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Die Spielfahrt der Dresdner Dramatischen Studententruppe in der Lausitz (15.—30. September 1923) Vrn Gustav Wols-Weisa waren immerhin noch erträgliche, wenngleich auch nicht MM rosige Zeiten, als wir — eine Anzahl Mitglieder der „Dramatischen Abteilung der Universität Leipzig" — vor zwei Zähren unter Hans Malvergs Führung als Spiel» abteilung der „Wandertruppe sür deutsche Volkskunst" das mittlere und westliche Erzgebirge durchzogen. Damals war unser Ziel, in allen Beoölkerungsschichten Verständnis sür gute alte deutsche Volkskunst zu stärken oder zu wecken und durch heimat liche Feierabende die verschiedenen Kreise einander näherzubrin gen. Wir versuchten, die mannigfachen Gebiete des Volkstüm lichen zu beleben: Volksdichtung (Lyrik und Märchen) und Volks spiel, Volkslied und Volkstanz. Der Nachmittag wurde den Kindern, der Abend den Erwachsenen gewidmet. Die damalige Fahrt bedeutete — wie srühere kleine Versuche im Erzgebirge — einen ausgesprochenen Lrsolg. >) Lin ähnliches Unternehmen war vor Jahresfrist von Mitglie dern der alten Spiellruppe in unsrer Ob-rtausitz eingeleitet, als die ersten wirklich spülbaren Valulaschmerzen alle schönen Plane über den Hausen warjen. Verschiedene sahen sich gezwungen, in den Ferien nach einer lohnenden Arbeit zu juchen. Das war an und sür sich schon damals dem Studenten nichts Ungewohntes mehr, wurde jedoch nunmehr sür Biele härteste Notwendigkeit für weitere Fortführung des Studiums. Abermals nach Jahres frist kennt weitaus die Mehrzahl es schon gar nicht mehr anders. Trotz allem hatte die Spieltruppe in den zwei Jahren nicht völlig geruht. Zoos! van den Vondels „Luzifer" oder gelegentlich .ein Hans Sachs zeigten die Leipziger an der Arbeit; Gruppen oder einzelne Mitglieder waren da und dort auch bei anderen Aufführungen beteilig! (Holbergs „Zeppe vom Berge", Kotzebues „Bild an der Wand", Buchners „Leouce und Lena"). Wolsgang Gondolalsch-Görlitz wurde inzwischen Mitglied des Meininger Landeslhealers und arbeitet praklijch, dramaturgisch und als Regisseur. Hans Malbergs Annaberger unternahmen kleinere Streiszüge in die Umgebung, jo nach Weipert (Deulschböhmen); er selbst leitete eine Spiellruppe an der Volkshochschule zu Jena und ist jetzt in Thüringen aus dem Gebiet der Jugendpflege eisr<g am Werke. Sein zeitgemäßes „Lhristgeburtjpiel" ?) (oem später ein „Sonnenwendjpiet" ^) folgte) errang in verschiedenen deutjchen Gauen schöne Erfolge. Auch einer der Unseren brachte eine Ausführung zu staube: Paul Brauer füllte dadurch die Kirche zu Grotzböhla bei Oschatz mit einer Menschenmenge, wie sie kaum je zuvor in jenen Mauern zu sehen war. In diesem Jahre nun konnte die Truppe endlich wieder einmal eine größere Aufgabe bewältigen. Sie pellte sich in den Dienst der studentischen Wirischastsgenossenschast an der Technischen Hochschule zu Dresden und wurde unter deren Leitung zur „Dresdner Truppe". Leipziger und Dresdner verbanden sich zu gemeinsamer Arbeit in gemeinsamer Not. Selbsthilfe! Diesmal sollten wir nicht allein spielen um des Spieles willen, aus reiner Freude an der Sache; es galt einmal, durch das Spiel zu danken, zu danken allen denen im Lande, die durch Spenden an Geld oder Lebensmitteln die Studentenspeijung an der merrsu ricacieiliics bisher unterstützt hauen. (Die mensu ucsciemica ist eine Einrichtung der Studentenschaft, ins Leben gerufen, um Minderbemittelten durch billige» Essen das Studium zu erleich tern. Heule sieht man dort die Mehrzahl aller deutschen Studenten, ein Beweis für die Verarmung unseres Volkes.) Andrerseits sollte die Fahrt eine Werbung fein, um weitere Hilfsquellen bei Landwirtschaft und Industrie zu erschließen, soweit mir dafür geeignete Gegenden berührten. Nicht nur als Schenkende kamen wir diesmal, sondern auch als Bittende. Und jetzt, nach Abschluß der Fahrt, dürfen wir jagen: unsre Bemühun- gen, letzten Endes ein Teil des großen Kampfes um die Erhaltung deutscher Wissenschaft, sind nicht vergeblich gewesen. » * Die Vorbereitungen für das Spiel hatten uns schon Ende Juli in Leipzig drei volle Tage in Anspruch genommen. Am 12. September sammelte sich die Truppe in Dresden wieder. An den beiden folgenden Tagen wurde noch ernsthaft im Strehlenrr Seminar geprobt und endlich am 15. September begann die Fahrt unter Führung des technischen Leiters und Organisator» Rudolf Krippendorff. Jeder trug seine Habe im Rucksack mit sich. Alles übrige (Kostüme und Requisiten) faßte ein großer Reisekorb. Im Grenzgebiet vom Lausitzer Berqlande und der Sächsischen Schweiz lag unser erstes Ziel: das Städtchen Sebnitz. Und an jedem der folgenden Abende bis Monatsende spielten wir — manchmal gab es tagsüber auch eine Kindervorstellung — fast jedesmal an einem andern Ort, nur an einigen Plätzen blieben wir zwei Tage. Folgende Namen bezeichnen unsern Weg vom Südwesten nach der östlichen und nördlichen Oberlausitz bi» zur Beendigung in ihrem Zentrum: nach Sebnitz kamen Steinigt wolmsdorf, Neukirch a. H., Schirgiswalde und Kirschau, dann Bernstadt, Hainewalde, Obercunnersdorf, Weißenberg, Löbau und Neschwitz und endlich Bautzen, die türmereiche Stadt. — Vorbereitet war unsere Ankunft meist schon durch den Land- bund, Volksbildungsausschutz oder Privatpersonen, doch wirkt« am zugkräftigsten überall, besonders in dieser Zeit des Zeitungs sterbens, unsere lebende Reklame: ein Umzug in Kostümen zu Pserd oder Wagen unter Hörnerklang und lauter Ankündigung. Das brachte den ganzen Ort aus die Beine. Auch der freie Ein tritt verfehlte seine Wirkung nicht. Unsre Unkosten für Bahn fahrt, Kostüme usw. wurden am Schluß jeder Vorstellung durch freiwillige Spenden reichlich gedeckt. Ein ansehnlicher Rein gewinn konnte außerdem an die Dresdner menss scuciemica ubgejührt werden. Die Mitglieder der Truppe sanden allerorten sreunüliche Ausnahme und Beköstigung bei gastfreien Familien. Manche schöne Erinnerung knüpft sich an gütige Menschen, die wir kennen gelernt in diesen Tagen froher Fahrt. Und auch die Bewohner der von uns besuchten Orte werden sich sehr gern der Studenten erinnern, die es verstanden, das Publikum zu mischen und alle gleicherweise mit ihrer Kunst zu sesseln, die einmal nicht schieden zwischen arm und reich, vornehm und gering, die keine Eintrittskarten verkauften mit der Aufschrift: 1., 2., 3. Platz, denen alle gleich willkommen waren, die nicht fragten nach Stand, Beruf, Partei und Herkunft. Der Spielplan wies zwei längere ernste Stücke auf: „Lanzelot und Sanderein", ein allflämisches Spiel aus dem 15. Jahrhundert war das eine, „Die steroende Königin" unsres Wolfgang Gon- dolaisch, Weihnachten 1921 für seine Truppe geschrieben, das andere. Dazu kamen zur Auswahl sechs Schwänke von Hans Sachs: „Der tote Mann", „Das Kälberbrülen", „Das heiße Elsen", „Der Rvßdieb zu Fünsing", „Der Teufel mit dem alten Weibe" und „Der Dokwr mit der großen Nase". Mit einem ernsten Spiel und zwei Schwänken war jeweils der Abend aus- gesüllt. Den Haupterfolg hat die Truppe zweifellos mit der ihr eigenen Auffassung und Gestaltung der Schwänke errungen, wie überall aus den Kritiken heroorgeyt, wenngleich ihnen die ernsten Spiele in der Darstellung kaum nachgestanden haben dürsten. Freilich stellen sie höhere Ansprüche an Bühnenbau, Ausstattung und Beleuchtung, die vielfach zu wünschen übrig ließen, weil wir stets nur auf die an Ort und Stelle vorhandenen Mittel angewiesen waren und über eigene Ausstattung nicht verfügten. Alle» in allem, es läßt sich sagen: unsre Fahrt war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg, in künstlerischer: das eine Wort „Wiedeikommen!" ist Beweis genug, Ausführliches sagen die Kritiken, in wirtschaftlicher: hiljkrästige Hände werden aufs neue die notleidende Studentenschaft unterstützen, in sozialer: die Bevölkerung hat gesehen, daß der Student ein Mensch ist, der mit allen Volksschichten zu arbeiten weiß. — So sei denn unsre Losung für kommende Zeiten: „Vorwärts zu.neuen Taren!" ') Bericht in der „Sächsischen Heimat", Dczemderheft IS21. — ') und ') Beide Spiele erschienen in den Bolkshochjchuldlättern für Thüringen, Jena 1021 und 1VLS.