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7 Uhr trug der Eisenbahnzug die Radeberger Mitglieder zurück in die Heimat. Allen Teilnehmern wird jene Wanderfahrt, auf der die meisten einen schönen und geschichtlich so interessanten Teil dec vielfach verkannten Westlausitz zum ersten mal aus eigener Anschauung kennen lernten, gewiß in langer Erinnerung bleiben. Solche Wanderfahrten bestätigen immer wieder von neuem, wie doch so schön unsere Heimat ist, wenn man mit offenen Augen und mit einem empfänglichen Herzen wandert, und daß wir es wahrlich nicht nötig haben, immer nur in die Ferne zu schweifen, wie das vor dem großen Weltkriege der Fall war. Unsere Heimat ist schön. Nur die Augen auf! ') Dies ist nicht so wahrscheinlich, wie es der Herr Verfasser dar stellt: Uber die völkische Zugehörigkeit der Bewohner Ostdeutschlands ist sich die Wissenschaft noch nicht klar, gerade die Keltentheorie ist mit sehr starken Gründen bestritten worden. 2) Dioinus, lacobus, Lpitomao bnstorias Uosontslonsis oto. Prag 1692. ') Auch diese völkische Gleichsetzung ist ungewiß Da Funde aus dem Kuckaucr Wall bisher fehlen, ist diese Vermutung von O. E. Schmidt, Kursächsische Streifzüge II S. 73, von dem sie der Herr Verfasser wohl übernimmt, aus der Lust gegriffen. Oder be sitzt Schmidt Belege für seine Meinung? Dr. Frenzel. Der alte Glöckner von St. Petri Von Herbert tzenkner-Bautzen I. dein Mänuerhospital an der Wallstraße hat so mancher ehrwürdige Greis ein Obdach für seinen Lebensabend ge- funden. Unter den friedlichen Bewohnern befindet sich auch ein Alter, der in seiner bescheidenen Klause so manch liebes Mal mit zufriedener Miene auf sein langes Leben von siebzig Jahren zurückschaut. Wer ihn mit einem Besuche erfreut, dem plaudert er auch gern von dem, was ihn so fest verknüpft mit seiner Vaterstadt Bautzen. Obwohl seine kleine Gestalt durch die Last der Jahre etwas gebrechlich geworden ist, so ist er doch im Herzen noch von altem Schrot und Körn geblieben. Er ist einer von den ganz wenigen Alten, die in ihrem noch frischen Gemüt nicht an Deutsch land verzweifeln. Auf ihn paßt restlos das Wort: Iugendkraft so mancher Alter Heilige Erinn'rung preist. Weiß das Haar, doch wie ein Falter Steigt zum Licht noch junger Geist. Und wahrlich, Vater Iunghaniiß, der alte Glöckner »on St. Petri, der 45 Jahre treu seine Pflicht bei den Glocken erfüllt hat, birgt noch einen jungen Geist in sich. Am 20. Mai 1852 wurde er in Bautzen geboren, erlernte da selbst das Korbmacherhandwerk und versah vom 31. Oktober 1874 bis zum 30. September 1892 den Dienst eines Glöcknergehilsen. Vom 1. Oktober 1892 bis Ende Juni 1919 bekleidete er sorgsam den Posten als Glöckner von St. Petri. Sein Alter veranlaßte ihn, in dem letztgenannten Jahre das schwere Amt niederzulegcn und seinen Lebensunterhalt von dem Ruhegehalt zu bestreiten, das ihm die dankbare Vaterstadt gewährt. Als ich noch ein Bube von fünf Jahren war, da galten Vater Iunghaniiß und ich schon als gute Freunde. Wie oft sperrte er mich, wenn ich ihn in seiner Werkstatt aufsuchte, im Scherz in einen großen Reisekorb, den er soeben fertiggestellt hatte. O wie laut lachte da meine Bubenbrust, wußte ich ja, daß es der alte Meister nur im Spaße mit mir trieb. Da ihn der Glockendienst nicht den ganzen Tag in Anspruch nahm, konnte er natürlich bis zu einem bestimmten Maße seinem Handwerk nachgehen. Die Glöckner sind überhaupt meist freie Handwerker gewesen. Doch wie schnell sind die Jahre verstrichen! Was haben wir alles in ihnen erlebet müssen! Die 53 Jahre des biederen Mei sters sind nur zu schnell zur Siebzig geworden. Mit ernsteren, wenn auch noch freundlichen Mienen schauen wir uns an, wenn wir uns heute treffen. Und was ich damals als dummer, kleiner Bube noch nicht verstand, wenn der gute Glöckner mit mir plau- derte oder sein Antlitz ernster wurde, wenn ihn die Last seines Amtes gar zu sehr drückte, das habe ich heute verstehen gelernt von ihm. Ihm hab ich es abgelauscht, wie man den Mut behalten muß in noch so schweren Stunden. Wovon er so viele Male zu mir sprach, ich will es heute wiedergeben. Die Bedienung der fünf Glocken, die hoch oben auf St. Petris Turme schon unzählige Male ihre ehernen Stimmen erklingen ließen, erfordert neun Mann. Die große Glocke allein nimmt vier Mann in Anspruch, die Kirchglocke zwei und die anderen je einen Mann. Mit Stolz gedenkt der alte Glöckner der 45 Jahre, die er bei ihnen Tag für Tag verbrachte. Wenn er dann so recht ins Plaudern gerät, dauert es nicht lange, und er ist bei einem Thema angekommen, das er sehr ein gehend behandelt: die Gewitterwache, ein alter Brauch, der noch aus der Zeit seit dem letzten großen Brande von Budissin stammte. Sobald ein Gewitter im Anzuge war, mußte der Glöck ner mit zwei Gehilfen auf den Turm, um beim Einschlag eines Blitzes sofort zur Stelle zu sein, ein etwa ausbrechendes Feuer zu löschen. Auf den drei Böden der Petrikirche standen 43 mächtige Wasserkübel in einer Größe von 1 Meter Höhe und Meter Durchmesser, die im Sommer mit Wasser gefüllt, im Winter da gegen wegen des Zufrierens entleert wurden. Sie waren so ver teilt, daß auf den unteren Boden 30, den mittleren 10 und den oberen drei kamen. Als iy Dresden 1896 aber die Kreuzkirche das Opfer eines großen Brandes wurde, verordnete das Kon sistorium, daß die Kübel auch im Winter mit Wasser zu füllen seien. Das hatte viel Mühe zur Folge, da das Eis immer wieder auf gehackt werden mußte, und auch die Kübel litten darunter. Selbst ein vom verstorbenen Schloßapotheker Menzner-Bautzen ge mischtes Salz konnte das Übel des Zufrierens nicht beseitigen. Man sah sich also gezwungen, davon abzusehen, und mußte die Kübel zum Auftauen in den Keller der Lutherschule schaffen, wobei die morschen hölzernen Treppen sehr zu Schaden kamen. Durch Imprägnieren sämtlichen Holzzeuges gegen Feuersgefahr wurde die ganze Einrichtung überflüssig. Die Beleuchtung jedoch wurde beibehalten. Für die Treppe dienten sieben Laternen mit Kerzen, während am Eingänge zum Kirchboden zwölf solcher Laternen untergebracht waren für die Bodcnbeleuchtung. Außen am Turme befestigte man eine siebzehn Meter lange eiserne Leiter, die von der Türmerwohnung bis zum Anfang der steinernen Treppe führt und für alle Fälle vorgesehen ist. — Die Gewitterwache war oft für den Glöckner und seine Gehilfen das Beschwerlichste, was sie sich denken konnten. Dieser Dienst sollte eine Unterstützung für den Türmer bilden. Zu jeder Stunde mußten sie damit rechnen, daß sie ein Gewitter auf den . gefährlichen Posten zwang. Es mag ihnen oft grauenhaft zu Mute gewesen sein, wenn sie da oben mitten im Toben der Elemente standen, wenn Blitz auf Blitz an ihnen vorüberzischte, wilde Wol kenfetzen vordeisausten wie unheimliche Gespenster, und selbst die alten Glocken, die doch sicher etwas gewohnt waren, von unsicht barer Gewalt gerüttelt, in leisem Beben zaghafte Töne von sich gaben. Der alte Glöckner erzählte mir selbst, daß er einmal eine schreckliche Nacht durchlebt habe. Er wohnte damals noch in dem Hause des Kausmanns Diettrich in der Heringsgasse. Da weckte ihn eines Nachts gegen elf Uhr seine Frau mit dem Bemerken, daß ein mächtiges Gewitter über der Stadt stehe. Und pflicht bewußt ist er die Treppen zum Turme hinaufgestiegen und hat mit noch zwei Männern in sturmumbrauster Höhe bis drei Uhr morgens wachend ausgeharrt. Um vier Uhr kehrte das Unwetter zurück. Wieder mußte der wackere Glöckner aus dem Bett, das ihn kaum erst ausgenommen hatte. Als er über den Fleischmarkt schritt, hallten zwei kräftig' Schläge durch das Hagelwetter und auf der Treppe schlang sich ihm der zerrissene Draht der Klingel leitung um die Füße. Wäre er nur wenige Minuten früher ge kommen, wer weiß, ob ihm nicht der Blitz zum Verhängnis werden konnte. Durch den Klingeldraht war der Blitz über der Sakristei ins Freie gefahren. Zum Glück war nichts geschehen, in der Sakristei alles noch in Ordnung. Manche trübe, gewitterschwere Äacht mußte der alte Glöckner auch allein bei den Glocken verbringen. So hatte er wohl Grund