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W27«L Nr. 10 MW« Drucf u.Veriog'.I-lwm Marx (Inft.l)ttoN?astx) Sudlaufttzer Naciiciciften, Reicstenau^Sc». Gescr)icr)ie, ^Ku nst,Likepatui^ WVK Hauptfchriftleitung, sowie für Geschichte, Vorgeschichte, Volkskunde, Engen und Aberglauben Dr. Frenz ei, Bautzen, V)ettinstraj)s 48 ; süe Naturwifjenjchastsn Dr. Hsinks, Zittau, Komturstratzs 5; für Kunstgeschichte und Kunstgewerbs Dr. Reinhard Müller, Zittau, Stadtmussum, Klostsrgajjs 1. Manuskripten ist Rückporto beizufügen, da sonst ein Anspruch aus Rücksendung nicht besteht. Postscheckkonto: Leipzig Nr. 27534. Bankverbindung: Girokasje Reichenau Nr. tS. Privat- und Commerzbank A.-G., Zweigstelle Reichenau, 6a. Gewerbsbanö Reichenau, 6a. Sonntag-29. ^iuni"(Drachet) 1924 5. Jahrgang BlcMex fün L^elmatfunöe Schristleitung und Geschäftsstelle in^Reichenau.Sa. Fernsprecher Nr. 2IZ Unbererhnyler v^nboren Bemerkungen zu unsrer Mundart Dr. Winkler.Zittau ie deutsche Sprache, das einigende geistige Band zwischen NMD'H den einzelnen Stämmen, ist nicht die Einheit, als die sie zunächst erscheint: in ihrem Begriff birgt sich eine bunte Vielheit. Selbst die neuhochdeutsche Schriftsprache ist nur für's Auge etwas Einheitliches: geht es wirklich an's Sprechen, so erkennt das Ohr sehr bald in den verschiedenen Gebieten unsres Vaterlandes bezeichnende Unterschiede der Aus sprache. Noch bunter wird das Bild, wenn wir auch die „Umgangs sprache" betrachten, die aus Bequemlichkeit bald mehr, bald weni ger von der Schriftsprache abweicht: und unübersehbar vollends ist der Reichtum deutschen Sprachlebens in den zahlreichen deut schen Mundarten, die in vielverzweigtem Adernetz lebenskräftig Stadt und Land durchpulsen. Mundart und Umgangssprache haben nicht das gleiche Ver hältnis zur Schriftsprache. WährenddieUmgangssprache einaus Bequemlichkeit verflachtes Schriftdeutsch darstellt, ist jede Mundart eine selbständige Sprache, die sich nach eigenen Lautgesetzen unab hängig von der Schriftsprache entwickelt hat Viele wollen nun den Begriff einer einheitlichen Mundart eines soweit umgrenzten Gebietes wie der gesamten Oberlausitz nicht gelten lassen, weil fast jeder Ort besondere Eigenheiten habe. Aber diese sind nicht das Wesentliche. Ob man hier gewisse Silben verschluckt, dort reckt breit spricht, anderswo stärker als üblich quirlt, darauf kommt es nicht an: die Hauptsache bleibt, daß der gesamte Laut- bestand, Selbst, und Mitlaute, im Gesamtgebiete gegenüber der Schriftsprache eine Reihe gemeinsamer Unterschiede ausweist. Ab gesehen von den wendische» Gebieten um Bautzen herum kann man in diesem Sinne der Obcrlausitz eine gemeinsame Mundart zugestehen, deren sprachliche Eigenarten weit über Sachsens Grenzen ins Schlesische und Böhmische hinein sich verfolgen lassen, während sie an der sogen, obersächsischen Mundart des Dresdner und Meißner Gebietes eine scharfe Grenze finden. So stellen wir schon hier, verblüffend für den Laien, fest, daß die jahrhunderte lange Zugehörigkeit der Lausitz zu Sachsen nicht vermocht hat, die enge Verwandtschaft ihrer Mundart mit dem Schlesischen und Nordböhmischen zu verwischen. Wer nun die sprachlichen Erscheinungen, welche die Kennzeichen der oberlaufitzer und im weiteren Sinne der schlesischen Mundart bilden, bis ins Einzelne kennenlernen will, sei auf die beiden Schriften verwiesen: „Studien zur Dialekt-Geographie der süd- lichen Oberlausitz und Nordböhmens" von Fr. Wenzel und „Die schlesische Mundart, in ihren Lautverhältnissen grammatisch und geographisch dargestellt" von W. von Unwerth. Beide Verfasser zeigen rein wissenschaftlich, wie sich der Lautbestand der Mundart nach bestimmten Gesetzen aus der mittelhochdeutschen Sprache entwickelt hat, sodaß man klar erkennt, wie Mundart und Schrift- spräche, weil aus derselben Grundlage entstanden, als ebenbür tige Schwestern zu betrachten find. Den wissenschaftlichen Weg der beiden Arbeiten müssen wir aber verlassen: denn uns kommt es darauf an, die Beziehungen zwischen Mundart und neuhoch deutscher Schriftsprache herauszuarbeiten, wobei freilich gelegent- lich ein Rückblick auf das Mittelhochdeutsche unvermeidlick sein wird. MundartlicheBeispiele gebe ich nach der Aussprache der Gegend um Neusalza-Spremberg herum. Wir betrachten den Satz: „Der alte Sack hat ein Loch: mach einen Stich und nähe es zu: ich will in den Busch, ehe das Wetter kommt." Er lautet in Mundart: „Dr aale Saack hoat a Looch, mach en Stiech und näh's zu: ich will an Buusch, eh's Waat'r kimmt." Man bemerkt, daß die Mundart in vielen Silben den kurzen Selbstlaut der Schriftsprache auffallend dehnt. Das ist sehr zu beachten und steht im Gegensatz zum Obersächsischen, das in allen diesen Fällen die Kürze beibehält: „Dr alde Sack Hot e Luch, mach een Stich: ich will in Busch, eh's Weddr kommt." Zwei alte Berschen fallen mir ein, die hierher gehören: „Liebr Kooch, sieh drnooch, doaß dr Pappe ne leeft a's Looch!" und: „Wenn Kirmst wird senn, wenn Kirmst wird senn, doo schlacht mei Voatr an Boock: doo tanzt de Muttr, doo tanzt de Muttr, doo woacklt ihr dr Roock." — Sucht man diese Dehnungserscheinungen in Regeln zu fassen, so kann man etwa sagen: Die Mundart ist be strebt, den kurzen Selbstlaut aller bereils im Mittelhochdeutschen einsilbigen Worte zu dehnen, bei zweisilbigen ist die Dehnung ost unterblieben. Derselbe Satz in veränderter Form kann es bestä tigen: „A koam aus'n Busche, mit enn Luche an Sacke: se näht's'n zu mit a paar Sti chn." Umgekehrt zeigt die Mundart vielfach ursprünglich lange Selbstlaute als Kürzen. „Solcher schöner, süßer Kuchen, der tut gut" heißt in Mundart: „Sickr schinnr,sissrKuchn,dartutt gutt", im Obersächsischen dagegen: „Solchr scheenr, sießr Kuuchn, där duht gut." Wieder zeigt sich die scharfe Scheidung zwischen oberlaufitzer und obersächsischer Mundart. Das Schlesische