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Rekruten hatte Sachsen zu stellen. Auch die Lausitz mußte Mann schaften ausbringen. In Bautzen fanden Aushebungen für das preußische Heer statt. Davon erfuhr nun der österreichische General von Beck, der mit seinem Stabe eben in Gabel lag. Sofort ver bot er der Stadt die Anwerbungen. Aber Bürgermeister Marche konnte sie garnicht verhindern, wenn er gleich gewollt hätte. Denn die Stadt war inzwischen wieder von Preußen besetzt worden. Da ließ ihn der österreichische General gewaltsam entführen und nach Gabel bringen. Das war am 28. Januar 1759 in aller Herrgottsfrühe. Die Straßen lagen noch in tiefem Dunkel. Auch im Hause des Bürger meisters an den Fleischbänken war noch alles still. Der Bürger meister schlief noch. Da wurde er durch Lärmen und Schreien jäh aus den Träumen geweckt. Jemand schlug unten gegen die Haustür, daß es krachte. Bald darauf wurde ungestüm an der Klinke gerüttelt und unaufhörlich mit dem Klopfer geschlagen. Er fuhr erschreckt im Bette auf. Ehe er aber nach der Ursache sehen konnte, hörte er ganz deutlich, wie man seinen Namen rief. „Holla! Aufgemacht I Sonst schlagen wir ihm auf der Stell die Türe ein!" Er warf sich hastig den Schlafrock über und eilte, so schnell er konnte, die Treppe hinunter. Es dauerte einige Zeit, ehe er die Haustür aufbrachte, denn sie war nächtlicherweile vereist und ein geschneit. Als er sie öffnete, sah er draußen ein Fähnlein öster reichischer Husaren mit ihren Pferden halten. Die fuhren ihn barsch an: „Mach er, daß er mit uns vors Tor kommt! Allons! Der Herr Rittmeister hat angenehme Geschäfte mit ihm vor!" „Sofort, meine Herren, sofort!" antwortete bestürzt der Bürger meister und eilte die Treppe hinauf, sich anzukleiden. Er war aber noch kaum in die Hosen gefahren, als sich vorm Hause neues Lärmen vernehmen ließ. „Glaubt er, wir hätten Lust, um seinetwillen unsere Knochen zu erfrieren, Kanaille verdammte? Kommt er nicht gleich herunter, soll er zur Morgensuppe blaue Bohnen haben!" Es blieb ihm nichts anderes übrig, als wieder schnell in den Schlafrock zu fahren und so wie er war hinunter zu gehen. Denn mit denen unten war wahrlich nicht zu spaßen. Und er tat recht daran. Denn er war eben auf den untersten Stufen angekommen, als einer der Soldaten in den Hausflur hereinstürmte, ihn am Kragen faßte und aus die Straße hinausschleifte. Durch den Lärm war auch des Bürgermeisters Frau wach ge- worden. Nur notdürftig bekleidet eilte sie ihrem Manne zu Hilfe. Sie sah gerade, wie sie ihm einen Strick und Riemen um den Hals legten und mit einer Leine die Hände auf den Rücken banden. Sie dachte nicht anders, als daß sie ihn erschießen wollten. Hände- ringend lief sie von einem der Soldaten zum andern und bat mit Tränen in den Augen, doch ihren Mann zu schonen. Statt aber die weißen Haare der geänstigsten, zu Tode erschrockenen Frau zu ehren, machten sie sich in gemeinen Reden über ihre Morgen kleidung lustig, verspotteten und beschimpften sie. Einer stieß sie mit dem Rufe „Kanaille verdammte" mit dem Karabiner vor die Brust. Ein anderer versetzte ihr mit dem Säbel einen Schlag über den Kopf, daß das Blut rann. Inzwischen waren auch einige Männer aus der Bürgerschaft herzugekommen. Sie wohnten in den Häusern nebenan und waren durch das ungewohnte morgen- liche Treiben ebenfalls aus dem Schlafe geweckt worden. Auch sie lagen der rohen Soldateska mit Bitten in den Ohren. Indeß, alles war vergebens. Die Reiter legten dem Geänstigten einen Strick um den Leib und nahmen ihn zwischen ihre Pferde. So führten sie ihn fort. Damit ihm das Mitkommen nicht zu leicht werden möchte, setzten sie ihre Gäule in Trab. So ging es durch die Wendische Straße, die Töpferstraße hinunter nach dem Holz markte und endlich zum äußeren Reichentore hinaus. Der Bürgermeister vermochte nicht mitzukommen. Er wurde mehr ge- geschleppt als daß er lies. Einmal über das andere siel er zu Boden. Die Soldaten ließen ihm nicht Jett, sich aufzurichten, sondern schleppten ihn am Boden nach. Wie ein Verendender rang er nach Luft. Unaufhörlich schrie er um Erbarmen. Unab lässig bat er, sie möchten doch einen Augenblick ruhen und ihn Atem schöpfen lassen. Sie achteten es aber nicht. „Allons, mar- schier, marschier!" riesen sie ihm zu und schlugen gar noch eine schnellere Gangart ein. Auch daß er ihnen Geld und seine wert volle Uhr anbot, vermochte sie nicht umzustimmen. Einige Bürger waren von Bautzen her dem Zuge gefolgt. Einer um den andern flehten sie die Reiter um Erbarmen für ihren Bürgermeister an. Alles war vergeblich. Als der am ganzen Leibe Zitternde fühlte, daß er am Ende seiner Kraft war, bat er, man möchte der Marter ein Ende machen und ihn erschießen. Da verließen ihn die Kräfte. Ohnmächtig sank er zu Boden. Das mochte in der Nähe von Nadelwitz sein. Da hielten die Husaren ihre Gäule an. Einer von ihnen sprengte in ein Bauern gehöft und requirierte einen Heuwagen. Auf den wurde der,Ohn mächtige gelegt, und dann ging es weiter. Kurz vor Jenkwitz wurde die Kavalkade vom domstiftlichen Geschirr überholt. Kanonikus Hauptmann war auf dem Wege nach Hochkirch, wo er der Ablegung der Kirchenrechnung beizuwohnen beabsichtigte. Als er den Bürgermeister in seiner hilflosen Lage erblickte, hieß er seinen Kutscher halten. Er bat den Führer der Rotte, ihm zu erlauben, daß er den Bürgermeister in seinen Wagen nehme, er habe den gleichen Weg wie sie. Nach einigen Bedenken willigte jener ein. Zwei Bauern, die den Zug begleitet hatten, hoben den Bürgermeister in die Polster und legten ihm, der noch immer nur mit dem Schlafrock bekleidet war, einen Pelz um. In Hochkirch verließ der geistliche Herr den Schlag, er gab aber dem Kutscher die Weisung, daß er den Bürgermeister bis Löbau fahre. 3n diesem Augenblicke schwenkte ein Ratswagen ins Dorf hinein. Die Postpferde davor schäumten, so hatte sie der Kutscher angelrieben. Als der Wagen an die Reiter heran war, sprangen der Türsteher und der Diener von ihren Plätzen und nahmen sich des Bürgermeisters an. Die Hilfe des Geist- lichen war nicht mehr nötig. Der Rcttswagen brachte den Bürger meister weiter. Vorsorglich hatte dessen Frau Kleider, Arznei und Stärkungsmittel mitgeschickt. Es gelang auch, den Ohn mächtigen ins Bewußtsein zurückzurufen. In Nechern wurde die Eskorte durch eine neue abgelöst. Hier wurde der Gefangene auch dem Rittmeister v. Losseck übergeben. Dieser war ein freund- licher Mann, der das dem Bürgermeister angetane Unrecht be- dauerte und ihm erlaubte, sich in der Schenke anzukleiden. Hier in der Stille der Schenkstube gewahrte man auch, daß man in aller Aufregung das wichtigste Stück vergessen hatte — die Perücke. So komisch es angesichts der tragischen Situation erscheinen mag: Sie war in damaligen Zelten wirklich das wichtigste Requisit für eine Person von Stand und Würden. In Löbau sand man Gelegenheit, sie zu ersetzen. Am Abend kam man in Zittau an. Hier brachte man den Gefangenen in ein festes Quartier im Hause des Stadtrichters Adler, das von einem Posten bewacht wurde. Der Rat von Zittau ließ ihm sein Bedauern ausdrücken und sandte ihm ein leckeres Abendessen, von dem er aber wegen seines geschwächten Gesundheitszustandes nur wenig zu sich nehmen konnte. Am nächsten Morgen wurde die Reise in aller Frühe fortgesetzt. Noch vor Einbruch der Dunkelheit war Gabel erreicht. Gleich, zeitig mit dem Trupp ritt der Bautzener Maurermeister Gotthelf Seydler in die Stadt ein. Ihn hatte der Rat mit einer Bittschrift an den General gesandt, in welcher dieser um Schonung und Freilassung des Gefangenen bat. Tatsächlich sahen die Öster reicher von der beabsichtigten Unterbringung des Bürgermeisters im Stadtturme ab. Er wurde sofort vor General v.Beck geführt, doch war er so schwach, daß er sich unter den Armen führen lassen mußte. Er mußte sich mehreren Verhören unterziehen. Es ließ sich jedoch nichts finden, das ihn hätte belasten können, sodaß ihm der General bald mitteilen konnte, er solle außer Sorge sein. Gleichzeitig streckte er ihm eine größere Geldsumme vor, die Marche umso freudiger annahm, als er sich bei einem Gabler Bürger bereits Geld hatte leihen müssen. Schließlich legte man ihm ein Schreiben vor, in dem er sich verpflichten sollte, daß er „auf Erfordern sich gestellen, keine Rekruten noch Fourage an die preußischen Truppen abliefern und denselben auf keinerlei Weise weder direkt noch indirekt einigen Vorschub tun noch bei- stehen wolle, ein gleiches auch von niemand im Ratskollegium