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religiöse Bewegung und durch die Mission seinen Namen in alle Welt getragen. 3m Bolksmunde spiegelt sich das fromme, sich seines Wertes bewußte Herrnhutertum mehr im Sinne eines starren, etwas verstockten Wesens wider. „Es ist ein Herrnhuter", d. h. ein starrsinniger Mensch, hieß es einst in Böhmen und „du bist a richl'ger Herrn- Hüter", d. h. ein Sonderling und verstockter Mensch, sagt man wohl heute noch an der böhmischen Grenze in derLausitz. Am schlimmsten ergeht es im Bolksmund den kleinen ruhigen Landstädtchen der Lausitz, die wie Dornröschen noch im Schlummer liegen, abseits von der großen Heerstraße, doch so idyllisch, daß wir sie im Bilde der Landschaft nicht missen möchten. Bei bloßen Spitznamen bleibt es noch bei Bischofswerda, dessen Namen man in „Schiebockswerda" verdreht, Elstra, dessen Bewohner man durch den Namen „Schumla" mächtig erbosen kann, und bei Neusalza, das häufig „Schusterstadtl" genannt wird. Gar arg wird da gegen Weißenberg und Bernstadt mitgespielt, jenes gilt geradezu als Abderä oder Schilda der Lausitz. Dem kleinen deutschen Städtchen mitten in der Wendet wird zunächst schnöderweise nachgesagt, „ihm hätten die Gänse das Pflaster weggefressen", und wenn eine Kirchenuhr nachgeht, be hauptet man: „Sie geht mit dem Weißenberger Boten." Sogar volkspoetisch ist das Städtchen verherrlicht worden, leider sind nur folgende Strophen bekannt: O Weißenberg, o Weißenberg, Wie schön sinö deine Fluren! Am Marktplatz wachsen Gräselcin, Und daraus wciden Gänsclein. O Weißenberg, o Weißenberg, Wie schön sind deine Fluren. Dom Ralhauslurm, vom Raihausturm Legt man ein Bret hernieder, Da hat der Küster keine Qual, Gar schnell fährt er hernieder. Jedenfalls bezieht sich das letztere darauf, daß man ur sprünglich den Eingang am Rathaus vergessen halte und nun eine Treppe außen am Turm andrachte, wo man sie heute noch sehen kann. Auch mit ihrer Sonnenuhr am Rat haus sollen die Weißenberger sehr klug verfahren sein, in dem sie diese, weil sie zu schön war, um den Unbilden der Witterung ausgesetzt zu werden, erst an die Nordseite, dann gar im Sitzungssaals des Rathauses anbrachlen. Daß in jedem Hause statt des Feuerelmers ein Blasebalg steht, um das Teuer ausdlasen zu können, und daß der Bürgermeister einen großen Spahn in der Verlängerung seines Rückgrates hat, weil die Bürgermeisterwahl durch Herunterrutschen von einem Dache entschieden wird, das ist ebenso allenthalben bekannt. Höchst scherzhaft ist auch die Geschichte von der Weißenberger „Butterbemme", ein Woit, das die Weißen berger heure noch nicht gerne hören. Als der Kurfürst August der Starke einst nach Polen reiste, wollten ihm die Weißenberger eine Bittschrift überreichen. Aus Versehen warf aber oer Bürgermeister seine in Papier eingewickelte Butterschnitte in den kurfürstlichen Wagen. Nach vier Wochen kriegten sie aus Warschau die Schnitte zurück in einem Briefe, wofür sie schweres Postgeld zahlen mußten und eine dtcke Nase extra bekamen, daher der Ausdruck: „Er hat eine Butterschnitte bekommen!" ähnlichen Sinn hat, wie „er hat eine Nase bekommen", oder auch: „Er hat nichts bekommen und vergeblich gehofft". Bernstadt a. d. E. (-- auf dem Eigen) nahm als Mittelpunkt des Eigenschen Kreises, d. h. des Gebietes, das dem Kloster Marienstern bei Kamenz „eigen" war, früher eine eigene Stellung in der Lausitz ein. Die Sonderart der Bewohner dieses Gebietes wird auch durch die Spottworte „der eigensinnige Kreis" und „die eigensinnigen Bauern" bezeichnet. Dies und die Ab geschlossenheit des Bezirkes hat Bernstadt den zweifelhaften Ruhm eingetragen, in der Lausitz „Mittelpunkt der Welt" genannt zu werden, weil dort die Erdachse auf dem Markt platze herausstehe (ein Kandelaberarm daselbst) und von den Bernstädtern geschmiert werde. Bernstadt kann sich mit Boston trösten, das von den Amerikanern als „Nabe der Welt" bezeichnet wird. Auch als „das gelobte Land" wird es gehänselt und sein Name in „Sternbretl" verdreht. Der blühende Zustand der Tuchmacherei in Bernstadt wird durch das alte Sprichwort beleuchtet: „Ohne Bernstädter Tuch kann weder Hochzeit, noch Kommunion, noch Be gräbnis vollbracht werden", weil man sich stets aus diesem sein „Braten-" oder „Gottestischröckel" in der Oberlausitz Herstellen ließ. Dabet scheinen aber die Tuchmacher oft, wie die Müller das Metzen, das Falschmessen zu ihren Gunsten verstanden zu haben, sonst würde es nicht heißen, wenn ein Kind zu zeitig geboren wird: „Es ist mit Bernstädtler Maß gemessen worden." Harmloser wird es empfunden werden, wenn man von jemandem sagt, er sei „so lang wie der Ost ritz er Steg". Vom kleinen Elstra reden die Wenden in zwei Redensarten: Er läuft wie ein Elstraer Schuster. — Es läutet wie die Elstraer Glocke, d. h. schwach und dumpf. Wenn ein Wende sich betrogen fühlt, sagt er wohl: diese Semmel heißt eine Dresdner, und aus Bischofswerda ist sie." Die angeführten sprichwörtlichen Redensarten und Volks reime, die ich zum Teil den vorzüglichen Schriften von Freytag (Sachsens geschichtlich-geographische Sprichwörter, Leipzig 1898) und von Schlauch (Sachsen im Sprichwort), zum größten Teil aber eigenen Sammlungen verdanke, zeigen uns, wie reich sich unser Volksmund auf so kleinem Gebiete schon erweist, wie vielseitig und interessant das Volksurteil ist. Auf alle diese charakteristischen Äußerungen des Bolkshumors möchte ich das treffende Wort Wilhelm Riehls (Land und Leute S. 186) anwenden: „Ein Volk, welches sich solchergestalt noch über sich selber lustig machen kann, muß noch ein kräftiges Volk sein, und solange sich kleinstädtisches Sondertum wesentlich in Versen Luft macht, hat es mit demselben auch keine Not." Einige Rechts- und Streitfälle aus Zittaus Erstzeit der Bücherei des Zittauer Rates befindet sich eine KMI? Handschrift, die uns als die älteste unsrer Stadt über- MM? Haupt überliefert ist und die für uns aus mancherlei Gründen höchste Bedeutung hat. Das sind die vielum strittenen Jahrbücher des Stadtschreibers Johannes von Guben, eines Zittauer Stadtschreibers und Ratsherrn in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, der, wie sein Name besagt, aus Guben stammte — man darf sich nicht etwa durch das „von" täuschen lassen und ihn für einen Adligen halten —, Hausbesitzer in Zittau gewesen sein muß — sonst hätte er nicht Mitglied des Stadtrates werden können — und außerdem in Pechau zwei Mühlen und Teiche besaß, von denen er samt einigen Mitbesitzern an das Hospital zu St. Jacob laut des noch erhaltenen Zins- registers Abgaben zu leisten hatte. Ich will mich heute nicht auf den Streit einlafsen, der um seine Richtigkeit für die ersten 50 bis 60 Jahre seiner Aufzeichnungen nun schon Jahrzehnte hindurch entbrannt ist: ich will nur versichern, daß ich ihn auch für diese Zeit für völlig zuverlässig halte, und ihn nun selber sprechen lassen. Ich bringe seine Angaben nicht in der Übersetzung in das Hoch deutsche, weil ich genau weiß, daß dann die Hauptsache in seiner