellen ein schwarzes Reifcheu durch Ansengen oder Brennen erhalten hatten und gleich den Kartenblätterri einen ge wissen Nominalwert durch jene Abzeichnung und dazu die Namen: Papst, Kardinal, Bischof usw. bis auf die un gezeichneten Gemeinen oder Bauern herab empfingen, hielt man in der Hand senkrecht erst voll beisammen und ließ sie dann aus einmal los, so daß sie wirr durcheinander auf den Tisch hinfielen, und nun bestand das Spiel und die Kunst, es gut zu spielen, darinnen, daß man mit einem leicht gebogenen Drahtstäbchen sich von dem daliegenden Häufchen so lange einzelne Hölzchen herausholte oder auch herausschnellte, als es ohne Wackeln der anderen Hölzchen geschehen konnte. Es wurden dann die gewonnenen Hölz chen nach ihrem Nominalwerte, nach Stand und Würden gezählt und wer die meisten oder höchsten Abzeichnungen an seinen eroberten Hölzchen hatte, der hatte am mehrsten gewonnen. Bei diesem Spiel lernten wir hübsch still sitzen und Geduld. So lange wir keine pappenen oder blechernen Spielmarken, oder kurzgesagt, keine Rechenpfennige hatten, brauchten wir bunte Bohnen als solche, oder machten uns blanke Dukaten aus gelben Kürbisschalen und anstatt der braunen Kupfermünze Geldstücken aus Baumrinde oder Borken, welche letzteren die Mama „Täfern" nannte. Ein vorzügliches Vergnügen war bei Sonnenschein für uns das Seifenblasenmächen und ich weiß noch, daß ich einmal so überaus emsig dabei geblasen habe, daß ich davon Nasenbluten bekam. Namentlich waren für uns Kinder Bilder und Bilderbücher eine sehr liebe Unterhaltung, wenn wir davon nur recht viel gehabt hätten. Wir besaßen nun zwar eine Menge Tier- und Soldaten bilder, sowie auf einzelnen ganzen Bogen: „Die verkehrte Welt", wo z. B. der Ochse den Fleischer schlachtet, das Pferd auf dem Manne reitet und dergleichen oder „Die Weibermühle", wo alte häßliche hineingetragen und schöne junge herausgebracht werden, und „Den lieben Niemand", einen trötzerlichen Kerl, der unter lauter zerbrochenen Gläsern, Tassen und Tellern, Töpfen und Tiegeln mit einem großen Vorlegeschlosse vor dem Munde dasteht, weil er niemals laut heraussagt, was er alles für Schaden un gerichtet hat. Übrigens spielte der alte Orbis pictus von Oommenius, von uns gewöhnlich Kurzweg „Der Orbs" und von dem kleinen Gustav aus Mißverständnis jenes Wortes sogar „Der Delbs" genannt, bei unserer häuslichen Unterhaltung eine große Rolle und ich weiß noch gar wohl, wie auf dem ersten Blatte und Bilde der Alte zum kleinen Jungen sagt: „Komme her, Knabe, lerne klug sein!" und wie in dem damals beliebten, mit vielen Holzschnittbildern versehenen Not- und Hilfsbüchlein ein Bauernjunge Frösche und Kröten ausspuckt, die er erst winzig klein mit einem Trünke aus dem Teiche eingeschluckt hat, und wie auf einem der letzten Bilder ein Kapuziner einen Gefangenen abschneidet. Aber ganz besondere Epoche machte bei uns ein großes breites Bilderbuch, welches uns einmal der Onkel Advocat zum Ansehen herausschickte, in welchem fast alles im Leben Vorkommende abgebildet war, Städte und Schlösser, Men schen und Tiere, Soldaten, Kinderspiele, Bereuter, Seil tänzer usw. was uns alles viele Unterhaltung gewährte. Dieses Bilderbuch habe ich 20 Fahre später in dem Base dowschen Elementarwerke für Kinder mit vielem Interesse wieder erkannt. Sehr unterhaltend für die jugendliche Phantasie waren für mich die Kindermärchen, die uns von den Eltern ge wöhnlich in der Dunkelstunde erzählt wurden; z. B. vom blauen Fuchse, der jeden Vorübergehenden gefragt: wo gehst du hin, wo kommst du her? — von dem großen Riesen Wolfgrambär und dem kleinen Zwerglein Eggmaldus; von der schönen Helene, vom Popanz (Ogro), von dem Katzen schlosse und noch ein andres Märchen von einem Vöglein, das alle Tage ein goldenes Ei legte und in einem sehr schönen Käfige mit goldenen Knöpfen residierte. Auch erzählte uns der Papa von dem großen Spitzbuben Lips Tullian und von einem Räuber Mauke mancherlei. Wenn Leute aus dem Dorfe, namentlich ältere Männer, zu uns kamen, so geschah es gewöhnlich, daß sie nach den angebrachten Worten: „Gott grüß'n, Herr Magister!" sich gleich vorii in der Stube auf die Ofenbank hinpflanzten. Fragte nun der Papa wie gewöhnlich: Nun, was ist Euer