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Eins weitverbreitete Modegattung der Literatur um 1800 waren die Mttsrromane. Goethes Götz von Dsrlichingsn und jein gewal tiger Erfolg hatten den Anlass dazu gegeben. Mtterliche Liebss- gejchichten werden infolge der Beliebtheit der Domäne nun auch in Liedern behandelt. Da wird erzählt, wie Dittsr Ewald, jchön und mutig, in des Gartens dunkler Laube vom Mttsrfräulein Ida Ab schied nimmt. Nach einem 'Zähre der Trennung wollen sich beide an demselben Platze wiedertresfsn. Zur Zeit, als die Dojenknojpen brechen, kehrt Ewald zurück. Aber sieh, ein weisses Grab schimmert shm aus dem Grün dec Laube entgegen, und die Marmorinjchrift iagt ihm: Ida ruht in Frieden hier. „Ewald ging nun in ein Kloster, legte Schwert und Panzer ab, hinter stillen Friedhofsmauern gruben Mönche bald jein Grab." Eins anders Mtterballade erzählt von Isabella, der Heldin wohl erzogen, und von dem Ditter Eduard. Durch reiche Geschenke, Blumensträusse, Papageien, „Trudihähns" will er die Gunst der Schönen gewinnen. Aber grausam schlägt sie ihm alles ab. Da reitet sie einst zur Zagd ins Gehölz. Sie erspäht einen Bär. Mit sicherm Pseilschuss tötet sie das Tier. Sie eilt zu ihrer Deuts. Aber: „Wen erblickt sie? Eduarden, in Bärenhaut gehüllt. Nnd kaum verging'n sechs Wochen, verzehrt von Gram und Schmerz, Begrub man ihrs Knochen zu Füssen Eduards." Eine anders literarische Mode, die um 1800 besonders blühte, wae die sentimentale Familiengeschichte. Sie hat auch im Volke bis heute noch nicht ihrs Beliebtheit verloren, und die grösste Anzahl der Zeitungsromane gehört hierher. Dis Heimat dieser Literatur gattung ist England, ihr hervorragendster Vertreter Dichardson. Seins bekanntesten Gestalten sind dis weiblichen Wesen Pamela und Elarijsa Harlowe. Sie sind Engel. Sie strömen über von edlem Gssühl und zerstiessen 'm Dührseligksit. Die Bösewichter sind Teufel ohne jede aushellendsn Lharakterzüge. Dieser Hang zur tränen reichen Dührseligksit ist in einer großen Anzahl volksläusigsr Lieder lebendig geblieben. Da klagt dis Waise um Vater und Mutter. Ganz empfindet sie das Nnglück ihrer Lags. Da naht sich ihr ein „holder" Züngling. Aber in banger Mädchensorgs stellt sie ihm die gewichtige Frage: „Holder Züngling, meinst Du's redlich oder treibst Du mit mir Ach, es ist ja jo gefährlich sür ein junges Mädchenherz." jScherz? Ein ander Lied erzählt, wie der Wanderbursche von der Walze heimkommt, bei einer Gärtnerssrau so hold und bleich für jein Lieb den schönsten Blumenstrauss kaust. Aber sieh, in der jungen Frau erkennt er feine Verlobte. Das Motiv des zurückkshrsnden Wanderburschen, der Über raschungen erlebt, ist besonders beliebt. So gilt der erste Gang eines heimkehrenden Jünglings dem Kämmerlein der Liebsten. Aber es ist leer. Ahnungsbang durchirrt er die Gegend. Da führt ihn der Zufall aus den Kirchhof. Aus einem Grabe findet er einen frischen Myrthenkranz. Seiner Liebsten Name steht auf dem Kreuz Aus ihrem Grabe erschiesst er sich. In vielen Liedern spielt der Kirchhof eins hervorragende Dolle. Sein Spuk und sein Grausen wird gern verwendet. So zitiert ein Liebhaber den Geist seiner Geliebten. Aber am Ende der „süssen" Geisterstunde entweicht sie ihm wieder. Bereits diese Znhaltsangabsn lassen erkennen, dass von einem hohen ästhetischen Gehalt dieser Lieder nicht gesprochen werden kann. Sie stehen etwa mit gewissen Seiten des Kinowsjsns aus gleicher Stufe. Dennoch hat sie das Volk mindestens 100 Zahrs lang in seiner Erinnerung bewahrt und singt sie heute noch gern. Ich Habs die angeführten Lieder alle in unserer Gberlausitzer Heimat ausgezeichnet. Im kulturhistorischen Zusammenhang haben diese Lieder ihre Bedeutung. Aber mag uns dies Beispiel lehren, volkskundlichen Überlieferungen nicht mit ausnahmslosem Über schwang, sondern mit kritischem Blick gsgsnübsczutrsten. Das zerbrochene Bäumlein Von Rudolf Kreuz ein Fichtenbäumlein am Rande eines Wäldchens, tief in der Heide. Wohlig dehnte es seine grünen Zweige in die lenzwarme Luft, die seine Nadeln durstig schlürften. Ein wolkenloser Himmel spannte sein Blau über dieWelt, durch die ein feiner Hauch sonntäglicher Ruhe zog. Und warmer Sonnenschein küßte die Erde, lagerte auf dem Wald, daß der letzte Rest des Schnees, der noch in den Zweigen hing, in Tropfen zur Erde klopfte. Das war neben dem Piepen der Meisen und Buchfinken der einzige Laut, der durch die Stille des Sonntages zog, und dem Bäumlein in seinem Sinnieren zum Bewußtsein kam!... Es war müde geworden in der warmen Zanuarluft. Am Morgen hatte es mit dem Winde, der einen Wettlauf nach dem andern lief, um seine schlafsteifen Glieder wieder gelenkig zu machen, lange geplauscht; dann waren dieBuchfinken bei ihm zu Gast gewesen und halten viel zu erzählen gehabt. Nun war es müde all der Neuigkeiten und des Nachdenkens, und die laue Luft machte auch so schläfrig!... Da hörte das Bäumlein menschliche Stimmen von der Straße, die, durch eine Wiese getrennt, am Saume eines alten hohen Föhrenwaldes sich hinzog, herüberdringen. Es waren drei Wanderer, die plaudernd ihres Weges zogen; zwei ältere und ein junger. Sie ließen die Blicke munter im Kreise schweifen. Auch das Fichtenwäldchen, in dem das Bäumlein stand, ent deckten sie. Sie mußten auch etwas besonderes daran finden, denn der eine zeigte erst mit dem Stocke darauf und sprach auf die andern ein. Dann kamen sie alle drei über die Wiese, auf das Wäldchen zu. Der Bach, der mit kristallklarem Wasser durchs Gelände gluckste, bot ihnen kein Hindernis. Ein großer Schritt brachte sie darüber hinweg. Nur der Junge verweilte bet ihm, legte sich platt auf den Bauch und schlürfte das kalte Wasser in bedächtigen Zügen. Dann sprang er schnell den anderen nach. Die waren indessen an der Waldecke angelangt, an der das Bäumlein stand. Das war ganz munter geworden und zitterte mit allen seinen Nadeln, denn der mit dem Stocke deutete auf seine Krone und sprach zu den andern: „Seht nur die schönen Zapfen. Da möchte ich ein paar Zweige meiner Frau mitbringen, die will einen Waldkranz für das Grab des Jungen winden!" Diese Worte beruhigten das Bäumlein einigermaßen. Denn es ging ja nicht um seine Freiheit und um sein Leben. Die paar Zweiglein hätte es dem Manne gerne gegeben, zumal sie für das Grab seines Kindes waren. Nur, wie sollten die Männer bis zu seiner Krone, wo die Zapfen hingen, kommen? Die Männer mochten diese Schwierigkeit auch einsehen. Sie liefen weiter am Wäldchen entlang und reckten die Hälse, ob nicht noch ein niederes Bäumlein da sei, dessen Zapfen sie leichter erreichen konnten. Aber es war nichts damit. Die Bäume, die noch ihre Früchte trugen, waren sehr wenige, und alle waren vier bis fünf Meter hoch. Da kamen die drei wieder zur Ecke zurück, und der Zunge be gann das Bäumlein zu besteigen. Er tat es vorsichtig und ohne ein Zweiglein zu brechen. Schon war er soweit, daß er die Hand ausstrecken wollte, die Zweige mit den Zapfen zu brechen, als dem Bäumlein die Last zu schwer wurde. Es konnte mit dem einen Bein nicht mehr das Gleichgewicht hallen und beugte sich seitwärts. Es hörte schon den harten Krach, mit dem sein Stamm zerbrechen würde. Aber es kam nicht so weit! Der Zunge gab sich schnell einen Gegenschwung, der es wieder ins Gleichgewicht brachte. Zitternd an allen Zweigen stand das Bäumlein da, auch der Zunge verschnaufte ein wenig. Dann stieg er noch einen Quirl höher, da er so besser die früchte behangenen Aste erreichen konnte. Doch das war zu viel für das Bäumlein. Es fühlte, daß das die Katastrophe war! Es legte sich zur Seite, und ehe der Zunge zur Besinnung kam, was geschah, gab es einen lauten Krach, und er lag am Boden. Unbeschädigt sprang er schnell auf und sah, daß er dem Bäumlein die Krone abgebrochen. Da sagte er mit aufrichtig bekümmerter Miene: „Das habe ich nicht gewollt!" Er meinte es ehrlich, denn er war ein Naturfreund und hatte ein gutes Herz. Die Worte und das aufrichtige Mitleid des Zungen taten dem Bäumlein wohl; es vergab ihm seine Tat aus tiefstem Grunde, denn es war keine Roheit, die er begangen, sondern nur ein Mißgeschick hatte ihn getroffen. Bon der abgebrochenen Krone sammelten die Männer sich die fruchtbehangenen Zweige. Es waren ein paar hübsche Sträuße. Auch der Junge band sich einen Strauß. Als letzter verließ er den Platz, nachdem er noch einen letzten wehmütigen Blick auf das Unheil, das er angerichtet, geworfen. Dann eilte er schnell- füßig den beiden Männern nach.