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zu Berg pflanzt es sich fort, und in den Wäldern hallt es wieder: „Der Mai ist gekommen!" Der alte wendische Götterberg! Wohl, der fromme Sang der Priester ist nicht mehr. Tote Steine nur erinnern an lang ver gangene Zeiten. Aber der Volksglaube flicht einen bunte» Kranz um seinen Gipfel. Die Weißenberger Schneidermeister-Klage n einem Aktenstück des Ratsarchivs zu Weißenberg finden wir neben anderen, zum Teil nicht sehr erquick lichen Dingen, einen ergötzlichen Briefwechsel zwischen dem Ratsmilglied und Accisinspektor Maximilian Fiedler und dem Pfarrer Andreas Kappler. Pfarrer Kappler ist nach allem, was aktenmäßig feststeht über ihn, eine leicht reizbare Persönlichkeit gewesen; er liebte es vor allem, seinen Gefühlen brieflichen Ausdruck zu geben und hat dabei mitunter einen verletzenden Ton angeschlagen, der seines Amtes nicht würdig war. Der unten wiedergegebene Briefwechsel zeigt, daß er auch die liebenswürdigere Gabe der Ironie besaß. Da gleichzeitig ein Stückchen Kulturgeschichte und Kleinstadtpoesie über dem Ganzen liegt, verdient es, aus d§m Aktenstaub einmal herausgehoben und den Heimatfreunden bekannt gemacht zu werden. Bemerkt sei noch, daß Andreas Kappler 1802 in Klein hänchen bei Göda geboren ist, er war 1833—1835 Diakonus in Neschwitz, vom 11. Januar 1835 bis zum 12. Juni 1848 Pfarrer zu Weißenberg. Am letztgenannten Tage, zn Pfingsten, ist er nach Adelaide in Australien ausgewandert. Aus den etwas ab sonderlichen Geschmack des Mannes wirft auch die Auswahl der Namen ein Licht, die er seinen 7 Kindern gegeben hat, und die deshalb hier mitgeteilt seien: Theodora, Auguste Acolutha, Theodor Thimotheus, Eusabie Sophie, Johannes Eirenikos, Theopistos Eirenikos und Acsluihos Imanuel. — Ich lasse die beiden Briefe folgen: „An den Herrn Pfarrer Kappler Hochehrwürden in Weißenberg. Die hiesige Schneiderinnung hat sich durch ihre Ältesten bitter beklagt, daß Eure Hochehrwürden gegenwärtig männliche Dorf schneider in Ihrer Behausung hätten, und um obrigkeitlichen Schutz hinsichtlich der ihnen hierunter zugefügten Beeinträchti gungen in ihren Innungsgerechtsamen gebeten. Wenn dem so ist, so stehet den Beschwerdeführern allerdings das Recht zur Seite, da die bisherigen Innungsgerechtsame noch nicht aufgehoben sind und blos weiblichen Subjekten in der Behausung der Kunden zu arbeiten, gesetzlich gestaltet ist. Euer Hochehrwürden ersuche ich daher, »erhoffend, daß die selben diese meine freundschaftlichen Mittheilungen wohlwollend aufnehmen werden, ergebenst, die in Ihrer Behausung arbeiten den Dorsschneider ohne allen Anstand zu entfernen und dadurch die begründete Beschwerde der hiesigen Schneidermeister zu er ledigen. Mit vollkommenster Hochachtung verharre ich Euer Hochehrwürden ergebenster Fiedler. Weißenberg, den 16. Maj 1838." Auf dieses Schreiben ist folgende Antwort ergangen: „Wohlgeborener, Insonderheit hochgeehrtester Herr Accisinspektor! Ew. Wohlgeboren sage ich meinen herzlichsten Dank für die wohlwollende und gütige Miltheilung der von den hiesigen Oberschneidermeistern erhobenen bitter» Klage und für Ihre liebevolle, wohlmeinende Warnung. Ich kann nicht in Abrede stellen, daß ich Schulzen aus Maltitz ein paar Tage auf Arbeit gehabt habe; aber die Arbeit, der er sich unterzog, war meistentheils von der Art, daß ich mich geschämt haben würde, sie einem zünftigen Meister vorzulegen, und auch der zünftige Meister würde mich wahrscheinlich mit großen Augen angesehen haben, wenn er Sie werden lachen, wenn ich nun die hauptsächlichen Gegenstände der birtern Ober- schneidermeisterklagc nenne alte zerrissene Bein ¬ kleider, alte zerrissene Kinderröckchen, alle zerrissene Frauen unterröcke, zerrissene Socken, welche Letzteren noch glücklicher Weise des Ausbesserns warten, ausflicken müßte. Einem Meister möchte ich solche Arbeit nicht vorlegen. Ein Dorfschneider — von zünftigen Meistern, wie ich bisweilen gehört, Pfuscher genannt — fühlt sich durch Zumuthung solcher Arbeit nicht gekränkt; wenig stens darf man dies nicht voraussetzen, weil er des Titels Meister entbehrt. Hätte ich in der Tat ahnen können, daß die oder viel leicht nur ein hiesiger Obermeister — auch nach solcher Arbeit be gierig sind, sie hätte ihnen oder ihm zu Theil werden sollen. Aber aus einer gewissen Scheu vor der Schneidermeisterdelicatesse habe ich durch einen sogenannten Pfuscher Lumpen zusammen flicken lassen, um sie noch zu benutzen. Nach der Lumpenarbeii hat allerdings der Dorfpfuscher auch etwas Neues gemacht, zur Belohnung und Entschädigung für die Lumpenflickerei, der sich ein Meister wohl nicht unterzöge. Meiner vielfachen Erfahrung nach suchen nämlich Schneidermeister Meistcrarbeit und nicht Flickerei. Ich wundere mich übrigens nicht wenig über die Klagen. Keiner von ihnen hat den Dorfflicker bei mir gesehen. Noch mehr muß ich mich wundern über den Obermeister Lehmann, der aller Wahrscheinlichkeit nach unter den Klägern befindlich ist, und der doch von jeher gethan hat, als wenn er aus Freundschaft, Hoch achtung, Liebe und so weiter gegen mich überfüllt wäre, daß derselbe, ehe er Klagen ging, mir nicht ein Wort davon gesagt hat, daß ich dadurch zum Verbrecher an den Schneidermeistergerecht- samen würde, wenn ich durch einen Auswärtigen alte Sachen zusammenflicken lasse. Einer aus der Mitte der ehrsamen Schneidermeister — Mstr. Große — hätte übrigens der ganzen ehrsamen Zunft sagen können, daß er vor wenig Wochen zwei neue Kinderröcke, zwei neue Frauenobcrröcke gefertigt, für mich einen Rock gewandt habe, ja, daß ein neuer Zeugrock noch seiner warte. Solches hörend hätten sie wohl selbst auf die Idee kommen können, daß es eben jetzt nicht viel Gescheidts für einen Schneider- meister zu arbeiten bei mir geben könne. Daß Große meine volle Zufriedenheit mit seiner Arbeit gecrndtet hat, muß ich bekennen. Er arbeitet meisterhaft und ist billig, ebenso billig als Schulze, der Dorsschneider. Daher Lob, dem Lob gebührt. Der Obermeister Lehmann hat aber früher für meine Frau ein Stück Arbeit gefertigt, das so vollkommen war, daß meine Frau, obgleich Zeug genug dazu gegeben worden, es nicht anziehen konnte. Ich mußte es wegschenken. Da war Zeug und Schneider meister lohn weggeworsen. Ew. Wohlgeboren bitte ich nun ganz ergebenst, den klagenden ehrsamen Oberschneidermeistern zu ihrer Beruhigung meine ab- gegebene Erklärung bekannt zu machen. Darf ich nicht fürchten, ihre Delicateffe zu beleidigen, wenn ich ihnen alte Sachen vorlege, um sie ausflicken und zusammen buchstabieren zu lassen, nun so will ich bei nächster Gelegenheit sie gern rufen lassen; aber sic müssen dann auch für solche Flickerei nur Flickerlohn nehmen. Sollte ich, ich wiederhole es nochmals, gegen die Gerechtsamen der hiesigen ehrsamen Schneidermeister wirklich gefehlt haben, so ist das nicht in der Absicht geschehen, ihnen ihren Erwerb zu verringern (denn wenn ich das gewollt, so hätten Mstr. Lehmann, Schröder, Große keine Arbeit bekommen), sondern wahrlich nur, aus Delicateffe vor der Schneidermeisterdelicatesse. Und ich denke, hören die Schneidermeister solches, dann werden sie mir sofort ohne jedes Ablaßgeld ihren Ablaß in Gnaden ertheilen. Verzeihen Ew. Wohlgeboren noch Ihrer wohlwollenden Güte, daß meine Delicateffe vor der Schneidermeisterdelicatesse Ihnen Beschwerden gemacht hat. Ich werde die Delicateffe vor der Schneidermeisterdelicatesse nicht wieder so weit treiben, daß Klage deshalb erhoben werden könnte. Ich hoffe, die ehrsamen Kläger werden meinem Beispiel und Sie, hochgeehrter Herr, wegen der Ihnen gemachten Beschwerde