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Der Herrgottstöpfer'' Bon Otto Flösset, Bautzen M^ cr Wurstelsef hatte recht gehabt. Die Störche waren früher als sonst zurückgekehrt, das versprach ein zei- tiges Frühjahr. Auf den Wurstelsef konnte man sich verlassen. Er hatte ein eigenes Geschick, aus dem Storchen- flug das Wetter zu deuten. Das hat er nun schon, solang man denken konnte. Darum hieß man ihn den Augur- Metzger. Und wäre sein Laden so gut gegangen wie seine Wettersagerei, er hätte ein steinreicher Mann werden müssen. Bon weit und breit her kam man ihn befragen. Zu keiner Zeit aber wurde er so überlaufen wie in den Monaten Jänner und Feber. Alle wollten sie wissen, was es für ein Ostern geben werde. Die Krämer und Semmelbäcker, die Pfefferküchler und Zuckerfieder und selbst die Drehorgel leute holten bei ihm Kunde ein. In früheren Jahren hatte ihnen das Wetter regelmäßig einen Streich gespielt. Nie war das Geschäft gegangen wie es hätte gehen sollen. Hatten sie reichlich für Ware gesorgt, dann hatte es das Fest ver regnet und sie hatten ihre Sachen übrig behalten. Und wenn sie dann das andere Jahr vorsichtig geworden waren, hätten sie noch dreimal so viel verkaufen können, so rege war der Zuspruch. Seit sie aber den Wurstelsef hatten, blieben sie vom Mißgeschick verschont. War es unter derlei Umständen zu verwundern, daß er hohes Ansehen im ganzen Kreise genoß und daß sie auf ihn hörten wie auf den lieben Herr gott selber? Nur einmal im Jahre war die Stadt in aller Munde: Ostern. Don fernher kamen sie, um die Karsreitagsfpiele zu beschauen, nicht nur aus dem Böhmerland, selbst bis hinter Zittau war der Ruf der Passionsspiele gedrungen. Ostern konnte kein Apfel in der Stadt zur Erde, so wogte und drängte es aus den Gassen von Schaulustigen. Die ganze Karwoche hindurch strömten sie herbei.Zu allen Toren zogen in langem Zuge die Prozessionen herein, unaufhörlich. In manchen Jahren hat man deren an die hundert gezählt. Die Herrgottschnitzer konnten es nicht schaffen, die Marterl wur den ihnen aus den Händen gerissen. Nicht schaffen auch konnten es Metzger, Bäcker und all die andern. Sie mochten gleich soviel heranbringen, wie sie im ganzen übrigen Jahre kaum brauchten: Am Gründonnerstag waren ihre Stände leer. Und am Karfreitag war der eigentliche Festtag. Sie waren's zufrieden. Sie standen mit Schmunzeln hinter der Teke, die Hände in den vollen Taschen und sahen dem Treiben zu, denn die Schauleute zahlten gut. Konnte man's ihnen verübeln,daß sie das Doppelte der üblichen Preise forderten? Man muß die Feste feiern wie sie fallen. Das wußte man in vorigen Zeiten schon. Die Bürgsteiner und Lindenauer waren zeitig dahinter gekommen, daß sich daraus ein ein trägliches Geschäft machen ließ und hatten in ihren Städten ebenfalls Passionsspiele ins Leben zu rufen versucht. Aber wie hätten sie gegen die Zwickauer aufkommen können! Die Zwickauer Karfreitagspassionsspiele hatten fast reicheren Zuspruch noch als die Gabeler Saul-Spiele. Und das wollte gewiß etwas bedeuten. Nie noch vorher hatte man ein so prächtiges Osterwetter gehabt wie in diesem Jahre. In allen Gärten blühten die Bäume, und die Kirschen brauchten nicht mehr viel, so be gannen sie zu röten. Das mutzte ein großes Spiel geben. Die ganze Stadt war aus den Beinen. Jeder hatte alle Hände voll mit Vorbereitungen zu tun, keiner wollte das *) Nach geschichtlichen Duellen der Stadt Zwickau i. B. aussichtsreiche Geschäft unbenutzt lassen. Auf dem Markte hantierten die Zimmerleute, daß die Spähue flogen. An jeder Seite wurde eine Bretterbühne aufgerichtet. Bor dem Stolleschen Hause hatte Pilatus der Landpfleger seinen Palast. Dicht dabei residierte Herodes. Gegenüber stand das Haus des Hohen Priesters Kaiphas, in einiger Entfernung das des Annas. In allen Gassen und Plätzen wurden Holz buden zusammengeschlagen, und die Stadt machte ein Ge sicht als ginge es dem größten Jahrmarkt des Landes ent gegen. Am Karfreitag wogten von den frühesten Morgenstunden an ungezählte Menschenmengen durch die Straßen. Jeder suchte nach einem günstigen Standort, von dem aus er das Spiel ohne Mühe beobachten konnte. Auf dem Markte hatte die Menge bereits Aufstellung genommen. Da hätte auch nicht einer mehr unterkommen können, so dicht gedrängt standen sie. Aus allen Fenstern sahen sie heraus. Da war auch nicht eine Familie, die nicht Besuch gehabt hätte. Leute vom Lande, die sich sonst das ganze Jahr über in der Stadt nicht sehen ließen: am Ostertage erinnerten sie sich ihrer Ver wandten und Bekannten. Selbst die Dächer waren von Schaulustigen besetzt, dazu herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. An allen Ecken ließen die Leierkästen klagende Weisen ertönen, Prozessionen sangen lange Litaneien. Zwischen durch erscholl Geschrei von Kindern und Gekreisch von Weibern. Die Jugend belustigte sich auf ihre Weise und tat, als gelte es, Fastnacht-Karneval zu feiern. Gleich nach Mittag begann das Spiel. Es nahm seinen Ausgang am Geiershügel, den man für diesen Tag not dürftig als Olberg hergerichtet hatte. Hier erschienen die Kriegsknechte mit Spießen, Stangen und Stricken und nahmen Jesus gefangen, nachdem ihn Judas mit einem Kuß verraten hatte. Es hielt schwer, jemand in der Stadt zu finden, der die Rolle des Verräters spielte. Das religiöse Empfinden der frommen Bevölkerung sträubte sich dagegen. Überdies war Judas, auch wenn er nicht mehr Judas war, dem Gespött der Leute ausgesetzt. Der Küster Abermann, der viele Jahre hindurch die Rolle gespielt hatte, wurde zum Dank dafür später unaufhörlich geneckt uud gehänselt, daß er sich kaum mehr auf die Straße wagen durste und seines Lebens nicht mehr froh wurde. Der Bader Streit war dabei ans Hungertuch gekommen. Denn seit er den Judas ge spielt, mied man seine Baderstube, sodaß er schließlich aus wandern mußte. Abergläubische gab es ja genug. Auch gegen die übrigen Darsteller benahm sich die Menge nicht immer würdevoll. Selbst die Gestalt des Heilands vermochte ihnen keinen Respekt einzuflößen. Es schien überhaupt, als be nützte man das Karfreitagsspiel als willkommene Gelegen heit, mißliebigen Personen in der Stadt seinen Groll spüren zu lassen. Ganz besonders galt dies gegen die Begüterten. Es war deshalb immer mehr Gepflogenheit geworden, daß die Darsteller eine Maske trugen, wenigstens dann, wenn sie den wohlhabenderen Kreisen angehörten. Nur die Leute aus dem niederen Volke trugen ihr Gesicht offen zur Schau. Auch heute trug Christus eine Maske. Es mußte demnach ein „Reicher" sein. Man zerbrach sich den Kopf darüber, wer es denn sein mochte, man riet auf diesen und auf jenen, aber etwas Bestimmtes konnte niemand sagen. Denn die Darsteller hielten wohlweislich darauf, daß ihr Name nach Möglichkeit unbekannt blieb. Nur der Wenzel Knespel, der hatte sich nicht verleugnen können, und der wollte es auch nicht. Er gehörte zu denen, denen die Natur von selbst christusähnliche Züge verliehen hatte. Die lange, hagere